So macht Fussball keinen Spass

Der FCB driftet in die Bedeutungslosigkeit. Nicht nur, weil er im Meisterschaftsrennen keine Rolle mehr spielt und im Cup kläglich versagte. Im leeren Stadion fehlen die Fanmassen – und damit auch die Emotionen.

Bajour_Kolumne_Feb21

Melancholie macht sich breit. Vor rund drei Wochen fuhr ich gen Muttenz und sah das rotblau erhellte Joggeli. Unsere Kirche, unsere Kathedrale. Ohne Fans. Leer. 

Mir kommt der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht in den Sinn. In einem Essay gibt er zu, süchtig zu sein. Süchtig nach leeren Stadien, die er besuchen und erleben kann. In der Leere erfasst er das Geschichtsträchtige, stellt sich die wichtigsten Spielszenen vor und erlebt gerade in dieser selbstgewählten Leere das Stadion als Ort der Masse – weil er sich das volle Stadion vorstellt.

Gähnende Leere?

Gumbrechts Gedanken haben mich ziemlich beschäftigt. Leere Stadien sind eine Sache für sich. Einerseits sind sie sportgeschichtliche Denkmäler. Sie zeugen von (möglichen) Heldentaten und erwecken Vorfreude. Vergangene und kommende Geschichten sind regelrecht spürbar. Andererseits sind leere Stadien gerade in der heutigen Zeit schlicht eine Katastrophe. Sie machen Fussball zu etwas ... anderem.

Ich persönlich merke das gerade selber, denn ich muss zugeben, dass mir Fussball momentan ziemlich egal ist. Was mir handkehrum Sorgen bereitet, ist die Aussicht darauf, dass Basel einen historischen Teil der Stadtidentität ohne Zwang niederreisst: Die Tribüne des Landhofs. Ich setze mich also gerade sozusagen in multiperspektivischer Art mit leeren Stadien auseinander.

«Als ich beim 2:0 der Zürcher ins Gesicht meines Kollegen schaute, war da nicht einmal mehr Hoffnungslosigkeit oder Ernüchterung zu sehen. Nein, es war pure Gleichgültigkeit.»

Am Sonntag schauten wir zusammen das Spiel gegen den FCZ und es war wahrlich ein Klassiker. Denn das Spiel erinnerte mich an jene Deutschstunden, in denen unser Lehrer eintönig zur monologen Interpretation eines Literaturklassikers ansetzte – und mir fast das Gesicht einschlief. Als ich beim 2:0 der Zürcher nach links schaute, war da nicht einmal mehr Hoffnungslosigkeit oder Ernüchterung zu sehen im Gesicht des Kollegen. Nein, es war pure Gleichgültigkeit.

Das ist die hässliche Fratze des Fussballs unter Corona: Fussballspiele in kalten und leeren Stadien. Da ist mir grad auch scheissegal, dass YB halt wieder Meister wird und Sforza mit seinem Geschrei gopfer*ç%mi mühsam ist. Wenn Andrea Padula spielt, können wir wenigstens noch Trinkspiele machen: Bei jedem «Andreeeeaa!» gibt es einen Shot. Besoffen Fussball zu schauen, gibt zur Zeit eher Laune – gerade auch beim «eigenen» Verein, dem FCB. Fussball ist momentan bedeutungslos, für mich funktioniert er nicht ohne Masse – auch wenn ich nach wie vor jedes Spiel des FCB schaue und mich auch angeregt über Transfers unterhalten kann. Das sind die negativen Seiten von leeren Stadien.

«Basel, seriously? Du willst die Tribüne des Landhofs, ein geschichtliches Denkmal, ohne Zwang niederreissen?! Wow.»

Positiv sind leere Stadien aber eben dann, wenn sie einen kulturellen Mehrwert tragen, indem sie Geschichte vermitteln. Gerade in der jetzigen Situation wird für mich noch klarer, dass der Mythos FCB in der (Fan-)Masse aufgeht, durch diese getragen wird und die historische Relevanz des Vereins mit der Geschichte dieser Stadt und Region zusammenhängt. Die Tribüne des Landhofs gehört eben nicht nur zur FCB-Vereinsgeschichte, sondern auch zur Stadtgeschichte.

Leider sieht man dies in Basel – Kulturhauptstadt der Schweiz und Stadt der Museen – etwas anders. Hier behandelt man das kulturelle Erbe des erfolgreichsten Fussballvereins der Nordwestschweiz – nun ja – eigentlich gar nicht. Basel, seriously? Du willst die Tribüne des Landhofs, ein geschichtliches Denkmal, ohne Zwang niederreissen?! Wow.

«Es ist Zeit, dass die Massen in die Stadien zurückkehren. Sei es, um die historische Dimension des FCB auf dem Landhof zu erleben. Oder um Sforzas Geschrei im Joggeli zu übertönen.»

Vor drei Wochen, als ich gen Muttenz fuhr, vorbei am rotblau erhellten Joggeli, führte mich mein Nachhauseweg am Landhof vorbei. Er lag dunkel und still da. Gumbrechts Gedanken zu leeren Stadien drängten sich mir auf. Sind leere Stadien einfach leer? Oder hat es eben damit zu tun, was für eine Bedeutung die Leere hat?

Gegen Ende seines Essays schreibt Gumbrecht: «Was müssten wir verlieren, wenn es keine vollen Stadien mehr gäbe? (...) ohne die verklärende Kraft der Massen-Blicke veränderte sich vielleicht auch die Form, die Ästhetik der Spiele, an denen wir hängen (...), weil die Mannschaften (...) für die Massen spielen, mehr noch als für ihre Trainer und für ihre Bankkonten, mehr als sie wissen vielleicht.»

So oder so, es ist Zeit, dass die Massen in die Stadien zurückkehren. Sei es, um die historische Dimension des FC Basels auf dem Landhof zu erleben. Oder um Ciriaco Sforzas Geschrei im Joggeli zu übertönen. Davor trinken wir noch einen letzten Shot. «Andreeeeaa!»

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