«Täglich pendeln unsere Mitarbeitenden über die Grenze»

Ein Abschluss der Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz ist in Sicht. Firmen aus der Region Basel erklären, welche Punkte für sie bei den Bilateralen III besonders wichtig sind – insbesondere mit Blick auf ihre vielen Angestellten aus dem EU-Raum.

Drohnenaufnahme vom Dreilaendereck mit dem Hafenbecken 1 des Basler Rheinhafens, unten, und vom Rhein, oben, in Basel, am Mittwoch, 28. August 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Viele Mitarbeitende in den Basler Firmen kommen aus dem EU-Raum. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Lange wurde diskutiert, jetzt zeichnet sich ein Ende ab: Bis an Weihnachten wollen sich die Schweiz und die EU einig sein in den Verhandlungen über die Bilateralen III. In einer Grenzregion wie Basel beschäftigt das Thema vor allem die Wirtschaft, wie verschiedene Firmen auf Nachfrage dieser Redaktion erzählen. Viele Angefragte möchten zu politischen Fragen keine Stellung nehmen. Diejenigen, die geantwortet haben, sehen einen Nutzen in den Bilateralen III und nennen vor allem drei Punkte, die sie diesbezüglich bewegen. Es sind:

  • die Personenfreizügigkeit
  • Marktzugang und Warenaustausch
  • das Forschungsprogramm Horizon Europe

Interessant sind dabei vor allem die Zahlen, die die angefragten Firmen über den Ausländer*innen-Anteil ihrer Angestellten kommunizieren. Gemäss Zahlen des Kantons pendelten 34'700 Grenzgänger*innen 2023 dank der Personenfreizügigkeit von ennet der Grenze nach Basel-Stadt. Hinzu kommen die Ausländer*innen, die hier wohnen und arbeiten.

Einen grossen Anteil an EU-Bürger*innen hat zum Beispiel das Unternehmen Holle Baby Food. Am Hauptsitz in Riehen beschäftigt der Babynahrungshersteller 33 Mitarbeitende – über die Hälfte von ihnen komme aus dem grenznahen Umland, schreibt CEO Anne Mutter auf Anfrage.

Holle Baby Food
«Für unser Unternehmen ist es besonders wichtig, dass die Personenfreizügigkeit gesichert ist.»
Anne Mutter, CEO Holle Baby Food

Für ihr Unternehmen sei «besonders wichtig», dass es den Absatzmarkt Europa langfristig bedienen könne und die Personenfreizügigkeit gesichert ist. «Tagtäglich pendeln unsere Mitarbeitenden über die Grenze», schreibt Anne Mutter dazu.

Beim Industrieunternehmen Endress+Hauser in Reinach ist der Anteil noch höher: Rund 58 Prozent (1307 von 2268 Mitarbeiter*innen) ihrer Angestellten sind EU-Bürger*innen, rund 900 davon Grenzgänger*innen. Auf Anfrage betont Endress+Hauser-Finanzchef Luc Schultheiss, sie würden einen Abschluss der Verhandlungen mit der EU sehr begrüssen. «Dieser würde beim Warenaustausch vieles einfacher machen für unser Unternehmen.»

Grenzgänger*innen in Basel
Wie viele Grenzgänger*innen in Basel-Stadt arbeiten, unterscheidet sich in verschiedenen Branchen stark. (Bild: Stata BS)

Die grossen Detailhändler Coop und Manor haben beide ihren Hauptsitz in Basel. Für eine Stellungnahme zu den Bilaterale-III-Verhandlungen verweisen die beiden auf die IG Detailhandel Schweiz. Sie schreibt: «Sowohl die Aktualisierung und das Weiterbestehen der bestehenden Binnenmarktabkommen – bspw. das Agrarabkommen – als auch die neu geplanten Abkommen sind für unsere Mitglieder von grosser Bedeutung.»

Auch wenn die IG Detailhandel das in ihrem Statement nicht ausdrücklich betont: Auch die Personenfreizügigkeit ist für ihre Mitglieder zentral, wie ein Blick auf die Angestelltenzahlen zeigt. Auf Nachfrage geben Coop und Manor zwar keine Details zu ihren Mitarbeitenden in der Region bekannt. Aus dem Geschäftsbericht der Coop-Gruppe geht allerdings hervor, dass rund 38 Prozent der Angestellten im Detailhandel Ausländer*innen sind. Die Europäische Bewegung Schweiz führt zudem Zahlen von 2020 auf: Vor vier Jahren hatten rund ein Fünftel aller Coop-Mitarbeitenden einen EU-Pass, davon sei nur ein kleiner Teil Grenzgänger*innen.

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«Es ist eine zentrale Errungenschaft der Bilateralen, dass Unternehmen dank der Personenfreizügigkeit unbürokratisch Fachkräfte auch im EU-Raum rekrutieren können.»
Satoshi Jean-Paul Sugimoto, Mediensprecher Novartis

Ohne Arbeitskräfte aus der EU sind auch die grössten Basler Firmen Roche und Novartis kaum denkbar: Novartis-Mediensprecher Satoshi Jean-Paul Sugimoto schreibt, knapp ein Drittel der Mitarbeitenden in der Schweiz seien Grenzgänger*innen. Heisst: Von rund 10’400 Mitarbeiter*innen wohnen rund 15 Prozent in Deutschland, rund 18 Prozent in Frankreich. 

Mehr als die Hälfte aller Novartis-Mitarbeiter*innen in der Schweiz hätten einen EU-Pass, ergänzt Sugimoto. «Es ist deshalb eine zentrale Errungenschaft der Bilateralen, dass Unternehmen dank der Personenfreizügigkeit unbürokratisch Fachkräfte auch im EU-Raum rekrutieren können. Die Sicherung der Personenfreizügigkeit ist für unsere Aktivitäten in der Schweiz zentral.» 

Roche Türme
Bei Roche sind über 50 Prozent der Angestellten in der Region Basel Grenzgänger*innen oder EU/EFTA-Staatsangehörige. (Bild: zVg)

Ähnlich klingt es bei Roche. Das Pharmaunternehmen beschäftigt in Basel und Kaiseraugst rund 11’900 Mitarbeitende, davon je sind je etwa 3’200 Grenzgänger*innen oder EU- und EFTA-Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz. «Roche unterstützt das vorliegende Verhandlungsmandat für ein Abkommen mit der EU, weil die Bilateralen III sowohl Planungs- als auch Rechtssicherheit für den Forschungs- und Produktionsstandort Schweiz schaffen», schreibt Mediensprecher Karsten Kleine. «Der Wirtschaftsstandort Schweiz ist auf internationale Fachkräfte und Talente angewiesen – und somit auf die Personenfreizügigkeit mit der EU.»  

Verknüpft mit personellen Fragen ist auch der dritte Punkt, den die beiden Pharmakonzerne gegenüber Bajour als entscheidend beurteilen: Die Teilnahme an Horizon Europe. 

In einem Interview mit der NZZ im September zog Jörg-Michael Rupp, Leiter Pharma International bei Roche, einen auf die Schweizer Skination gemünzten Vergleich für die Situation von Wissenschaftler*innen, die nicht am Programm teilnehmen dürfen: «Wer hier nur am Rande sitzt, hat verloren. Das wäre, wie wenn Marco Odermatt nur noch bei den Schweizer Meisterschaften statt im Weltcup fahren könnte.» Oder für Basler*innen: Wie wenn der FC Basel nicht mehr europäisch spielen darf.

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Das ist Michelle (sie/ihr):

Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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