Ich entschuldige mich für die rassistische Entgleisung
In meinem letzten Briefing habe ich die Redewendung «den schwarzen Peter fassen» benutzt. Daraufhin hat sich eine Leserin gemeldet und den Rassismus benannt. Das sollten Weisse ernst nehmen.
In meinem Briefing von vergangener Woche habe ich vom schwarzen Peter geschrieben und wer ihn wohl fassen würde. Es ging in den besagten Zeilen um die Rückschau unseres Kolumnisten Roland Stark, der mit Blick auf die nationalen Wahlen vom Oktober Parallelen in die Vergangenheit zog, als der Kanton Basel-Stadt 1971 nur noch sieben statt acht Nationalräte wählen durfte.
Mit dem Ausdruck «den schwarzen Peter fassen» bezogen wir uns auf ein weit verbreitetes Kinderkartenspiel, ein Negativspiel, bei dem verloren hat, wer die namensgebende Karte nicht weitergeben kann. Ein Spiel, dessen Ursprung zutiefst rassistisch ist. Kaum war das Briefing versendet, flatterte eine aufgebrachte E-Mail von Leserin Melanie Oberli in mein Postfach: «Ich verlange als Person of Colour eine Entschuldigung für diese rassistische Entgleisung. So etwas könnt ihr auf keinen Fall schreiben.»
«Es ist anstrengend, weissen Menschen Rassismus erklären zu müssen.»Melanie Oberli
Nachdem ich die Zeilen gelesen hatte, versuchte ich, die Sache zu beschönigen, mir selbst zu erklären, warum meine rassistische Entgleisung weniger schlimm sein könnte als eine andere, geschah sie doch ohne böse Absicht. Aus reiner Ignoranz, ich bezog mich lediglich auf ein Kartenspiel. Ich legte mir also meine Welt zurecht, bis ich zum Punkt kam: Egal, wie ich versuche, aus der Sache wieder rauszukommen: Ich habe die Gefühle von Melanie Oberli verletzt. Und das ist das Einzige, was zählt. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Wenn eine People of Color Rassismus benennt, sollten Weisse das ernst nehmen.
Ein paar Tage später treffe ich Melanie Oberli vor unserem Büro für einen Rundgang um den Block, das ist bei uns in der Redaktion so üblich, wenn etwas ausdiskutiert werden muss. Sie sagt: «Es ist anstrengend, weissen Menschen Rassismus erklären zu müssen.» Sie möchte und kann nicht für alle sprechen, jede*r macht seine*ihre individuellen Erfahrungen. In Diskussion treten möchte sie dennoch. Es geht ihr um eine Sensibilisierung der Sprache und was Alltagsrassismen im geschriebenen oder gesprochenen Wort bei Menschen auslösen können. Sie wünscht sich schlicht und einfach, dass der Fehler eingesehen wird, denn die Äusserung hat sie verletzt. Das Problem: Genau diese Verletzung wird so oft nicht ernst genommen, denn die weisse Dominanzgesellschaft definiert, was weh tut. Und was nicht. Sie definiert, welcher Diskurs der richtige ist.
Melanie Oberli war die einzige Person, die sich über den Ausdruck im Briefing per Mail bei uns beschwert hat. Das zeugt nicht etwa davon, dass sie überreagiert hat, sondern macht vielmehr deutlich, wie schwierig es ist, wie viel Mut es braucht, die eigene Stimme zu erheben und für sich selbst einzustehen. Und es zeugt auch davon, dass die Bajour-Redaktion offensichtlich zu wenig divers aufgestellt ist. Sonst wäre jemandem der problematische Begriff aufgefallen. Wir haben also noch einen weiten Weg vor uns, wenn wir es ernst meinen mit der offenen, inklusiven Gesellschaft.
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