«Uns ist das Gewicht unserer Stimme bewusst geworden»
Serge Meyer nimmt seine Nicht-Wahl in den Riehener Gemeinderat sportlich. Der Kantonalpräsident der GLP befindet sich seit Amtsantritt im Dauerwahlkampf. Im Interview erzählt er, warum seine Partei im Grossen Rat jetzt geschlossener stimmt – und ob seine Fraktion die eigene Regierungsrätin hängen lässt.
Serge Meyer, eigentlich war die Ausganglage für Ihre Wahl in den Riehener Gemeinderat gut: Zwei Sitze sind unbesetzt und die Bürgerlichen gehen nochmal an die Urne. Nun haben Sie das schlechteste Ergebnis. Warum wurde Ihr Name nicht eingeworfen?
Die Empfehlung der Bürgerlichen war: Man soll nur Felix Wehrli von der SVP wählen. Von links kamen keine Stimmen, weil die SP mit zwei Kandidaturen antrat. Das hat sicher eine Rolle gespielt.
Hätte man die Bürgerlichen nicht überreden können, mitzuhelfen, um der SP den Gemeinderatssitz abzuluchsen?
Schon im ersten Wahlgang war für uns klar, dass wir einen Mittelweg zwischen den beiden Blöcken präsentieren wollen. Von dieser Strategie wollten wir auch im zweiten Wahlgang nicht abweichen, indem wir aus taktischen Gründen Deals mit den Bürgerlichen machen. Im Einwohnerrat konnten wir zulegen und haben jetzt Fraktionsstärke.
Man exponiert sich immer auch persönlich bei so einer Wahl. Bereuen Sie das?
In Riehen haben wir einen fairen Umgang miteinander, auch politisch. Selbst wenn nicht allen gefiel, dass ich meinen Hund im Wahlkampf so in Szene gesetzt habe. Als Kantonalparteipräsident bin ich auch exponiert. Ich bereue den Wahlkampf sicher nicht, das war die Erfahrung wert. Immerhin habe ich jetzt mal alle Wahlkämpfe für die GLP mitgemacht.
«Ich fühle mich wohl im Amt und habe meine Rolle gefunden.»Serge Meyer, Präsident, GLP Basel-Stadt
Als Sie Anfang 2024 das Parteipräsidium übernommen haben, war die Verteidigung von Esther Kellers Sitz im Regierungsrat Priorität Nummer 1. Haben Sie den Eindruck, Sie sind erst dieses Jahr so richtig im Amt angekommen?
Damals habe ich gesagt, dass es für mich eine Lernphase ist – zu einem gewissen Grad dauert die immer noch an. Die jahrelange Erfahrung von meinen Kollegen im Vizepräsidium hat mir am Anfang dort geholfen, wo ich selbst keine Erfahrung habe. Bis dato dürfen wir, glaube ich, zufrieden sein. Ich fühle mich wohl im Amt und habe meine Rolle gefunden – wir haben unsere Prozesse etabliert.
Die GLP hat dieses Jahr ihre internen Strukturen angepasst. Es gibt jetzt Wahlkreisgruppen und Arbeitsgruppen. Warum hat man sich diese Arbeit gemacht?
Unsere Mitglieder sollen die Möglichkeit haben, sich zu engagieren, denn davon lebt die Partei. Alle anderen Parteien haben auch solche Sektionen – wir wollten auch Verantwortliche für die Stadtteile und Riehen, die unsere Partei den Mitgliedern vor Ort näher bringen.
Jetzt muss sich die Parteileitung nicht mehr mit allem von der nationalen Ebene bis zur Dorfpolitik beschäftigen.
Gerade für eine kleine Partei ist das durchaus intensiv. Ich bin ein grosser Freund von Föderalismus und Subsidiarität. Kleinbasel und das Gundeli sind zum Beispiel schon sehr unterschiedlich, und die Leute vor Ort wissen immer am besten Bescheid.
Welche wichtigen Erfolge konnte die Partei dieses Jahr erzielen?
