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So richtig Hä?

Wie erleben Jugendliche Corona? Drei Baslerinnen erzählen.

Das Bild ist zu schön, um nicht damit anzufangen: Drei Mädchen, Alter 14, 15 und 17, stehen im Schützenmattpark und bauen ein Kubb-Spiel auf, daneben läuft «Jein» von Fettes Brot aus dem Handylautsprecher. Es ist 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee..

1996 ist eine Ewigkeit her, da war noch keine der Drei geboren. Fettes Brot sind heute drei mittelalte Männer, die Studioalben für Ewigfans im selben Alter produzieren. Aber das Lied ist offenbar immer noch aktuell. Was soll man sagen, so eine Hymne auf die Unentschlossenheit spricht ihnen wohl genau so aus dem wankelmütigen Teenieherz wie uns damals. Und um die Sache abzurunden, sehen Norma, Betty und Lucia aus, als kämen sie direkt vom Salt 'n' Pepa Konzert: Latzhose, Animal Print, Schlosskette, die volle Ladung Neunziger.

Aber auch wenn die Zeichen darauf hindeuten: Wir haben nicht die Neunziger, es ist 2020 und die Freundin bräunt sich höchstens mit Sicherheitsabstand am Rheinbord. Corona ist da, immer, und macht uns das Leben schwer. Besonders den Senior*innen, den Eltern, den Selbständigen. Und die Jugendlichen? Die wurden bisher kaum gefragt. Dabei betrifft es die genauso. Wer 15 ist, will sich abkapseln, finden, Freiheiten haben. Was, wenn das alles nicht mehr drinliegt?

Seit sechs Wochen ist Basel im Lockdown. Wie sehen eure Tage jetzt aus?

Betty: Jeder Tag ist irgendwie gleich.

Norma: Ich versuch, zuhause meine Routine zu behalten. Unter der Woche stehe ich um neun auf. Dann schau ich, was zu tun ist. Das sind dann zum Beispiel fünf Aufgaben, die ich am 3. Mai abgeben muss. Ich denk dann: Easy, ich hab ja noch ein paar Tage. Und dann mach ich den ganzen Tag lang gar nichts.

Lucia: Voll.

Norma: Meine Eltern denken, ich arbeite viel mehr für die Schule, als ich das eigentlich mach.

Und eure Lehrer?

Betty: Die finden‘s auch nicht besonders toll, hab ich den Eindruck. Die meisten haben keine Ahnung, wie sie mit der ganzen Technik umgehen müssen. Zum Beispiel bei Skype: Da funktioniert das Mikro nicht und die Person redet und redet aber man hört nichts. Die Hälfte der Zeit gibt es technische Probleme. Das ist lustig, aber so ungechillt.

Lucia: Ich bin in der Steinerschule in Deutschland. Die haben‘s in den vergangenen Wochen nicht hingekriegt mit Online-Klassen. Es gab einfach dauernd Emails, die hin und her geschickt wurden. Das war mega locker, aber sehr schwer für mich, durchzublicken, was sie eigentlich von mir wollen. Ich habe Mühe, selbständig zu arbeiten.

Fällt es euch jetzt schwerer, Privates von Schulischem zu trennen?

Lucia: Ja.

Betty: Schon, ja.

Norma: Man hat halt keine Routine mehr. Mein Leben fällt mir viel einfacher wenn ich einen bestimmten Weg befolgen kann. Also am Morgen aufstehen, in die Schule gehen und dann Freizeit. Aber jetzt dauert die Freizeit den ganzen Tag lang und ich muss den Schulstoff irgendwie reinbringen. Das ist mega schwierig. Ich wechsle im Sommer aufs Gymi und hab Angst, da den Anschluss zu verpassen. Man hat jetzt die Möglichkeit, nur dieses Wenige zu bringen und dann bringt man nicht sein Bestes. Auch ich nicht. Aber auf dem Gymnasium wird alles viel schneller gehen. Das wird richtig stressig für mich.

Verspürt ihr sowas wie Zukunftsangst?

Norma: Ich bin mega faul. Wenn ich keine Lehrer habe, die mich kontrollieren, ist es doppelt schwierig. Ich habe nichts, woran ich mich festhalten kann.

Lucia: Bei mir wird nächstes Jahr entschieden, ob ich Abitur machen darf oder nicht. Die Zeit jetzt ist also auch wichtig und ich verspür einen grossen Druck. Aber es ist wie bei Norma: Ich bin auch recht faul.

Betty: Ich bin mir eh nicht sicher, was ich nach der 9. Klasse machen will. Jede Woche will ich was Anderes. Vor zwei Wochen wollte ich an eine Kunstschule, dann merkte ich, dass ein Abschluss vielleicht nicht dumm wäre. Und jetzt hab ich Lust auf eine Lehre als Velomechanikerin. Ich schwebe momentan etwas rum.

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«Ich bin mega faul. Wenn ich keine Lehrer habe, die mich kontrollieren, ist es doppelt schwierig. Ich habe nichts, woran ich mich festhalten kann.»
Norma, 14.

