Stadtflucht wegen Corona: «Ich gehe überall hin für Partyzeit»

Die Clubs in Basel-Stadt sind aufgrund der Coronamassnahmen massiv eingeschränkt. Das «Viertel» verschob seine Party am Samstag deshalb nach Münchenstein. Ein Stimmungscheck vor Ort.

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Bummsvoll: Die Walzhalle in Münchenstein diente am Samstag dem «Viertel» als Exil. (Bild: Michelle Isler)

Samstag, kurz nach 23 Uhr trifft das 10er-Tram in der Nähe der Walzhalle in Münchenstein ein. Mit ihm kommen die ersten Partygäste aus Basel, die ausgerüstet mit Google Maps den Weg zum «Viertel im Exil» finden. Bereits bildet sich eine kurze Schlange vor dem Eingang zum alten Industriegebäude. 

Eine kleine Männergruppe trifft ein. Sie rauchen. Auf die Frage, weshalb sie heute hier seien, erwidert einer, beinahe trotzig: «Weil wir leben wollen!» Mehr will er dann doch nicht sagen, aber der älteste im Bunde ergänzt: «Ich gehe persönlich nicht so oft in den Ausgang, ich bin ja verheiratet, Jahrgang 1987. Bei den jüngeren sieht das glaub ein bisschen anders aus.» Er blickt in die Runde, die seine Aussage mit einem allgemeinen Grinsen quittiert.

«Es geht uns nicht darum, zu tricksen. Letztlich ist es eine ganz normale Veranstaltung mit 2G wie sie zurzeit vielerorts in der Schweiz möglich ist. Wir machen einfach das, was für uns möglich ist.» 
Valentin Aschwanden, Betreiber «Viertel Klub»

Dort steht auch Clubbetreiber Valentin Aschwanden. Normalerweise findet man ihn an einem Samstag in seinem Club «Viertel» auf dem Dreispitz – also noch knapp in Basel. Doch diesen Samstag hat Aschwanden die Party nach Münchenstein verschoben. Weil hier laschere Regeln gelten als in Basel-Stadt, wie in vielen anderen Kantonen auch. Im Baselbiet erlaubt die Regierung 2G. Party machen darf nur, wer genesen oder geimpft ist, dafür ohne Maske. 

Die Basler Regierung dagegen ist strenger als der Bundesrat. Gäste, egal ob geimpft, genesen oder getestet, dürfen nur beim Sitzen die Maske ausziehen und konsumieren. Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger argumentierte mit der «bedenklichen epidemiologischen Entwicklung». Es sei absehbar, dass der Bundesrat bald auch konsequentere Massnahmen einführen würde. 

Das führte in Gastronomie und Politik zu Kritik. Auf diese Art lohne es sich für die Clubs nicht, offen zu bleiben. 

Deshalb führt Aschwanden seine Party nun hier in Münchenstein durch.

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Eine halbe Stunde nach Türöffnung blickt der Clubbetreiber positiv auf den bevorstehenden Abend im Baselbiet. «Die Stimmung ist toll», freut er sich mit Blick auf die erwartungsvollen Gäst*innen in der Schlange. Das Bedürfnis nach Party ist spürbar. Aschwanden sagt: «Es geht uns überhaupt nicht darum, zu tricksen mit dieser Lösung. Letztlich ist es eine ganz normale Veranstaltung mit 2G wie sie zurzeit vielerorts in der Schweiz möglich ist. Wir machen einfach das, was für uns möglich ist.» 

Sein Umfeld habe sehr positiv reagiert: «Die Leute sind coronamüde und finden es super, dass sie heute diesen Event mit dem Musiker Jan Blomqvist besuchen können.»

«Ich habe keinen Bock mehr auf diesen Scheiss, es muss jetzt weitergehen. Ich bin geimpft und fertig.»
Partygast Patrick aus Zürich

Und wie geht es nach diesem Wochenende weiter? 

Aschwanden wiegt seinen Kopf hin und her. «Wenn die Clubs wieder schliessen müssen, dann ist es so. Wir würden einheitliche Massnahmen absolut unterstützen. Was die Gäste noch auf sich nehmen, wenn 2G+ eingeführt werden sollte, ist schwierig abzuschätzen. Vielleicht funktionierts, aber es ist aktuell einfach vieles unklar.»

Impfen fürs Feiern?

Die Unklarheit ist an diesem Abend auch immer wieder bei den Gäst*innen spürbar. Vier Frauen stehen etwas abseits. Sie sind heute wegen des Hauptacts da, eine von ihnen ist dafür extra aus Zürich angereist.  

