«Schmerzen während der Periode sind nicht normal»
Sollen Frauen mit schmerzhaften Menstruationsbeschwerden drei Absenz-Tage erhalten? Heike Willi vom Unispital Basel spricht sich dagegen aus und erklärt, warum Probleme während der Periode von Wissenschaft und Gesellschaft ernster genommen werden müssen.
Mitarbeiter*innen der Stadt Fribourg können künftig bis zu drei Absenz-Tage pro Monat bei vollem Lohn beziehen, wenn sie unter schmerzhaften Menstruationsbeschwerden leiden. Braucht es aus Ihrer Sicht eine Extra-Regelung?
Das ist eine schwierige Frage, die ich auch im Team und mit Betroffenen besprochen habe. Aber ich bin eher nicht dafür.
Warum nicht?
Aus meiner Sicht ist es nicht der richtige Weg. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten und auch Medikamente, wenn Schmerzen während der Periode vorhanden sind. Wenn die Schmerzen beeinträchtigend sind, dann sollten die Frauen nicht zu Hause bleiben und jeden Monat erneut darauf warten, dass der Schmerz vorübergeht. Sie sollten sich besser in ärztliche Behandlung geben, damit man die Ursache der Schmerzen und die Schmerzen therapieren kann. Frauen, die jeden Monat daheimbleiben und den Schmerz als gegeben betrachten, werden nicht adäquat behandelt und laufen Gefahr, dass – zum Beispiel im Falle einer vorliegenden Endometriose – die Erkrankung fortschreitet.
Heike Willi ist Kaderärztin für Gynäkologie an der Frauenklinik im Universitätsspital Basel. Sie leitet den Bereich Endometriose.
Kann man Regelschmerzen überhaupt therapieren?
Zuallererst muss geklärt werden, warum einige Frauen Schmerzen haben. Liegt eine Endometriose vor oder hat es andere Ursachen? Es ist wichtig zu wissen, dass Schmerzen während der Periode nicht normal sind. Ich beobachte oft in meiner Sprechstunde, dass Mütter zu ihren Töchtern sagen, es sei normal, während der Menstruation Schmerzen zu haben. Weil es ihnen wohl auch schon so vermittelt wurde und sie jahrelang mit den Schmerzen gelebt und sich arrangiert haben. Ich würde aber raten, die Ursache abzuklären und dann die Schmerzen behandeln zu lassen, bevor sie chronisch werden.
Solche Behandlungen sind nicht umsonst. Wer soll sie bezahlen?
Ich denke, die Therapie der Endometriose ist immer noch günstiger als der Arbeitsausfall jeden Monat. Die direkten Kosten der Therapie betragen nur ein Drittel der Gesamtkosten, die durch den Arbeitsausfall zustande kommen.
Wird in der Öffentlichkeit genug über das Thema Mens-Beschwerden und Endometriose informiert?
Es ist ein grosses Problem, dass viele gar nicht wissen, was Menstruations-Schmerzen für Ursachen haben können. Es gibt noch sehr viel Unwissen in dem Bereich, auch bei medizinischem Personal. Es gibt immer noch Ärzt*innen, die ihren Patientinnen suggerieren, sie müssten mit Regelschmerzen leben. Das Thema wird auch im Medizinstudium nur kurz gestreift. Es betrifft ja «nur» die Frauen, um es ironisch auszudrücken.
Wollen Sie damit sagen, dass medizinische Themen, die ausschliesslich Frauen betreffen, weniger Beachtung finden als andere?
Das ist definitiv der Fall.
«Endometriose betrifft 176 Millionen Frauen auf dieser Welt.»Heike Willi, Kaderärztin Gynäkologie
Wie äussert sich das?
In der Wissenschaft gibt es grossen Aufholbedarf. Es werden deutlich mehr Forschungsgelder in Krebsforschung oder andere Erkrankungen, die alle Geschlechter betreffen, gesteckt, als zum Beispiel in die Endometrioseforschung. Dies, obwohl Endometriose zehn Prozent aller Frauen, also 176 Millionen Frauen auf dieser Welt, betrifft.
Frauen werden also in der wissenschaftlichen Forschung benachteiligt.
Ja, auf jeden Fall.
Woran liegt das?
Viel medizinisches Personal nimmt Regelschmerzen nicht besonders ernst und nimmt es als gegeben an. Es dauert immer noch bis zu sieben Jahre bis zur Diagnosestellung.
Schon in der Antike wurde die Monatsblutung als etwas Negatives wahrgenommen – ein Stigma, das bis heute besteht?
Leider ja. Es ist doch immer noch so: Wenn Sie Schmerzen während der Periode haben, dann gehen Sie nicht zu Ihrem Arbeitgeber und sagen es ihm. Wenn Sie aber eine Blinddarmentzündung haben, weiss es das ganze Büro. Das Thema Menstruation wird nach wie vor tabuisiert, weil die Hemmschwelle grösser ist.
In unserer Frage des Tages wollten wir von dir wissen, ob du dafür bist, dass Frauen drei Absenz-Tage bei Regelschmerzen bekommen. Was denkst du?
Wie äussern sich die Beschwerden?
Frauen haben während der Regel oft richtig starke Schmerzen. Aber auch zum Teil Schmerzen beim Wasserlösen oder beim Stuhlgang.
Wie kann man Regelschmerzen behandeln?
Primär mit Schmerzmedikamenten, Beckenbodenphysiotherapie, Wärmeapplikation oder Traditioneller Chinesischer Medizin.
Und bei Endometriose? Müssen Frauen Hormone nehmen oder gibt es andere Möglichkeiten?
Prinzipiell sind Hormone die beste Lösung, da Endometriose eine hormonabhängige Erkrankung ist und das Ziel die Unterdrückung der Periode ist. Aber für Frauen, die Kinderwunsch haben oder Hormone aus anderen Gründen nicht einnehmen können, sind komplementärmedizinische Massnahmen sicherlich auch eine Hilfe. Sie therapieren aber nur die Symptome und nicht die Ursache. In einigen Fällen kann auch eine Operation indiziert sein.
«Es muss mehr Aufklärung betrieben werden, in Schulen, an Universitäten und bei den Ärzt*innen selbst.»Heike Willi, Kaderärztin Gynäkologie
Es gibt weitere Beschwerden wie das prämenstruelle Syndrom, unter dem Frauen jeden Monat leiden.
Ja. Das Klischee vom «hormonellen Ausnahmezustand» ist durchaus berechtigt. Etwa 20 bis 40 Prozent der Frauen im reproduktiven Alter leiden am prämenstruellen Syndrom (PMS). Um die Diagnose PMS stellen zu können, müssen mehrere Beschwerden wie Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit, Spannungsgefühl in den Brüsten, Kopf- und Unterleibsschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Wassereinlagerungen, Schlaflosigkeit auftreten, da sich leichte oder einzelne Beschwerden bei etwa acht von zehn Frauen finden lassen. Und unter einer prämenstruellen dysphorischen Störung leiden zirka drei bis acht Prozent aller Frauen.
Könnte eine Home-Office-Regelung die Lösung sein?
Das ist sicher eine Möglichkeit, auch für Frauen, die starke Blutungen haben. Home-Office kann für einige Frauen sicher angenehmer sein, ist aber längst nicht in allen Berufen umsetzbar. Und auch diese Regelung löst das Leiden nicht.
Welche politischen Zeichen machen denn Sinn?
Es muss mehr Aufklärung betrieben werden, in Schulen, an Universitäten und bei den Ärzt*innen selbst. Hausärzt*innen sollen besser geschult und Gynäkolog*innen für das Thema Endometriose sensibilisiert werden.