Wir haben eigentlich immer den Trend getroffen, wenn es um Abstimmungen ging, sowohl national als auch kantonal.
Im Grossen Rat ist die GLP auch in dieser Legislatur nach wie vor Mehrheitsmacherin. Man hat aber den Eindruck, dass die Partei geschlossener auftritt und so für die jeweiligen Partner*innen bei Abstimmungen zuverlässiger geworden ist.
Es ist schon so, dass wir im Grossen Rat jetzt quasi 50-50 haben. Als Partei ist uns das Gewicht unserer Stimme bewusst geworden. Das bedeutet, dass wir oft auch sehr detailliert diskutieren müssen. Wir wissen, dass wenn einer oder zwei von uns anders stimmt, es einen anderen Ausgang gibt – und dass wir uns da auf eine Linie bringen müssen. Für die Fraktion ist das jetzt sicher anspruchsvoller.
Haben Sie die Fraktion diszipliniert?
Nein, darin sehe ich meine Rolle als Präsident aber auch gar nicht. Es wäre auch anmassend, weil unsere Grossräte alle mehr Erfahrung haben und viel näher an den Geschäften dran sind als ich, der kein Grossrats-Mandat hat. An den Fraktionssitzungen nehme ich teil, um die Stimmen der Mitglieder einzubringen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich vorschreibe, wie man abzustimmen hat.
Der 60-Jährige trat in grosse Fussstapfen, als er im Januar 2024 von Nationalrätin Katja Christ das Kantonalpräsidium übernahm – nachdem er zuvor nur wenige Monate im Vorstand war und nicht im Grossen Rat sitzt. Er ist CEO des Software-Entwicklungs-Unternehmens Datalynx Group und wohnt in Riehen. Ursprünglich war er Mitglied bei der FDP.
Ist die GLP-Fraktion in diesem Jahr näher zum bürgerlichen Block gerückt?
Wir sehen uns weiterhin als Partei im Zentrum und versuchen, Lösungen ausserhalb von Ideologien zu finden. Bei Wahlen treten wir immer noch alleine an. Bei gewissen Wirtschaftsfragen kann man durchaus eine Affinität zur Mitte, FDP, LDP erkennen – wenn die wirklich ihre Politik verfolgen. Ich denke daran, wie die bürgerlichen Grossräte aus Riehen die Steuersenkung haben platzen lassen. Wenn es mit unseren liberalen Vorstellungen vereinbar ist, finden wir bei grünen Themen natürlich durchaus Gemeinsamkeiten mit der SP: Bei den Velorouten zum Beispiel.
Im Grossen Rat können Sie aber schon auch mal gemeinsam mit SP und Grünen moderate Vorschläge aus dem Bau- und Verkehrsdepartement in der Ratsdebatte verschärfen. Lässt die Fraktion ihre eigene Regierungsrätin im Regen stehen?
Ich glaube nicht, dass Esther sich so fühlt. Sie ist ebenfalls an den Fraktionssitzungen dabei und bringt ihre Punkte ein. Uns in der Fraktion und dem Präsidium ist bewusst, dass Esther die Regierungsmeinung vertritt und dass das eine Kollegialbehörde ist. Bei den ganz grossen Geschäften wie beim Bebauungsplan für die Roche folgt die Fraktion den Argumenten der Regierung. Wir sind natürlich froh und stolz, dass wir jemanden in der Regierung haben. Das bedeutet auch, dass wir als Regierungspartei eine gewisse Verantwortung haben – aber nicht, dass wir immer alles gut finden.
Esther Keller ist gerade auch viel beschäftigt, in Bern zu lobbyieren, damit der Bund das Herzstück trotz Weidmann-Bericht noch priorisiert. Apropos: Wie steht eigentlich die GLP dazu, dass der Rheintunnel jetzt sein Revival erlebt?
