Station 1: Der Segerhof – Christoph Burckhardt oder 1000 tote Sklav*innen
Jeden Tag gehen wir an Gebäuden in Basel vorbei, die in der Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus eine Rolle spielten. Was passierte hinter diesen Mauern? Wer lebte und arbeitete da? Wir spazieren durch die Stadt und machen Halt an der Ecke Spiegelgasse/Blumenrain.
Die Basler Altstadt im Spätsommer. Die Ferienzeit ist seit geraumer Weile vorbei, das Alltagsleben hat die Stadt wieder im Griff. Um die Schifflände tummeln sich Geschäftsleute, Tourist*innen, Bummler. Vom Rummel unberührt thront an der Ecke Spiegelgasse/Blumenrain das Gebäude der Basler Kantonalbank. Ein Haus wie viele andere, blitzblank und charakterlos. Nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass hier, im einstigen Segerhof, wichtige Fäden der Basler Wirtschaftsgeschichte gezogen wurden. Auch dunkle Fäden.
Zeitenblende. Wir schreiben das Jahr 1789. Gut 15’000 Menschen leben in Basel, es ist nach Genf die zweitgrösste Stadt auf dem Gebiet der alten Eidgenossenschaft. Basel ist geprägt von sozialen Gegensätzen, zwischen Handwerkern und Kaufleuten, zwischen Bürger*innen und Aufenthalter*innen. Das Recht, eine «Handelsschaft» auszuüben oder einem freien Gewerbe nachzugehen, bleibt männlichen zünftigen Bürgern vorenthalten.
Die Burckhardt-Merians ziehen in den Segerhof
Christoph Burckhardt-Merian ist einer von ihnen. Gerade hat er mit seiner Frau und den fünf Söhnen den Segerhof bezogen. Ein äusserlich strenger und schlichter Bau des bekannten Architekten Samuel Werenfels, der innerlich üppig ausgestattet ist. Ein filigraner Kronleuchter taucht den «Grauen Saal» in warmes Licht, die Wände zieren Bildnisse aus der antiken Mythologie. Auch die restlichen Zimmer des Wohnhauses sind prächtig und kostbar eingerichtet.
Die Firma wird sich noch tiefer in den Handel mit Sklav*innen verstricken.
Im Erdgeschoss des Segerhofs werden die Geschicke der «Christoph Burckhardt & Cie.» geleitet. Sie wird in den nächsten Jahrzehnten einen weltweiten Grosshandel mit bedruckten Baumwolltüchern (Indiennes) und auch sogenannten Kolonialwaren wie Zucker, Kaffee und Kakao betreiben. Und sie wird sich demnächst noch tiefer in den Handel mit Sklav*innen verstricken.
In Afrika wird die Basler Ware – feines bedrucktes Tuch – gegen Menschen eingetauscht.
Das Geschäft mit Sklav*innen ist es, auf dem der damalige europäische Reichtum im Wesentlichen fusst. Der transatlantische Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika erlebt im 18. Jahrhundert eine Blütezeit. Immer zahlreicher werden die Schiffe, die aus Europa Waren nach Afrika verfrachten. Gewehre, Glasperlen oder eben auch bedruckte Tücher, wie sie die «Christoph Burckhardt & Cie.» herstellen lässt.
In Afrika wird die Ware gegen Menschen eingetauscht, die sodann nach Amerika verschifft und an Plantagenbesitzer verkauft werden. Dort schuften sie ihr Leben lang. Mit dem Erlös aus dem Menschenhandel werden Baumwolle, Zucker und Tabak eingekauft – Güter, nach denen die Nachfrage in Europa steigt und steigt. Luxuswaren, mit denen sich reich werden lässt.
Burckhardt Junior verschifft über 7'350 Sklav*innen nach Amerika
Das Geschäft reizt auch den gleichnamigen Sohn von Christoph Burckhardt, der sich aus Basel aufmacht ins französische Nantes. Dort will er sich vom einflussreichen Vater emanzipieren, tauft sich um in Christophe Bourcard und gründet die Tochterfirma «Bourcard Fils & Cie.» Bald will er auch in den Sklavenhandel einsteigen, wie er dem Vater schreibt. An insgesamt 21 Sklavenhandelsexpeditionen beteiligen sich die Burckhardt’schen Firmen zwischen 1783 und 1818 gemäss heutigem Forschungsstand. Etwa 7'350 afrikanische Sklav*innen werden dabei nach Amerika verschifft. Mehr als 1’000 sterben alleine auf der Überfahrt.
