Was tun, wenn Corona die Frauenhäuser füllt?
Zuhause bleiben ist jetzt wichtig, aber nicht für alle sicher. Im Frauenhaus Basel rechnet man bereits mit mehr Anfragen – jetzt ist die Politik gefordert.
Wenn Menschen auf engerem Raum als gewohnt zusammenleben müssen, nehmen die Fälle häuslicher Gewalt zu. Wie etwa in der chinesischen Provinz Hubei, wo das Corona-Virus Ende 2019 zuerst auftrat. Die örtliche Polizei erhielt ein Vielfaches an Anrufen von Betroffenen im Vergleich zur gleichen Zeit im Vorjahr, wie das chinesische Magazin "Sixth Tone" schreibt.
Auch in der Schweiz rechnen Fachstellen und Expert*innen mit einem Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt. Wie sieht die Situation in Basel konkret aus? Miko Iso ist Fachleiterin der kantonalen Fachstelle Häusliche Gewalt, sie sagt auf Anfrage von Bajour: «Es gibt bei uns auf jeden Fall Bestrebungen, mehr Raum für Frauenhäuser zu schaffen. Es gilt nun, vorausschauend zu planen.» Zuerst versuche man aber, den bereits verfügbaren Platz der Notunterkünfte möglichst auszuschöpfen. Etwa, indem man sogenannte Notfallzimmer für einen gewissen Zeitraum permanent zugänglich macht. Man müsse sich jetzt wirklich überlegen, was eine angemessene Zahl an solchen Schutzräumen ist, die eine Gesellschaft haben sollte. «Wir haben entsprechende Pläne», sagt Iso, «und müssen prüfen, was davon umsetzbar ist.»
«Es gilt nun, vorausschauend zu planen.»Miko Iso, Fachleiterin Fachstelle Häusliche Gewalt,
Neue Taskforce vom Bund
Gemäss einer Mitteilung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) vom 23. März sind solche politischen Prozesse bereits angestossen worden. Der Bund habe «eine Taskforce der verantwortlichen Behördenstellen einberufen», heisst es. Bei der Taskforce sind auch die Bundesämter für Justiz sowie für Sozialversicherungen und die zuständigen kantonalen Konferenzen dabei. Auf Anfrage von Bajour führt die Kommunikationsverantwortliche Hanna Jordi aus, dass die Strafverfolgung sowie die Unterstützung von betroffenen und ausübenden Personen bei häuslicher Gewalt grundsätzlich in der Kompetenz der Kantone liegen: «Das Ziel der vom Bund einberufenen Taskforce ist es nun sicherzustellen, dass die Kantone in der Lage sind, diese Aufgabe auch während der Corona-Pandemie zu erfüllen».
Dies sei derzeit der Fall, gemäss Auskunft der Kantone, sagt Jordi. «Das bedeutet: Die Opferhilfe-Organisationen halten ihre Beratungsleistungen aufrecht und Opfer finden Zuflucht in Schutzunterkünften oder bei vergleichbaren Angeboten. Die Kantons- und Stadtpolizeien verfolgen die Situation aufmerksam und sind bereit, um in Notfällen zu intervenieren». Sollte sich diese Lage in einem Kanton ändern, können sich die Zuständigen via die Direktorenkonferenzen an die Taskforce vom Bund wenden. Dazu gehört auch das Vorgehen im Fall von Corona-Ansteckungen und der Bedarf an zusätzlichen Schutzunterkünften.
«Wir brauchen eine Finanzierung.»Bettina Bühler, Geschäftsleiterin der Stiftung Frauenhaus beider Basel
Dringend mehr Finanzierung nötig
Dass es schweizweit nicht nur mehr Plätze, sondern vor allem mehr Finanzierung für Frauenhäuser braucht, ist für Bettina Bühler, Geschäftsleiterin der Stiftung Frauenhaus beider Basel, klar. Aktuell kommen mehr Anfragen rein, bestätigt sie, darunter auch Anfragen aus anderen Kantonen: «Es kann gut sein, dass wir die Auswirkungen von Corona noch gar nicht akut merken – oder aber, dass das jetzt der Anfang dieses Anstieges ist». Es gäbe immer wieder Phasen mit mehr Anfragen, sagt Bühler. Dazu zählen etwa Ostern oder Weihnachten. «Die Statistiken etwa aus China sprechen aber eine ganz klare Sprache: Die Fälle häuslicher Gewalt haben sich vermehrt und wir rechnen damit, dass das in der Schweiz auch so sein wird», ergänzt Bühler.
