Musikvielfalt-Initiative goes national
Das Initiativkomitee wagt nach der verlorenen Basler Abstimmung den nationalen Neustart. Mit neuer Besetzung und dem Schwerpunkt Fair-Pay will es den Kulturbetrieb in allen Landesteilen wachrütteln und übt nebenbei harsche Kritik am Basler Kulturleitbild.
«The Hustle must go on» hat Jennifer Perez aka La Nefera nach der verlorenen Abstimmung zur Musikvielfalt-Initiative (MVI) letztes Jahr im November gesagt. Das hat sich das Initiativkomitee zu Herzen genommen und nach einer längeren Pause den Hustle vor ein paar Wochen wieder aufgenommen.
Die Abstimmung hat nicht den gewünschten Effekt erzielt, die öffentliche Förderung nicht vielfältiger gemacht. «Darum machen wir weiter – und zwar nicht in Form einer kantonalen Abstimmungsvorlage, sondern wir starten eine schweizweite Bewegung», schreiben die Initiant*innen in ihrem Newsletter mit dem Titel «Wir sind zurück». Fabian Gisler, Musiker und treibende Kraft hinter der Initiative, hatte bereits am Tag der Abstimmung die Initiative als Vehikel für eine Bewegung beschrieben und gesagt: «Uns bleibt nichts anderes übrig, als dranzubleiben und uns zu formieren.» Was die neue nationale MVI nun will, ist sensibilisieren, lobbyieren und vernetzen, und zwar in allen Landesteilen. «Das geht alles nicht von heute auf morgen, aber vielleicht auf übermorgen», so die Ankündigung.
Neues Team, neuer Fokus
Für diesen Schritt hat das Komitee auch personell aufgestockt. Neu dabei sind die Berner Kulturarbeiterin Janina Neustupny und die Musikerin Kim Bollag aka KimBo, die bisher für SRF Kultur und diverse NGOs gearbeitet hat.
Die gebündelte eidgenössische Kraft steckt das Team aktuell in das Thema Fair-Pay – faire Bezahlung. In der ganzen Schweiz wird darüber diskutiert, wie Kulturschaffende zu besseren Arbeitsbedingungen kommen – auch die Kulturbotschaft des Bundes will eine angemessene Entschädigung professioneller Kulturschaffender garantieren. Der Entwurf des neuen Kulturleitbilds von Basel-Stadt enthält ebenfalls die Forderung nach Fair-Pay. Konkret wird festgehalten: «Leistungsvereinbarungen enthalten verbindliche Formulierungen bezüglich der Einhaltung von Gagen, Honoraren, Löhnen.»
In Bern ist angemessene Entlöhnung bereits Voraussetzung für Subventionen. Es zeichnet sich ab, dass weitere Kantone ihre Richtlinien entsprechend schärfen werden.
Was Fair-Pay konkret bedeutet
Eine löbliche Tendenz könnte man denken. So einfach ist es aus Sicht der MVI allerdings nicht. Sie begrüsse zwar jede Anstrengung, die auf gerechte Honorare abziele. Aber der Teufel liege in der Umsetzung. Die Clubs und Lokale können diese geforderten fairen Löhne nämlich nicht bezahlen.
Lea Heimann vom Berner Veranstalter bee-flat erklärt in ihrem Statement, sie stünden als Verein absolut hinter fairen Gagen für Musiker*innen: «Allerdings muss der kulturelle Kosmos rund um die Konzertbetriebe betrachtet werden: Es braucht nämlich auch angemessene Honorare für Produktionsteams und Technik. Aktuell können wir nur sehr tiefe Stundenlöhne zahlen.»