Caro aus Basel sagt: «Ich gehe nur noch für ausgewählte Anlässe in den Ausgang.» Sie und ihre Freundinnen sind geimpft, aber nicht unbedingt fürs Partymachen. «Klar ist es geil für den Event heute», gibt die Dreissigjährige zu. «Aber eigentlich habe ich’s fürs Reisen gemacht.» Die anderen beginnen zu lachen, Caro zuckt mit den Schultern, sie sei halt ehrlich. 

Ihre Kollegin Nina, 33, aus dem Kanton Baselland will das nicht so stehen lassen. «Ich habe mich aus Solidarität impfen lassen!», sagt sie in bestimmtem Ton.

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Nina, 33, aus dem Baselbiet: «Ich habe mich aus Solidarität impfen lassen!» (Bild: Michelle Isler)

Drinnen riechts nach Nebelmaschine. Eine Stunde nach Türöffnung ist die 420 Quadratmeter grosse Fabrikhalle schon fast zur Hälfte gefüllt. Das Stimmenwirrwarr, die freudigen Begrüssungen und begeisterten Rufe sind nur zu hören, wenn die Musik leiser wird. Jetzt droppt der Beat, Zeigefinger schnellen in die Höhe, jemand pfeift. Im blitzenden Scheinwerferlicht halten zwei Frauen ihre Handys über die Köpfe der wippenden Menschenmenge. Storytime. 

Gemischte Gefühle

Es ist Nadias erste 2G-Party. Für die 39-jährige aus dem Baselbiet ist es «Ehrensache», heute das «Viertel» im Münchensteiner Exil zu besuchen – sie gehört zu den Stammgäst*innen. «Ich fühle mich, wie wenn ich in einer anderen Stadt im Ausgang wäre, die Location ist geil! Und schau dir die Leute an, die sind mega happy», schwärmt sie. 

Ob sie sich an solchen Anlässen auch Gedanken zu Corona mache? 

«Ja, schon», räumt sie ein und wird nachdenklich. Sie sei einmal an einem Superspreader-Event gewesen, aber zum Glück geimpft. Um sich selbst macht sie sich deshalb keine Sorgen, aber es gehe ja auch um andere. «Wenn es hier zu einem ähnlichen Event kommen würde, dann würden wieder alle sagen, die Impfung nütze nichts.» 

Nadia hat sich vor allem fürs Ausgehen und Reisen impfen lassen – «und um meine Familie zu schützen». Das sei deshalb auch ihre letzte Party vor Weihnachten. «Wir feiern heute schon Silvester hier, man weiss ja nie, wie’s weitergeht», sagt sie schulterzuckend. Sie halte sich immer an die Regeln und könnte es schon verstehen, wenn die Massnahmen künftig wieder verschärft werden.

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Nadia, 39, aus dem Baselbiet: «Wir feiern heute schon Silvester hier, man weiss ja nie, wie’s weitergeht.» (Bild: Michelle Isler)

Mittlerweile ist es kurz vor 1 Uhr, der Andrang vor den Clubtüren lässt noch nicht nach. Die 37-jährige Tamara befindet sich auf dem Weg nach drinnen. Weshalb sie heute hier sei? «Partymachen.» Und weshalb sie sich habe impfen lassen? «Partymachen!» Angereist ist sie dafür extra aus der Innerschweiz. «Ich gehe überall hin für Partyzeit», sagt sie kräftig nickend und bahnt sich ihren Weg zum Eingang. 

Etwas später ist draussen in der Raucherecke wieder Zeit für eine Pause, auch für Nina. Auf die Frage, wie sich das Tanzen drinnen anfühle, antwortet die 33-jährige, dass es gut tue, rauszukommen, aber man sei nicht ganz unbeschwert. 

Nina, die sich selbst als Impf-Enthusiastin bezeichnet, hat eine klare Message: «Es geht beim Impfen darum, soziale Verantwortung zu übernehmen, das ist mir wichtig und ich habe es deshalb sehr früh gemacht.»

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Tamara, 37, aus der Innerschweiz: «Ich gehe überall hin für Partyzeit.» (Bild: Michelle Isler)

Es ist kalt geworden. Auch die Zigarette des blonden Zürchers, der Patrick genannt werden will, ist fast zu Ende geraucht. Der Mittdreissiger erklärt, er gehe mehrmals pro Monat in den Ausgang, Pandemie hin oder her. «Ich habe keinen Bock mehr auf diesen Scheiss, es muss jetzt weitergehen», sagt er fröstelnd, aber seine Augen blitzen. «Ich bin geimpft und fertig.»

Der letzte Tanz

Auch Carmina, 34, geht regelmässig ins «Viertel». Sie trägt ein T-Shirt mit der grossen Aufschrift VENUS. «Heute ist der letzte Tanz», sagt sie. «Ich rechne damit, dass die Massnahmen bald strenger werden.» Würde sie das gutheissen? Sie überlegt einen Moment, bevor sie antwortet: «Ich finde, es ist ein Balanceakt zwischen Kultur am Leben halten und Gesundheitssystem schützen.» 