Die GLP Schweiz war damals gegen den Nationalstrassenausbau – wir in Basel-Stadt haben eine andere Haltung eingenommen. Nach wie vor ist unsere Position, dass wir das Projekt Rheintunnel mit Bauchschmerzen unterstützen – vorausgesetzt es gibt flankierende Massnahmen zur spürbaren Entlastung für die Bevölkerung entlang des Autobahnabschnitts. Wenn wir auf einen einseitigen Ausbau des ÖV setzen, haben wir das Problem nicht gelöst, dass es viel Durchfahrtsverkehr in Basel gibt – das ist das Dilemma unserer Geografie an der Nord-Süd-Achse.
Vergangenes Jahr konnte die GLP erfolgreich eine Standesinitiative zum vollen Standesrecht für Basel-Stadt einreichen – dieses Jahr wurde diese im Bundesparlament abgelehnt. Ein Rückschlag?
Eine Enttäuschung war es sicher. Natürlich haben wir genug Realismus, um zu wissen, dass das Anliegen einen schweren Stand haben wird. Die Standesinitiative hat ihren Zweck erfüllt, dass sie die Debatte über den zweiten Ständeratssitz für die ehemaligen Halbkantone am Leben gehalten hat. Die Diskussion läuft trotzdem weiter.
«Bei Themen ohne grünen Bezug muss man uns künftig noch mehr spüren.»Serge Meyer, Präsident, GLP Basel-Stadt
Warum lanciert die GLP eigentlich keine Volksinitiativen, sondern immer nur Standesinitiativen?
Wir haben unsere Kräfte im Moment auf den Ausbau unserer Strukturen und den Wahlkampf gesetzt. Wir versuchen, in der Regierung und im Grossen Rat an Lösungen zu arbeiten. Eine Initiative machen viele dann eher, um sich populär zu machen und Aufmerksamkeit zu generieren – vor allem unsere Mitbewerber bei der SVP.
Und Aufmerksamkeit hat die GLP nicht nötig?
Ich sehe es so: Das Klima hat leider in der öffentlichen Debatte an Relevanz verloren. Wir wollen uns weiterhin für klimapolitische Themen einsetzen. Damit wir unser Gewicht im Parlament behalten können, müssen wir schauen, welche Themen die Bevölkerung noch interessieren, auch wenn man damit nicht als Erstes die GLP verknüpft: Krankenkassen, Migration und so weiter. Wir müssen da ausgewogene Positionen definieren und Antworten liefern. Ich finde, da muss man uns künftig noch mehr spüren.
Ihre Nationalrätin Katja Christ wird 2027 Nationalratspräsidentin. Kommendes Jahr wird ihr Präsidiumsjahr also vorbereitet werden müssen.
Ich habe noch keine Rede geschrieben, aber das müssen wir schon auch zelebrieren. Es ist das erste Mal, dass eine Baslerin höchste Schweizerin sein wird. Basel-Stadt war bisher immer nur mit Männern im Nationalratspräsidium vertreten, das letzte Mal vor 60 Jahren. Ich weiss, dass da auch im Kanton schon erste Absprachen laufen.
Das heisst aber auch, dass sich Katja Christ nicht mehr mit Vorstössen profilieren kann – und 2027 finden dann ja auch wieder nationale Wahlen statt. Muss die GLP wieder zittern, um den Sitz zu behalten?
Da bin ich relativ gelassen. Beim Präsidiumsjahr ist man auch ständig in Szene gesetzt. Das wird also gute Werbung für die Wiederwahl. Aber bis dahin fliesst noch viel Wasser den Rhein herunter. Wir haben grosse Fragen beim Verkehr oder beim Wohnschutz – die Motion von Niggi Rechsteiner zu ökologischen Sanierungen – die uns in Basel beschäftigten werden.
Haben Sie einen politischen Vorsatz fürs neue Jahr?
Ich will weiterhin mein Bestes geben, bin mir aber bewusst und auch froh darüber, dass ich mich nicht immer so wichtig nehmen muss. Wir nehmen die Sachen ernst, aber wir verlieren nie den Humor.