Strafen ohne Schuld sind eines Rechtsstaates unwürdig

Eine Zürcher Schlägerei, bei der rund 50 Personen auf Anhänger des FC Zürich losgehen, sorgt für Gesprächsstoff. Auch gegen Personen, die bereits am Boden liegen, wurde getreten und geschlagen. Für dieses Verhalten hat Kolumnist Luca Urgese kein Verständnis. Doch die Reaktion der Behörden sei eines Rechtsstaates unwürdig, schreibt er.

Basel's Spieler feiern mit den Fans vor der Muttenzerkurve, nach dem Sieg im Super League Spiel zwischen dem FC Basel 1893 und dem BSC Young Boys, im Stadion St. Jakob-Park in Basel, am Sonntag, 6. Oktober 2024. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Am Ostermontag bleibt die Muttenzerkurve leer. (Bild: © KEYSTONE / PETER KLAUNZER)

Zunächst liesse sich eine Diskussion darüber führen, ob es sich bei den Gewalttätern tatsächlich um Anhänger des FC Basel handelte, wie das die «Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden» der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) in einer Medienmitteilung festhält. Die Bekleidung war nämlich eher ungewöhnlich. Weder einfarbige T-Shirts noch weisse Hosen noch helle Sneakers entsprechen dem Dresscode der Muttenzerkurve.

Wer sich ansehen will, wie diese sich üblicherweise kleidet, nämlich in dunklen Kapuzenpullis, Jeans und dunklen Schuhen, kann sich die ersten zehn Sekunden der Matchberichterstattung des Spiels gegen den FC Zürich ansehen. Doch das soll hier nicht der Punkt sein, auch wenn es eher seltsam ist. Es ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, Täter konkret zu identifizieren und zu bestrafen.

Zur Person

Luca Urgese, Jg. 1986, politisiert seit 2014 für die FDP im Grossen Rat. Von 2016 bis 2021 war er Parteipräsident. Im März kandidierte Urgese für den Regierungsrat, unterlag jedoch Mustafa Atici. In seiner Kolumne «Caffè Urgese» schaut er mit der bürgerlichen Brille auf Basel. Er äussert sich als Politiker und nicht als Mitarbeiter der HKBB.

Grosses Unverständnis über Schliessung der Muttenzerkurve

Was hingegen verbreitet für grosses Unverständnis sorgt, ist die Schliessung der Muttenzerkurve für das Spiel vom Ostermontag gegen Yverdon-Sport. Dies entspricht gemäss Behörden der Stufe 3 des sogenannten Kaskadenmodells. Dieses Modell der KKJPD sieht vor, dass es bei «Gewalt gegen Personen mit Verletzungsfolge» zu einer «Schliessung der Fankurve des fehlbaren Clubs für mindestens ein Spiel» kommt. Erforderlich für eine Sanktion sind ausdrücklich «Gruppenhandlungen». Taten von Einzelpersonen sollen das Kaskadenmodell nicht auslösen. Die Behörden versprechen sich von diesem Modell eine präventive Wirkung. Die Arbeitsgruppe schreibt hierzu ausdrücklich: «Das Modell ist denn auch nicht als Strafkatalog, sondern als Mittel zur Verhinderung weiterer Eskalationen konzipiert.»

Es gibt mehrere Punkte, die mich dazu veranlassen, diese Massnahme kritisch zu beurteilen. Zuerst vorweg: Ich bin von dieser Sperre persönlich betroffen. Seit über 20 Jahren habe ich eine Saisonkarte in der Muttenzerkurve. Ich kleide mich zwar nicht gemäss dem genannten Dresscode, stehe abseits des harten Kerns und reise auch selten an Auswärtsspiele. Ich war nicht in Zürich. Dennoch werde ich von dieser Massnahme sanktioniert.

Der FCB war nicht Gastgeber des Spiels in Zürich. Er hat keine Kontrolle über das Verhalten von mutmasslichen Gästen eines Spiels in Zürich, schon gar nicht ausserhalb des Stadions.