In den jungen USA, England und Frankreich wächst die moralische Empörung über die Sklaverei. Nicht so bei den Burckhardts.
Es ist die Zeit zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongress. Menschenrechte gewinnen an Bedeutung und weltweit werden die kritischen Stimmen zur Sklaverei lauter. In den jungen USA, England und Frankreich wächst die moralische Empörung. Nicht so bei den Burckhardts. «Obwohl Christophe Bourcard mit der französischen Revolution sympathisierte, reflektierte er die moralischen Implikationen des Sklavenhandels selbst dann nicht, als dieser von der Revolutionsregierung bereits verboten war», schreiben die Historiker Niklaus Stettler, Peter Haenger und Robert Labhardt in ihrem Buch «Baumwolle, Sklaven und Kredite», das sich mit der bewegten Geschichte der Welthandelsfirma auseinandersetzt.
Viel verdient haben die Burckhardts am Sklavengeschäft nicht. Baumwollhandel und Schmuggelgeschäfte waren weit lukrativer. Nichtsdestotrotz hat der Menschenhandel ihren Firmen auch in bewegter Zeit das Überleben gesichert. Bis in Nantes die Geschäfte allmählich aus dem Ruder laufen. Ein Sklavenschiff, das auf Abwege gerät und schliesslich fast die gesamte Fracht verliert.
Langwierige Gerichtsprozesse, unglückliche Spekulationen. Misserfolg reiht sich an Misserfolg. Christophe Bourcard befindet sich zunehmend in depressiver Verstimmung. «Wenn man einen wenig kultivierten Charakter hat und überdies nicht sehr arbeitsam ist, dann ist man schnell von schlechten Gefühlen umgeben», hält er selbstkritisch in seinem Abschiedsbrief von 1815 fest.
Um seiner Familie weitere Schande zu ersparen, setzt Christophe Bourcard seinem Leben in Nantes ein Ende. Nach Basel in den Segerhof kehrt er nicht mehr zurück. Seinem Bruder schreibt er kurz vor seinem Tod, er habe es nicht gewagt, heimzukommen, um sich vor den Augen seiner Familie den Tod zu geben.
Auch heute profitiert Basel noch von seiner kolonialen Vergangenheit.
Der Segerhof wird 1935 abgerissen. Doch noch immer fliesst da, wo er stand, viel Kapital. Und wie viel seiner Prosperität verdankt das heutige Basel dem Kolonialismus? Viel, meint Veit Arlt vom Zentrum für Afrikastudien der Universität Basel. «Die hier produzierten Waren und das Basler Kapital zirkulierte: Anteilsscheine wurden gekauft, Kredite gegeben, ja sogar Versicherungen für die risikoreichen Sklavenfahrten abgeschlossen und natürlich mit Kolonialwaren gehandelt.
Die Frage, wie gross der direkte Profit aus dem Sklavenhandel war, ist gar nicht so wichtig», sagt Arlt. «Entscheidend für die gewaltige Kapitalakkumulation und den schnellen Wachstum der Industrie war vielmehr, dass das Kapital über die kontinentalen Grenzen hinweg zirkulieren konnte und stetig am hiesigen Standort reinvestiert wurde.»
Die regionale Textilindustrie des 17. und 18. Jahrhunderts bildete die Basis für den wirtschaftlichen Aufstieg Basels, die Ausbildung des heutigen Chemie-Standorts und den heutigen Wohlstand am Rheinknie. Soweit seien sich alle einig, meint Veit Arlt. Im Allgemeinen werde jedoch ausgeblendet, dass diese Industrie Teil eines internationalen Geflechts war – in dem der transatlantische Dreieckshandel mit Menschen eine zentrale Rolle spielte.
Buchtipp: Peter Haenger, Robert Labhardt, Niklaus Stettler: Baumwolle, Sklaven und Kredite. Die Basler Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789-1815)
Der Bajour-Spaziergang «Neue Augen auf die Stadt» beleuchtet verschiedene Basler Schauplätze des Sklavenhandels und des Kolonialismus. Die Autorin Simone Krüsi ist Germanistin, Ethnologin und Balkanwissenschaftlerin.
Die nächste Station unserer Serie führt uns an den Schmiedenhof zu...Isaak Iselin.