Sprich mit mir, Vater!
Eine junge Frau versucht auf unterschiedliche Art ihrem Vater nahe zu kommen. Das Stück «Diese Nachricht wurde gelöscht» gibt Einblicke in eine Beziehung zwischen Vater und Tochter: sie sucht Nähe und Kontakt, während er schweigt.
«Früher haben wir zusammen gespielt und alles war gut.» Stundenlang haben sie gespielt. Vater und Tochter, mit dem rosa Gameboy, den er ihr zum Geburtstag geschenkt hat. Bis zum 99. Level haben sie es gemeinsam geschafft. Als Zwölfjährige war sie es, die ihren Vater zum Arzt begleitete und für ihn, der nur gebrochen Deutsch sprach, übersetzte.
Und dann kam die Pubertät. Als die Tochter 16 war, wurde sie einmal für die «Neue» ihres Vaters gehalten; eine «komische» Situation sei das für sie gewesen. Und er? Er schwieg. Zum ersten Mal schwieg der Vater. Damit beginnt für sie eine Reise zwischen Nähe und Distanz. Sie versucht mit ihrem Vater in Kontakt zu treten - erst über WhatsApp, später in der Disco, beim Achtsamkeitstraining oder beim Autorennen.
Vater und Tochter in der Disco.
«Wolltest du immer schon Kinder?» – «Hm.»
«Wärst du gern eine Frau?» – «Was? Nein.»
«Warst du früher gern in der Disco?» – «Geht.»
«Hast du Angst, mir zu nahe zu sein?» – keine Antwort.
«Mich zu verlieren?» – Schweigen.
Die Musik wird lauter, und lauter. Der Vater schweigt weiter, so lange, bis die Fragen seiner Tochter in den anschwellenden Tiefen des Basses untergehen.
Die Tochter spricht zum Publikum, das stellvertretend für den Vater steht. Knapp eine Stunde steht sie allein auf der Bühne, spielt mal den Vater, meist die Tochter. Erst im letzten Akt kommt Klaus auf die Bühne. Klaus ist zwar nicht der Vater, lenkt aber den Fokus vom Publikum auf sich. Auch mit ihm schweigt sie zunächst, die beiden kommunizieren über Musik, durch Bewegung. Bis zur letzten Szene.
Sie: «Stellst du mir alle Fragen?»
Er: «Nein.»
Sie: «Warum nicht?»
Er: «Ich warte auf den richtigen Zeitpunkt.»
Sie: «Und was, wenn der richtige Zeitpunkt nicht kommt?»
Er: «Dann werden’s immer mehr Fragen, die ich wie einen Rucksack mit mir mittrage. War’s das?»
Sie: «Für heute schon.»
Co-Regisseurin Patricija Katica Bronić, die auch die Rolle der Tochter spielt, gibt mit einer unglaublichen Präsenz und Feinfühligkeit Einblicke in die Gefühlswelt einer jungen Frau, welche die Nähe zu ihrem Vater sucht, nicht gesehen wird und zeitweise fast daran kaputt zu gehen scheint. Warum schweigt er? Eine Frage, auf die das Stück keine Antwort liefert, eine Frage aber, die einen selbst zum Nachdenken anregt. Wann und warum nimmt man in eigenen Beziehungen die Rolle des oder der Schweigenden ein und in welchen Situationen wünscht man sich, selbst gehört oder gesehen zu werden.
Vor der Premiere konnten wir die beiden Regisseur*innen Patricija Katica Bronić und Timon Jansen auf ein kurzes Gespräch treffen.
Bajour: Im Stück geht es um eine Vater-Tochter-Beziehung. Darum, wie sich diese entwickelt und wie zwei Menschen, die sich eigentlich nahe stehen, miteinander kommunizieren, respektive nicht kommunizieren. Warum gerade diese Thematik?
Bronić: Die Entstehung dieses Drehbuchs basiert zu einem grossen Teil auf persönlichen Erfahrungen. Wir haben aber auch viele Unterhaltungen mit Freundinnen und Freunden geführt, die Ähnliches erlebt haben. Ich habe mir die Frage gestellt, woran das liegt, also dass es viele eigentlich sehr enge Beziehungen - wie die zwischen Vater und Tochter - nicht schaffen, wirkliche Nähe zu schaffen.
Jansen: Ich fand den Gedanken auch interessant, sich damit auseinanderzusetzen, was passiert, wenn man mal wirklich in eine solche Beziehung hineingeht. Eine Beziehung, die eigentlich eine grosse Selbstverständlichkeit mitbringt, die sich aber bei vielen Leuten schwierig gestaltet.
Bajour: «Diese Nachricht wurde gelöscht», heisst der Titel des Stücks. Gelöschte Nachrichten haben wir alle schon Mal erlebt. Was löst das bei euch aus?
Bronić: (lacht) Neugier. Ich frage mich dann immer, warum macht man das, warum löscht man Nachrichten? Und wie erklärt man dann danach, warum man diese Nachricht jetzt gelöscht hat?
Jansen: Der Titel steht für mich auch stellvertretend für all die Nachrichten da draussen, die irgendwo im Internet rumspuken und nie ankamen. Für all das Gedachte, das nie ausgesprochen wurde.
Bajour: Die Geschichte hat einen sehr persönlichen Hintergrund. Was wünscht ihr euch, den Zuschauenden damit mitzugeben?
Jansen: Es wird keine Anleitung für all diejenigen im Publikum geben, deren Väter schweigen. Aber was man schon von der Figur der Tochter lernen kann, ist sich auf diese Heldinnenreise zu begeben, Rückschläge zu verkraften und nach anderen Lösungen der Kommunikation als der Stille zu suchen.
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