Haltet ihr euch an die Vorschriften?

Betty: Ich gebe mir echt Mühe, aber es ist sehr schwierig. Ich fahr nur mit dem Fahrrad und habe meine sozialen Kontakte stark eingeschränkt. Seit das mit diesem Virus angefangen hat, verspüre ich ein Fernweh. Das hatte ich vorher auch schon, aber jetzt hat es sich hundertmal verstärkt. Ich hab das Gefühl, ich muss weg. Egal wohin. Das kann sogar Liestal sein, ganz egal.

Norma: Liestal!

Betty: Nein, voll! Hauptsache nicht Basel. Man ist die ganze Zeit in dieser Stadt, es gibt nichts zu tun, man sitzt aufeinander, jeder Tag ist gleich. Wir sind in einem Alter, in dem wir ohnehin weg wollen und die Situation jetzt macht‘s nochmal schlimmer. Mir ist ja klar, dass das momentan nicht drin liegt. Aber ich will es trotzdem, ich kann‘s gar nicht steuern. Das ist so frustrierend.

Norma: Basel ist halt wirklich ein krasses Dorf. Und in diesem blöden Teenagerleben ist halt alles irgendwie verstrickt miteinander. Du hast nicht nur Probleme, sondern du weisst auch nie, wer alles von deinen Problemen weiss. Weil alle kennen sich.

Betty: Alle!

Wirklich?

Lucia: Ja.

Betty: Das ist echt strange.

Norma: Man erfährt so extrem viel, was einen nicht angeht. Und jetzt wo man nichts Besseres zum drüber reden hat, ist das noch viel krasser geworden. Es passiert nichts mehr, und deshalb muss alles raus. Und alles was raus kommt, ist mega dramatisiert. Früher wäre mir was passiert und dann hätte ich das ohne grosses Drama halt einfach erlebt. Aber jetzt ist alles, was passiert, plötzlich so aufgeladen.

Wie ist die Stimmung bei euch zuhause?

Norma: Nur noch Streit. Nur noch!

Betty: Die Stimmung ist oft angespannt weil man nicht weiss, was man mit der vielen Zeit anfangen soll.

Norma: Man ist viel genervter. Ab allem.

Betty: Man hockt so aufeinander.

Norma: Und das mit dem nicht rausgehen ist schwierig einzuhalten, weil die Spannung zuhause irgendwann so stark ist, dass es zu viel wird. Meine Mutter kommt oft zu uns und sagt „lasst uns doch zusammen etwas unternehmen. Diese Corona Zeiten sind soo langweilig!“

Betty: Meine Mutter auch. Sie hat viel öfter das Bedürfnis, was mit mir zu machen. So «gehen wir heute Joggen zusammen?» Und ich so äähh. Nicht falsch verstehen: Jetzt wo man auch mal Zeit dafür hat, ist das ja vollkommen verständlich. Aber halt trotzdem so hmm.

Norma: Wir lieben unsere Eltern, aber das ist schon seltsam.

Lucia: Bei mir kommt hinzu, dass ich eine kleine Schwester hab, auf die die letzten drei Wochen jemand aufpassen musste. Meine Eltern arbeiten beide und ich bin zuhause, also hab ich das übernommen. Nicht die ganze Zeit und ich hab‘s auch angeboten, aber es war schon eine zusätzliche Belastung. Mein Vater und seine Frau sagen, unsere Wohnsituation sei jetzt halt mehr wie eine WG, dadurch, dass ich schon 17 bin. Ich muss jetzt auch mal kochen oder Verantwortung übernehmen. Aber gleichzeitig will ich raus können und machen, was ich will. Dieser Konflikt war vorher schon da, die Corona-Zeit verschärft den einfach.

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«Meine Mutter lebt in Deutschland. Ich kann sie nicht sehen, weil ich nicht über die Grenze darf. Das ist sehr komisch. Dass da auf einmal so ein Zaun steht.»
Lucia, 17.

Wie steht es um eure sozialen Kontakte?

Norma: Naja, das Drama das man als Teenager hat, war schon vorher da.

Betty: Man hat jetzt einfach viel zu viel Zeit zum Denken.

Alle drei lachen

Wie meint ihr das?

Norma: Du machst zum Beispiel mit jemandem ab. Vor Corona hattest du keine Zeit, gross drüber nachzudenken, wie das sein würde, wenn ihr euch seht. Und jetzt hast du nichts Besseres zu tun als das. Du denkst nonstop darüber nach und es wird zu etwas total Wichtigem, was es früher gar nicht war. Weil‘s zum Alltag gehörte.

Betty: Man merkt jetzt voll, mit wem man was zu tun haben will. Ich hab auch so viele Leute schätzen gelernt. Meine Grosseltern zum Beispiel.

Was früher nicht der Fall war?

Betty: Wenn es hiess, ok wir machen jetzt Ferien bei den Grosseltern, dann wars immer so uäh gerade keine Lust. Recht asi. Also ja, ich bin ein Teenager, da ist das glaub normal, aber trotzdem – jetzt hätte ich viel mehr Lust, die zu sehen. Weil ich von ihnen getrennt bin.

