Spass mit Spionen

Drei freche Frauen spielen wichtige Männer: Spione! Die Herren waren mal Helden, sind aber lächerlich geworden. «Erpresso Macchiato» heisst das Stück, das ein junges Publikum begeisterte.

Erpresso Macchiato im Theater Basel
Rasante Fahrten mit schnittigen Autos gehören in jeden Spionagefilm. (Bild: Ingo Hoehn)

Männer! Richtige Männer! Helden! Die gibt es noch im Spionagefilm. Und den parodieren im Theater Basel die drei Schauspielerinnen Elmira Bahrami, Marie Löcker und Annika Meier. Sie sind saukomisch, virtuos und vielfältig. Das Publikum kommt aus dem Lachen nicht heraus. Anderthalb Stunden rasantes Spiel. Und sie sind total entspannt, ohne Aggressionen. Sie haben einfach Spass an der Karikatur. Das liegt daran, dass sie verstanden haben: Dem Spion ist der Auftrag, für den er kämpfen und sich aufopfern kann, abhanden gekommen. Noch im kalten Krieg musste er die westliche Welt retten. Im heutigen Chaos weiss er nicht ein noch aus. Er ist vereinsamt, seine Macker-Gesten sind lächerlich geworden. Seine Zeit ist vorbei.

Alle und alles, sogar die Objekte, stehen unter Verdacht – und siehe da, plötzlich bewegen sich Steine.
Felix Schneider

Verspottet werden die wichtigsten Muster des Spionagefilms. Schon die Begegnung der drei Helden gestaltet sich stressig: Man misstraut sich. Ein falsches Wort und man «zieht» - wie bei Lucky Luke: Männer, die schneller ziehen als ihre Schatten. Alle und alles, sogar die Objekte, stehen unter Verdacht – und siehe da, plötzlich bewegen sich Steine. Was steckt dahinter? Verschwörungen und Geheimnisse allüberall! Man ist immer in Gefahr. Mann trägt gerne Cowboystiefel und bewegt sich breitbeinig wie ein Bär, schwerfällig, langsam, bis er plötzlich blitzschnell eine Frau anfällt und küsst. Männer lümmeln an der Bar herum, lehnen sich lässig auf den Tresen, und die Augen fallen ihnen aus dem Kopf, wenn die Barmaid Haut zeigt. Natürlich gehören rasende Fahrten mit schnittigen Wagen dazu: es sind – ein Highlight der Inszenierung – kleine fahrbare Kinderautos. Ein strenges Verhör mit Folter und Leiden muss sein. Es ist glänzend gespielt, ohne jede Peinlichkeit, ohne die Satire zu verlassen.

Spurensuche

Den Text, eine reine Spielvorlage, haben die Spielerinnen mit dem jungen Franz Broich entwickelt. Er hat sich hier in Basel vom Regieassistenten über die erste Regie (Michelle Steinbecks «Die beste aller Zeiten») bis zu dieser Produktion mächtig entwickelt, jedenfalls, wenn man annimmt, dass die gute Zeitökonomie im Ganzen und in den einzelnen Szenen, sein Verdienst ist. Im Unterschied zu anderen Ensembleproduktionen gibt es hier keine störenden Längen.

Irgendwann um die Mitte des Abends singen die Spielerinnen einen kurzen, zu kurzen, und erst noch veränderten Auszug aus John Lennons Song «God» von 1970. Geht man dieser Spur nach – man muss es auf eigene Faust tun, die Inszenierung lässt einen da im Stich - so kommt vielleicht eine Antwort auf die Frage in Sicht, warum sich das Theater mit Spionagefilmen befasst. In «God», geschrieben nach dem Ende der Beatles-Band, zählt Lennon auf, woran er nicht mehr glaubt: Eine lange Liste, endend mit «I don’t believe in Beatles», unmittelbar gefolgt von der (in Basel aus unerfindlichen Gründen gerade nicht gesungenen) Versicherung «I just believe in me / Yoko and me / That’s reality».

Zur Darstellung des Identitätsproblems ist der Spionagefilm nun aber sehr geeignet, dieser Fokus ist eine geschickte Wahl der Theaterleute.
Felix Schneider

Und genau diese Gewissheit ist heute nicht mehr möglich. Die sozialen Medien und die Künstliche Intelligenz (KI) haben die Identität der Personen ebenso in Frage gestellt wie den Konsens über die Realität. Ich kann und muss mich vervielfältigen, andere können mich vervielfältigen. Es gibt «alternative Fakten», Fakes und Deep-Fakes. Zur Darstellung des Identitätsproblems ist der Spionagefilm nun aber sehr geeignet, dieser Fokus ist eine geschickte Wahl der Theaterleute. Das Doppelleben der Protagonisten in den Spionagefilmen wirft ebenfalls Fragen nach der Indenität auf, Täuschung und Selbsttäuschung gehören zur Welt der Spione, viele von ihnen sind entwurzelte Existenzen, die am eigenen Wertsystem zu zweifeln beginnen. Auch haben sie es mit undurchschaubaren Gegnern und internationalen Konfliktsituationen zu tun – lauter aktuelle Eigenschaften des Spionagefilms.

Erpresso macchiato im Theater Basel
Spione sind immer in Gefahr. (Bild: Ingo Hoehn)

Erpresso Macchiato steckt denn auch voller Anspielungen auf die Geschichte des Spionagefilms von Fritz Lang («Spione») über Alfred Hitchcock («Secret Agent») bis zu James Bond und «Mission: Impossible – Dead Reckoning» (2023). Insbesondere Hitchcock ist ein guter Anknüpfungspunkt, da er schon 1936 in der Darstellung der Identitätsproblematik sehr weit ging. Bei seiner Hauptfigur Elsa Carrington weiss man nie, aus welchen Gründen sie sich Männern nähert. Ist ihre Motivation Liebe? Sex? Oder Spionage? Auch spielt «Secret Agent» ja teilweise in der Schweiz – oder in dem, was Hitchcock für die Schweiz hielt. Da der geniale Streifen im Netz in englischer wie in deutscher Version frei verfügbar ist, sei er als lustvolle Vorbereitung auf den Theaterbesuch empfohlen. 

Das begehrte junge Publikum

Am Ende des Abends sitzen die drei Spielerinnen auf einem Berg und lassen drei Textberge auf das Publikum los: Drei Monologe über Einsamkeit, Glaubensverlust, Ziellosigkeit. Man könnte diese Texte positiv lesen, als Bekenntnisse. Auf der Bühne werden sie aber ironisiert. Der Abend kommt aus der ironischen Distanz nicht heraus. Die witzige, handwerklich perfekte und unverbindliche Parodie entsprach ganz offensichtlich der Gemütslage des jungen Publikums, das zahlreich anwesend und sehr begeistert war. Nur der alte Theaterkritiker bleibt noch etwas skeptisch. 

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