Laut Bühler arbeitet das Frauenhaus seit Jahren daran, mehr Räume zu bekommen. Eine der Massnahmen ist das Projekt «PasserElle», das letztes Jahr lanciert wurde: Eine zusätzliche Wohnung für Schutzbedürftige auf dem Gebiet des Stadtkantons mit vier Plätzen für Frauen und bis zu drei Kindern. Aber das reicht nicht, sagt sie: «Wir brauchen eine Finanzierung. Wenn es in der Schweiz, in Basel einen ähnlichen Anstieg gibt wie in anderen Ländern, dann werden wir diesen Bedarf mit den aktuellen Voraussetzungen nicht abfangen können». Diese Finanzierung könnte beispielsweise in eine Notunterkunft investiert werden, in die möglichst viele Frauen aufgenommen und professionell begleitet werden können.
Zudem braucht es laut Bühler eine Intensivierung der telefonischen Beratungen, damit sich Betroffene weiterhin rund um die Uhr melden können: «Gerade für Frauen, die es aufgrund der aktuellen Situation vielleicht noch nicht schaffen, wegzugehen. Die können wir dann immerhin entsprechend beraten». Hanna Jordi vom EBG sagt dazu: «Der Bund wurde von den Kantonen in dieser Hinsicht noch nicht angegangen».
«Für uns Frauenhäuser ist die Arbeit nicht vorbei, wenn das Leben für die Bevölkerung wieder normal weiterläuft»Bettina Bühler, Geschäftsleiterin der Stiftung Frauenhaus beider Basel
Dass das EBG und der Bund erst aufgrund der Corona-Krise eine Taskforce spezifisch für häusliche Gewalt bilden, ist erstaunlich. Denn die Schweiz ist seit 2018 Teil der Istanbul-Konvention, einem völkerrechtlichen Vertrag des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung der Gewalt an Frauen. Die Unterzeichnenden verpflichten sich, offensiv gegen diese Gewalt vorzugehen. Dazu gehört, das Hilfsangebot für Frauen zu verbessern und die Bevölkerung zu sensibilisieren. Noch immer fehlt in der Schweiz eine nationale Umsetzung, noch immer gibt es in vielen Frauenhäusern zu wenig Plätze. Zwar hat der Bundesrat im November 2019 eine Verordnung verabschiedet, mit der Massnahmen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt verstärkt werden sollen. Der vorgesehene Finanzkredit von drei Millionen Franken wird vom Parlament im Rahmen des Voranschlags 2021 behandelt, ist also noch nicht gesprochen.
Corona wird Frauenhäuser noch mehrere Monate akut beschäftigen
Dass aufgrund der Corona-Krise wieder konkreter über die Anliegen von Frauenhäusern diskutiert wird, sei zwar gut und wichtig, sagt Bettina Bühler: «Es besteht allerdings die Gefahr, dass wir nach der Krise wieder in den Courrant Normal zurückfallen». Für die Frauenhäuser sei die Arbeit nicht vorbei, wenn das Leben für die Bevölkerung wieder normal weiterläuft, sagt sie. «Ich gehe davon aus, dass es sehr viele Frauen gibt, die sich während der Ausnahmesituation nicht einmal telefonisch bei Fachstellen melden können, sondern erst, wenn das reguläre Leben wieder aufgenommen wird. Dieses Thema wird die Frauenhäuser noch mehrere Monate akut beschäftigen».
In Zürich musste ein Frauenhaus die Aufnahme von Betroffenen stoppen, weil sich eine Frau mit dem Coronavirus infiziert hatte. Im Frauenhaus Basel würde man in einem solchen Fall ähnlich vorgehen: «Es kommt darauf an, ob es Sinn ergibt, die Frau und allenfalls ihre Kinder zu isolieren. Wenn das nicht möglich ist, oder sich mehrere Frauen anstecken, dann müssten wir auch einen Aufnahmestopp machen. Dass davon auszugehen ist, dass dieser Fall eintrifft, zeigt ebenfalls, wie dringend nötig mehr Räume für Frauenhäuser sind», sagt Bühler.
Was tun, wenn Sie betroffen sind?
Und: Wie können Sie helfen?
Im Notfall die Polizei rufen: 117
Sich bei der Opferhilfe (061 205 09 10) oder dem Frauenhaus (061 681 66 17) beraten lassen – das gilt auch für Menschen, die nicht direkt von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wenn Sie etwas Auffälliges beobachten und nicht sicher sind, wie Sie reagieren sollen, zum Beispiel .
- Zudem haben die Präventionsabteilung und der Sozialdienst der Kantonspolizei Basel-Stadt eine Nummer eingerichtet, an die sich Betroffene wenden können: 079 792 48 62.
- Gewaltfrei durch die Krise kommen? Für Männer gibt es ein Survival-Kit von männer.ch
– in 17 Sprachen. Hier geht es zum Artikel.