Aus Respekt vor den Folgen einer Ansteckung mit dem Coronavirus – etwa Long Covid oder gar Intensivstation – sei sie geimpft, so mache sie sich jetzt keine Sorgen.

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Carmina, 34: «Ich finde, es ist ein Balanceakt zwischen Kultur am Leben halten und Gesundheitssystem schützen.» (Bild: Michelle Isler)

Mittlerweile ist der Club zu zwei Dritteln gefüllt. Die Getränke gehen seit Stunden über den Tresen, zwei Frauen warm eingepackt betreten den Raum und beginnen zu jubeln und zu hüpfen. Die Partylust greift um sich.

Manuel, 31, sitzt vor dem Eingang auf einem weissen Plastikstuhl. Er will lieber kein Foto machen. Auch er hat das Gefühl, es könnte die letzte richtige Feier für eine Weile werden. Mit der 2G-Regel ist er einverstanden, er fände es auch gut, wenn man sich zusätzlich testen müsste, also 2G+. «Obwohl ich bezweifle, dass die Schweiz genügend Kapazitäten für die Auswertung der Testergebnisse hat», wirft er ein und kratzt sich am Bart. 

Auf die Situation des städtischen Clubs im Baselbieter Exil angesprochen schüttelt Manuel den Kopf und sagt, «dieser Kantönligeist isch für nüüt». Er würde einheitliche Regeln begrüssen. «Eigentlich hätten die Clubs meiner Meinung nach ja schon länger zumachen sollen», sagt er.

Bittersweet

Ein Neuankömmling nimmt beim Betreten des Clubs seine beschlagene Brille ab und wartet, bis er wieder klar sieht, dann stürzt er sich ins Getümmel. Ein Paar unweit des Eingangs knutscht hemmungslos, während zwei Frauen daneben via Facebook (mag überraschen, ist aber so) ein Statusupdate in Form eines Selfies verschicken. Die Luft ist warm und feucht. 

Wenn sich die Tür alle paar Sekunden öffnet, gelangt ein kühler Vorgeschmack der Winternacht nach drinnen. «It feels so bittersweet, I don’t wanna go», singt Joplyn auf der Bühne und die Menge klatscht begeistert. Für sie ist noch lange nicht Zeit, zu gehen. Die Künstlerin kündigt einen letzten Song an, bevor Jan Blomqvist ans Mischpult treten wird – die Spannung steigt.

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Simon, 29: «2G+ würde mich überhaupt nicht stören. Im Gegenteil! Ich finde, dass es am savesten wäre, wenn alle frisch getestet wären.» (Bild: Michelle Isler)

«Langsam wird’s echt kalt hier draussen», sagt ein junger Mann im T-Shirt. Er heisst Simon. Eine Frau, die dem Gespräch zuhört, bietet ihm ihre orangefarbene Mütze an. «Ich leih’ sie dir, wenn ich sie nachher aber wirklich zurückhaben kann.» Simon lacht und wehrt ab, der Deal ist ihm zu risky – was, wenn er sie nicht mehr findet? Und sowieso: Die Kälte vermag seine gute Laune nicht zu trüben. Er schwärmt von der Stimmung drinnen, vom «sensationellen» Voract und der Location – die hohen Decken und die schummrige Atmosphäre haben’s ihm angetan: «Ichs find’s mega geil!» 

Der 29-Jährige schätzt, dass er heute Party machen kann: «Die Leute brauchen die Kultur und den Ausgang – immer arbeiten geht nicht. Ich hoffe einfach, dass die Clubs jetzt nicht mehr schliessen müssen, vor allem für die Jungen, die haben diesen Ausgleich noch nötiger als ich.» 

Auf mögliche Zukunftsszenarien angesprochen erklärt er: «2G+ würde mich überhaupt nicht stören. Im Gegenteil! Ich finde, dass es am savesten wäre, wenn alle frisch getestet wären. Was mir schon ein bisschen Angst vor einer Ansteckung macht, ist der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn. Ich arbeite als Koch – das wäre wie ein Todesurteil. Aber wirklich unsicher fühle ich mich persönlich nicht, ich bin ja doppelt geimpft.»

Inzwischen hat sich der Bereich vor der Eingangstür geleert. Klarer Fall: Drinnen hat der Hauptact begonnen – auf ihn hat das Partyvolk gewartet. In der Menge riechts nach Schweiss und guter Laune. Vielleicht ist das der Anfang vom vorläufigen Ende. Also noch ein letztes Mal: hoch die Tassen.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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