Silvester-Krawall in Berlin: Was jetzt?
Integration, Prävention und Repression
Gemäss den Medienberichten soll es sich bei den Tätern um junge Männer mit Migrationshintergrund handeln. Wenn dies zutrifft, haben sich diese offensichtlich nicht integriert und sind nicht gewillt, die Gesetze einzuhalten. Der Staat hat die Aufgabe, gute Voraussetzungen zu schaffen, damit sich Migrierende gut integrieren können. Aber es liegt in erster Linie in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich zu integrieren und die Gesetze einzuhalten. Gewaltdelikte wie in der Silvesternacht sollen selbstverständlich strafrechtlich verfolgt werden, sofern die Täter eruiert werden können – egal welcher Herkunft die Täter sind. Gewalt- und Suchtprävention durch die Jugend- und Präventionspolizei und Jugendsozialarbeitende sowie Bildungsarbeit und die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit sind auch wichtige Ansätze für die Integration und gegen Gewaltdelikte.
Es ist nicht richtig, den Migrationsstatus als Ursache zu betrachten
Es ist richtig, dass Personen mit Migrationshintergrund durchschnittlich eine höhere Gewaltbereitschaft zeigen, sowohl in Kriminalstatistiken als auch in Befragungsstudien, sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Es ist aber nicht richtig, den Migrationsstatus als Ursache zu betrachten; die überwältigende Mehrheit aller Migranten – unabhängig welcher konkreten Herkunft, verhält sich gesetzeskonform. Die wirklichen Ursachen von Gewalt sind u.a. geringe Teilhabechancen in den Bereichen Bildung und Beruf, widrige Umstände in der Herkunftsfamilie wie autoritäre und gewalthaltige Erziehung, die zur Akzeptanz von Gewalt und dominanter Männlichkeit führen, sowie soziale Beziehungen zu falschen Freunden, zu Cliquen, in denen Abweichung und Gewalt kultiviert werden. Diese Ursachen treffen Migranten häufiger als Einheimische, weshalb sie gewalttätiger sind; Schweizer, die denselben Bedingungen ausgesetzt sind, sind genauso häufig gewalttätig.
Fördern und fordern
Erstens braucht es eine präzise Analyse mit genauen Daten zu den Tätern. Gewaltprävention ist nur zielgerichtet möglich, nicht abstrakt oder allgemein. Zweitens sind die Integrationspolitik und der Auftritt des Staates überzeugend auszugestalten, fördernd und fordernd. Und die Zivilgesellschaft stark einzubinden und wirken zu lassen: Wir als Nachbarn, Besucherin, Eltern, Vereinsmitglieder, Arbeitgeberin oder Kollege bestimmen durch Sozialkontrolle und Beistand wesentlich mit, ob junge Männer zu weit gehen und öffentlich Delikte begehen. In den Banlieues gehen inzwischen die Mütter afrikanischer Herkunft an Silvester auf Patrouille, um die Jungen von Vandalismus abzuhalten. Die europäische Problemkarte zeigt präzise an, wo es klappt und wo nicht.
Darum geht’s:
An Silvester wurden in Berlin Blaulichtfahrzeuge mit Böllern angegriffen. 18 Beamt*innen wurden verletzt. Wer die Täter genau sind und was sie für Motive haben, ist gar noch nicht bekannt. Trotzdem tobt in Deutschland bis in die Schweiz eine Debatte über den sozialen Hintergrund der Gewaltbereiten – Nationalitäten werden gezählt, Migrationshintergründe zum Thema gemacht. Viele Stimmen fordern hartes Durchgreifen, andere sagen, Menschen am Rand der Gesellschaft müssen besser integriert werden.
Ressentiments lösen keine Probleme
Bei Ereignissen, bei denen Personen mit Migrationsbiografie involviert sind, zeigt das Narrativ der politischen Debatten eine historische Kontinuität: Migrant*innen und geflüchtete Menschen werden pauschalisiert. Es kommt zu diskriminierenden und kulturalisierenden Verallgemeinerungen – über das Fehlverhalten in vergleichbaren Ereignissen von Staatsbürger*innen wird nicht geredet oder politisiert – mit vehementen Konsequenzen für die Bevölkerung mit Migrationsbiografie. Rassistische und diskriminierenden Ressentiments zu schüren, sind keine Lösung für tiefgründige gesellschaftliche Probleme, die uns alle betreffen. Statt Migrations- und Integrationsdebatten zu entfalten, müssen die Ursachen zunehmender gesellschaftlicher Gewaltbereitschaft aller Bevölkerungsgruppen und -schichten genau untersucht werden.
Über soziale Ursachen diskutieren
Die in Deutschland im Anschluss an die Krawalle in der Silvesternacht entbrannte Debatte ist rassistisch, weil dabei Migrant*innen unter Pauschalverdacht gestellt werden. Statt Gewalt zu ethnisieren, sollte vielmehr über ihre sozialen Ursachen diskutiert werden.
Unfassbar
Ich finde es unfassbar, dass Rettungskräfte, egal ob Feuerwehr, Krankenwagen oder Polizei, angegriffen werden. Dieser Umstand kann nicht toleriert werden. Wer genau für diese Taten verantwortlich ist, werden die Ermittlungen zeigen. Doch die erhöhte Gewaltbereitschaft bei Migranten ist sicherlich ein Problem. Gewisse Personen lassen sich auch nicht integrieren, egal wie oft man es versucht. In diesen Fällen muss die volle Härte des Gesetzes greifen. Etwas, was in der aktuellen Situation nicht praktiziert wird.
Präventive Massnahmen und Bildungsarbeit
Ausgelassene bis aufgeheizte Stimmung kombiniert mit einem erhöhten Suchtmittelkonsum bieten Potenzial, dass es zu Ausschreitungen kommt. Der Wunsch aus dem Alltag «auszubrechen» ist gross. Glücklicherweise ist die Problematik in der Schweiz nicht ganz so erhöht, wie in anderen Ländern. Damit das so bleibt, erachte ich präventive Massnahmen und Bildungsarbeit (z.B. Ausbau der Sozialen Arbeit, Jugendprävention in Schulen etc.) als unabdingbar.
Silvester Tradition
Ich hätte gerne, dass die Silvestertradition in der Schule erklärt wird. Dann würde die Knallerei um Mitternacht stattfinden, vielleicht eine halbe Stunde lang. Und nicht schon Tage vorher und Tage nachher.
Traumata heilen
Ob mit Gewalt beispielsweise auf der Strasse oder im Krieg: Warum verhalten sich Menschen so, als ob sie nicht wüssten, was wahr ist und was sie tun? Kann das unter anderem an Traumata liegen, die viele am Erkennen der Wahrheit hindern und die ihre Kreativität und Menschlichkeit blockieren? Ein Trauma sehe ich als das Ergebnis und zugleich als die Ursache von Elend und Handlungsunfähigkeit sowie vor allem auch von Gewalt, Kriegen und Zerstörung. Dass eine Mehrheit von einem Trauma und seiner Wahrheit nichts wissen will, kann es erst recht und kollektiv wirksam werden lassen ... und das sogar viele Generationen übergreifend! Es sind beispielsweise folgende Fragen, mit denen ich mich in diesem Zusammenhang möglichst konkret beschäftige: Warum und wie entsteht ein Trauma? Woran kann es erkannt werden und wie wirkt es? Was kann ich tun, und was können wir gemeinsam tun, um uns sowohl von individuell persönlichen als auch von kollektiven Traumata zu heilen?
Leider nützen solche Diskussionen wenig. Weil das ganze politisch bewusst polemisch und tatsachenwidrig ausgeschlachtet wird.