Die Behörden behaupten zwar, es handle sich beim Kaskadenmodell um eine präventive Massnahme. Doch das ist offensichtlicher Unsinn. Das Modell sieht für konkrete Ereignisse konkrete Massnahmen nach dem System «Wenn … dann …» vor. Wir kennen das aus dem Strafrecht. Wer sich strafbar verhält, bekommt eine Sanktion im gesetzlich festgelegten Rahmen. Natürlich soll das Strafrecht auch eine präventive Wirkung haben. Die Menschen sollen wissen, was die strafrechtlichen Konsequenzen ihres Verhaltens sind.

Juristen sprechen hierbei von spezialpräventiver Wirkung (das Individuum soll sich künftig gesetzeskonform verhalten) und generalpräventiver Wirkung (die anderen sollen sehen, dass strafbares Verhalten sanktioniert wird). Im Fokus stehen aber immer das Individuum, sein Verhalten und die Konsequenzen daraus.

Verantwortung für Mitgäste einer Party?

Die Massnahme trifft zuallererst den FC Basel als Veranstalter des von der Sperre betroffenen Spiels. Er ist jetzt für fünf Spiele, und zwar Heim- und Auswärtsspiele, «auf Bewährung». Der FCB war jedoch gar nicht Gastgeber des Spiels in Zürich. Er hat keine Kontrolle über das Verhalten von mutmasslichen Gästen eines Spiels in Zürich, schon gar nicht ausserhalb des Stadions. Worin genau soll er sich also bewähren?

Deshalb steht auch die Aussage von Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann über die Mitverantwortung des Vereins («Bei einer Party fällt es auch auf mich zurück, wenn sich meine Gäste unanständig benehmen.») völlig schief in der Landschaft. Lade ich Gäste zu mir nach Hause ein, trage ich eine Mitverantwortung für das, was in meinen vier Wänden passiert. Bin ich hingegen in Zürich zu Freunden eingeladen, wäre es absurd mir eine Mitverantwortung dafür zuzuschreiben, wie andere Gäste sich nach der Party auf ihrem Heimweg verhalten.

Basel-Stadt ist nicht dem «Hooligan-Konkordat» beigetreten. Dennoch verhalten sich die Behörden des Kantons, als habe es diesen Entscheid nie gegeben.

Der Massnahme liegt offensichtlich der Gedanke zugrunde, dass potenzielle Gewalttäter ihrem Lieblingsverein nicht schaden wollen und sich deshalb korrekt verhalten, damit es keine Sanktion gegen den Verein gibt. Dazu sagen wir Sippenhaft. Und es gibt gute Gründe dafür, weshalb es im modernen Rechtsstaat keine solche Sippenhaft mehr gibt. Der Sippe Nachteile anzudrohen, wenn man sich nicht wunschgemäss verhält, entspricht dem Muster des typischen Filmbösewichts: Wenn du nicht tust, was ich dir sage, muss deine Familie daran glauben. Das kann nicht unser Anspruch an einen Rechtsstaat sein.

Bleibt noch die Frage offen, ob eine solche Massnahme überhaupt rechtlich zulässig ist oder nicht. Bekanntlich sind weder der Kanton Basel-Stadt noch der Kanton Basel-Landschaft dem sogenannten «Hooligan-Konkordat» beigetreten. Beide Parlamente haben einen Beitritt nach intensiven Diskussionen abgelehnt. Dennoch verhalten sich die Behörden des Kantons, als habe es diesen Entscheid nie gegeben. Die Sperrung wurde zwar vom Kanton Basel-Stadt als zuständiger Bewilligungsbehörde ausgesprochen. Nur: Kommuniziert wurde sie von der bereits erwähnten «Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden». Auf der Webseite des Kantons findet sich keine entsprechende Mitteilung.

Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit

In seiner Antwort auf eine Interpellation meines Ratskollegen Beda Baumgartner hat der Regierungsrat ausgeführt, er stütze sich auf die Bewilligungspflicht gemäss kantonalem Polizeigesetz. Diese könne ganz oder teilweise erteilt werden. Das ist richtig. Doch Behörden sind an das Verhältnismässigkeitsprinzip gebunden. Eine behördliche Massnahme muss geeignet sein, die angestrebte Wirkung zu erreichen.

Ob dieser Anspruch hier erfüllt ist, darüber werden letztendlich die Gerichte zu entscheiden haben, weil sich der FC Basel entschieden hat, rechtlich gegen die Massnahme vorzugehen. Doch es gibt gute Gründe, daran zu zweifeln.

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