Vater und der kleine Argentinier

Didi-Kolumnist Thilo Mangold geht in die Verlängerung. Sein Vater machte sich nie etwas aus Fussball. Aber er glaubte an ihn: den Grössten der Grössten, den Mann im blau-weissen Trikot.

Bolzplatz Maradona

Brazzo, wie wir ihn manchmal nennen, kommt wie immer als Letzter. Walter bringt Wein in grossen Flaschen, ich koche Gratin und Braten. Brazzo, der Name bedeutet so in etwa Bürschchen, ist der Einzige in der Runde, der jedes Jahr jünger wird. Oder frech bleibt. Walter, dessen Eltern aus dem Friaul immigrierten, interessiert sich mehr für Salami als für Fussball. Trotzdem – oder deswegen – hat mal einer aus der Gruppe beschlossen, ihm eine Mannschaft zuzuordnen: Inter. Er hat dann mal ein Trikot und sogar Badefinken in Schwarz-Blau geschenkt bekommen. Ciriaco Sforza trug so etwas 1997 ja auch.

Letztes Mal kamen wir in Brazzos Garten zusammen. Dafür ist es nun zu kalt. Aber auch hier eröffnet sich eine kleine Aussicht. Wer durchs Dachfenster lugt und auf den Zehenspitzen steht, erahnt jenseits der Dächer das Stadion. Zu sehen ist es nicht. Zu hören schon, an Match-Tagen, hab ich mir sagen lassen, je nach Wind lauter oder leiser.

Elegant an allen vorbei, mit der Motoguzzi bis direkt zum Stadioneingang.

Ja, dieses Stadion. Beim letzten Mal, als ich mit meinem Vater dort war, im Stadion, hat Alex Frei für Servette getroffen. Für den FCB skorte Barberis. Das musste ich im FCB-Archiv recherchieren. Es war ein lauer Vorsommerabend, Kehruss im nigelnagelneuen Stadion, es ging tabellarisch um nichts mehr.

Vater hat nicht das Spiel interessiert, sondern dass wir gemeinsam hin sind. Nein: Vermutlich, dass wir mit dem Töff hin sind. Elegant an allen vorbei, mit der Motoguzzi bis direkt zum Stadioneingang. Es war, glaube ich, unser einziger Stadionausflug zu zweit. Fünfzehn Jahre später starb er nach einem Töffunfall.

Fussballgott sind wir nicht, aber so ähnlich.

Vater hat sich nicht für Fussball interessiert. Aber er interessierte sich für seine Söhne. Also begleitete er uns ins Stadion, wenn es niemand anderes tat. Und er erklärte uns in den Ferien am Vesuv, dass ein kleiner Argentinier der Beste von allen sei, und dass die Menschen ihre Stadt mit farbigen Fähnchen schmückten, weil er sie zu „Europameistern“ gemacht habe.

Seither mache ich es wie die Menschen in jener Stadt am tyrrhenischen Meer: Ich überhöhe alles was mit dem kleinen Argentinier zu tun hat. Ich kaufe an Märkten, Stränden und Tankstellen Fälschungen seines Trikots. Ich nutze ihn als Gefäss, stopfe alles rein, was den Fussball ausmacht, im Guten wie im Schlechten. Manchmal droht er zu platzen, dann mache ich ihn einfach noch ein wenig grösser. Obwohl er schon lange der Grösste ist.

Das Leibchen war kaputt, die Sowjetunion noch nicht

Zwischen Gratin und Dessert diskutiert die Runde über die Abstimmungsfragen des Wochenendes. Vater interessierte sich für Politik, das hat er seinen Söhnen mitgegeben. Das Sowjetunion-Shirt, das er von seinem Schwager erhielt (matchworn!), trug er vor allem zur Gartenarbeit. Das Leibchen war irgendwann kaputt, die Sowjetunion noch nicht ganz.

Brazzo, dessen Vater damals ungefähr zeitgleich mit Velež Mostar im jugoslawischen Cupfinale spielte, beteiligt sich nicht an der Politdiskussion. Er schaut durch die Scheibe auf die Dachterrasse. Dort stehen ein paar Kerzen unter dem himmelblau-weissen Trikot mit der schwarzen Zehn, das am Geländer hängt.

Später nötige ich alle, auch die Agnostiker und jene, die meinen, sie seien unpolitisch, ein Licht anzuzünden für ihn, der für den Fussball per se steht. Für ihn, den Grössten.

Fussball ist wichtig.

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