Anwohner*innen erstreiten Tempolimit vor Gericht

Der Lärmschutz entlang des Autobahnabschnitts Osttangente soll besser werden. Doch gegen Tempo 60 nachts hat sich das Astra bislang gewehrt. Die Beschwerde eines Anwohner*innenvereins wurde nun vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheissen.

Osttangente Basel
Die Osttangente führt über die Schwarzwaldbrücke in Basel. (Bild: David Rutschmann)

Die Anwohner*innen des Autobahnabschnitts Osttangente in Basel beklagen seit vielen Jahren den Lärm, der vom Verkehr verursacht wird – vor allem in der Nacht. Seit sechs Jahren plant das Bundesamt für Strassen (Astra) deshalb ein Projekt, um den Lärm zu reduzieren: Es soll an verschiedenen Abschnitten Lärmschutzwände, lärmarmen Belag, schallabsorbierende Verkleidungen und Schallschutzfenster geben.

Was das Astra hingegen nicht wollte: Tempolimit 60 während der Nachtstunden von 22 bis 7 Uhr. Das bisher geltende Tempo 80 sollte beibehalten werden. Gegen den Verzicht auf die Geschwindigkeitsbeschränkung wehrte sich der Anwohner*innen-Verein «Ausbau Osttangente – so nicht». Das Eidgenössische Verkehrsdepartement UVEK wollte davon nichts wissen und genehmigte das Projekt 2022. Also zog der Verein sein Anliegen ans Bundesverwaltungsgericht weiter.

Dieses kam nun zum Urteil, dass nachts ein Tempolimit 60 entlang der Osttangente durchaus verhältnismässig sei. Im Urteil, das Bajour vorliegt, bezieht sich das Gericht auf ein Gutachten des Beratungsbüros Ecoplan, das vom Astra in Auftrag gegeben wurde. Mit diesem Gutachten begründete das Astra, weshalb eine Temporeduktion nicht verhältnismässig sei. Doch das Gericht kommt anhand des Gutachtens zu anderen Schlüssen.

Laut dem Gutachten könnte die Lärmbelastung durch das Tempolimit um 2,2 Dezibel gesenkt werden. Das würde bedeuten, dass 297 Leute weniger als bisher von einem Lärmniveau über dem Immissionsgrenzwert betroffen wären. Im Gutachten wird dieser Nutzen auschliesslich dagegen aufgerechnet, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung einen Zeitverlust von 63 Sekunden bedeuten würde – was zu monetarisierten Reisezeitverlusten von 5,98 Millionen Franken pro Jahr führen würde.

«So ein Urteil ist ein wichtiges Puzzlestück für mehr Lärmschutz.»
Martin Baumgartner, Verein «Ausbau Osttangente – so nicht»

Das Bundesverwaltungsgericht entgegnet in seinem Urteil, dass sich die kurzen Reisezeitverluste in der Nacht «nicht zu einem hohen volkswirtschaftlichen Schaden» summieren würden. Und auch wenn Tempo 60 die rechtlich «minimalste» Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn ist – eine Hochleistungsstrasse würde die Osttangente trotzdem bleiben.

«Der Lärmschutz ist als verfassungsmässige Aufgabe stark zu gewichten», schreibt das Gericht. Von der Geschwindigkeitsreduktion würden derweil nicht nur die erwähnten fast 300 Personen («eine bedeutende Anzahl») profitieren. Sondern auch tausend weitere Personen, für die die Lärmbelastung ebenfalls sinkt – wenn auch nicht unter die Immissionsgrenzwerte. 

Das Gericht hält fest: Der Rheintunnel wurde im November abgelehnt, womit auch eine absehbare Entlastung der Anwohner*innen der Osttangente entfällt – das mache die Lärmsanierung umso dringlicher. Das Potenzial an möglichen Massnahmen sei aber ausgeschöpft – nur das Tempolimit kommt noch infrage.

Entsprechend heisst das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gut und das Projekt muss vom Astra zugunsten einer nächtlichen Temporeduktion für den 5,5 Kilometer langen Autobahnabschnitt angepasst werden. Im erwähnten Gutachten wurde beziffert, dass die Geschwindigkeitsanlagen für 300’000 Franken umprogrammiert werden müssten.

Fall könnte weitergezogen werden

Vom Astra heisst es auf Anfrage, man habe das Urteil zur Kenntnis genommen. Das UVEK werde die neue Ausgangslage analysieren und dann das weitere Vorgehen festlegen. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Fall innert 30 Tagen noch ans Bundesgericht weitergezogen werde, erklärt Martin Baumgartner vom Verein «Ausbau Osttangente – so nicht». Das Urteil sei entsprechend noch nicht rechtskräftig.

Aber selbst wenn noch das Bundesgericht entscheiden müsste, «dann hätten wir wenigstens einen Musterentscheid für ähnliche Lärmschutzanliegen in der gesamten Schweiz», so Baumgartner. Es macht ihm Mut, dass das Bundesverwaltungsgericht vollumgänglich der Argumentation des Vereins gefolgt sei: «So ein Urteil ist schonmal ein wichtiges Puzzlestück für mehr Lärmschutz.»

Auch die Kantonsregierung muss sich bald wieder mit der Osttangente befassen. 2022 hat der Grosse Rat zugunsten mehr Lärmschutzmassnahmen entschieden. In einer Interpellation fragt SP-Grossrätin Lisa Mathys, ob es jetzt nach dem Rheintunnel-Aus mit der Umsetzung dieser Massnahmen weitergeht. Und am Donnerstag reicht Martin Baumgartners Verein eine Petition mit 1700 Unterschriften ein, die eine umgehende Umsetzung neuer Lärmschutzwände und eine Überdeckung des Abschnitts Breite-West fordert.

Erste Lärmschutzmassnahmen werden bald schon umgesetzt: Die Sanierungsarbeiten am Schwarzwaldtunnel und der Bäumlihof-Brücke sollen bald beginnen. Das Astra wird am Valentinstag über die Bauarbeiten informieren.

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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

Kommentare

Luse Schlepfer
08. Februar 2025 um 15:59

Freude und Sorge

Ich freue mich über dieses Urteil für die lokale Bevölkerung. Ich selbst bin eher indirekt betroffen. Wohne 800 m von der Autobahn entfernt, höre das Rauschen aber in den frühen Morgenstunden trotzdem. Mal schauen, ob es auch bei mir ruhiger wird. Seit dem Ignorieren des Klimaseniorinnen-Urteils schwingt die Sorge mit, ob der Bundesrat sich dieses Mal an das Urteil hält. Unbestritten darf das UVEK den Fall an das Bundesgericht weiterziehen, wenn es das als sinnvollen Einsatz von Steuergeldern einschätzt.