Lucia: Ich lebe bei meinem Vater hier, meine Mutter lebt in Deutschland. Ich kann sie nicht sehen, weil ich nicht über die Grenze darf. Zweimal habe ich sie am Grenzzaun besucht, mehr nicht. Das ist sehr komisch. Dass da auf einmal so ein Zaun zwischen uns steht.

Betty: Wir gehen manchmal auch da hin und treffen uns mit Freunden von drüben.

Lucia: Das ist so surreal.

Betty: Es ist sehr abgefuckt. Du stehst dort und sie dahinter und man kann sich unterhalten, aber der Gedanke, dass du da nicht rüber darfst, ist jederzeit voll präsent. Das ist abartig. Ich hatte gemischte Gefühle, weil ich mich freute, sie zu sehen, und gleichzeitig fühlte ich mich nur ein paar Schritte davon entfernt, was Verbotenes zu tun. Und die ganze Zeit fährt die Polizei rum.

Lucia: Es fühlt sich halt echt wie in einem Überwachungsstaat an. Und gleichzeitig total willkürlich. Niemand hat wirklich eine Ahnung, was zu tun ist. Wir wollten grillen und das Militär fuhr vorbei, dann ist Betty hinterher und hat gefragt, ob wir ein Feuer machen dürfen. Und die stiegen aus, mit Gewehr und allem, und sagten: Wir wissen‘s nicht.

Kennt ihr jemanden, der Corona hat?

Lucia und Betty schütteln den Kopf

Norma: Ein paar Kollegen meiner Eltern. Und es ist mega blöd: Mein Grossvater wohnt in dem Altersheim dort drüben. Meine Mutter hat kürzlich gefragt: «Norma, kommst du mit den Ätti über die Strasse anschreien?» Das ist lustig, aber auch irgendwie voll schlimm. Und ich hab Bekannte, die der Risikogruppe angehören. Die machen jetzt Selbstisolation. Das ist schon hart.

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«Ich hab jetzt angefangen, Dinge zu machen, für die ich sonst nie Zeit habe. Texte schreiben, zeichnen. Das ist echt sehr schön.»
Betty, 15.

Hat euch Corona verändert?

Betty: Also mich prägt diese Zeit schon. Ich kann jetzt aber noch nicht sagen, wie.

Norma: Ich glaube nicht, dass mich Corona verändert hat. Für mich ist das jetzt wie eine Pause vom normalen Leben. Wenn ich in fünf Jahren an diese Zeit zurückdenken werde, dann wird das so ein grosses verschwommenes Etwas sein. Jeder Tag ist irgendwie gleich und irgendwie auch nicht.

Betty: Es ist so richtig hä.

Norma: Ja genau, so hä?

Lucia: In den Sommerferien denke ich auch oft: Ich hab mich verändert, alles hat sich verändert. Aber dann ist wieder Schule und nach zwei Wochen weiss man ok, alles so wie immer. Trotzdem glaube ich, dass diese Zeit uns beeinflusst. Allein was diese Krise in der Gesellschaft ausgelöst hat. Das prägt ja das eigene Denken, auch wenn es einen nicht so betrifft. Und irgendwann steht's in den Geschichtsbüchern. Das wird auf jeden Fall was sein, das man seinen Kindern erzählt. Wie meine Eltern die DDR.

Betty: Ich glaub ich bin zu einem noch viel fauleren Sack geworden. Schulisch, meine ich. Aber ich bin eben auch aufgeblüht. Ich hab jetzt angefangen, Dinge zu machen, für die ich sonst nie Zeit habe. Texte schreiben, zeichnen. Das ist echt sehr schön. Ich kann mir endlich Zeit nehmen für Sachen, die mich wirklich interessieren.

Lucia: Meistens kommst du halt von der Schule heim und gehst direkt ins Bett. Jetzt hab ich viel mehr Energie und Motivation, mein Zimmer aufzuräumen oder Wäsche zu machen. Ich merke, wie mir das mehr Spass macht als Schule. Aber auch kreative Dinge, zu malen und Musik zu machen. Man kommt auf Gedanken, auf die man sonst nicht kommen würde.

Und wenn‘s vorbei ist, geht‘s dann wieder ab ins Bett?

Lucia lacht: Ja, das ist die Frage. Ich glaub aber schon.

Die tollen Bilder in diesem Interview sind von Eleni Kougionis.

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Davor: Kulturredakteurin bei Tageswoche, bz, SRF Kultur

Kann: Zuhören

Kann nicht: Witwen schütteln

Liebt an Basel: Die Gipfeli im Damatti, der Schnaps im goldenen Fass, die Seerosen im Beyeler.

Vermisst in Basel: Einen anständigen Glacéladen. Nein, auch das Acero reicht meinem verwöhnten Berner Gaumen nicht. (Gelateria, zu Hilf!)

Interessensbindungen: Reporterforum (Vereinsmitglied), Medienfrauen Schweiz, Podcastlab Schweiz (Gründermitglied)

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