«Die Mehrkosten in Folge von Fair-Pay werden unweigerlich dazu führen, dass die Clubs und Veranstaltenden weniger Konzerte anbieten können.»Team der Musikvielfalt-Initiative
Beim Zürcher Jazzclub Moods zeigt sich die Fair-Pay-Problematik besonders deutlich. Die Löhne liegen laut Geschäftsführer Daniel Niedermann derzeit bei rund 2000 Franken im Monat – klar unter dem Schweizer Median. Eine faire Entlöhnung hätte 2024 Mehrkosten von über einer halben Million Franken bedeutet. Ohne zusätzliche Subventionen müssten unter diesen Bedingungen selbst Konzerte wenig bekannter Acts mindestens 50 Franken Eintritt kosten. Solche Preise würden vielen den Zugang zu Kultur versperren.
Gefahr für die Vielfalt
Für Gisler und sein Team ist klar: «Bleibt die Förderpraxis gleich wie bis anhin, wird dies einen Einfluss haben auf die Vielfalt des Musikangebots in der Schweiz. Die Mehrkosten in Folge von Fair-Pay werden unweigerlich dazu führen, dass die Clubs und Veranstaltenden weniger Konzerte anbieten können.»
In Basel, wo Fair-Pay voraussichtlich mit dem Start des neuen Kulturleitbilds zur Bedingung wird, stört sich Gisler vor allem an der Ungerechtigkeit zwischen den üblichen Gräben: «Auf der einen Seite erhält der institutionelle Musikbereich ganze 21 von total 23 Millionen Franken und kann deshalb gerechte Honorare zahlen. Auf der anderen Seite wird im freien Musikschaffen, welches massgeblich für die musikalische Vielfalt in der Stadt sorgt, zugunsten von Fair-Pay das Angebot gekürzt.» Fair-Pay bedingt Fair-Funding, so der neue Slogan.
Kritik am Basler Kulturleitbild
Trotz der neuen Präsenz auf nationaler Ebene bleibt die Verankerung der Musikvielfalt-Initiative aber in Basel. Und hier ist Fair-Pay nicht der einzige Punkt aus dem Kulturleitbild, der Gisler und seiner Entourage missfällt. In ihrer fünfseitigen Stellungnahme dominieren die Kritikpunkte, die auch schon im Abstimmungskampf präsent waren. Vor allem die Unterscheidung zwischen Hochkultur und Alternativkultur. Die MVI stört sich an der grundsätzlichen Unterscheidung. «Solche Begriffe gehören unserer Meinung nach nicht in ein zeitgemässes Leitbild. Sie teilen die Kultur unnötigerweise in zwei Lager ein», heisst es in dem Schreiben.
«Es muss in Zukunft mehr nach gemeinsamen Lösungen gesucht werden – selbst wenn diese auch die eigene Finanzierung tangieren.»Fabian Gisler, Initiativkomitee
Ein weiterer Kritikpunkt trifft die selektive Förderung. Dadurch soll gemäss Abteilung Kultur hohe Qualität im Kulturschaffen begünstigt werden. Der Kulturbereich sei über weite Teile ein Niedriglohnsektor. Um diese Situation zu verbessern, seien alle gefragt, heisst es im Kulturleitbild. Die Kulturschaffenden müssten ihre Eigenverantwortung wahrnehmen, ebenso wie die Kulturbetriebe ihre Pflichten als Arbeitgebende. Selektive Kulturförderung könne durch substanzielle Beiträge zugleich faire Arbeitsbedingungen und Qualität unterstützen. Die MVI räumt in ihrer Stellungnahme zunächst ein, dass Kulturförderung immer selektiv ist, äussert dann aber ihre Bedenken bezüglich des Konzepts von Fair-Pay und der möglichen Reduktion der Vielfalt.
Selektive Förderung als Risiko
Die MVI hält fest, in Zukunft müsse nach gemeinsamen Lösungen gesucht werden, «selbst wenn diese auch die eigene Finanzierung tangieren». Damit greift sie den Kern- und Schmerzpunkt der ursprünglichen Initiative auf, die eine Reduktion des institutionellen Budgets zur Debatte stellte und sich damit den Vorwurf der Spaltung ins Haus holte.
Auf Vielfalt besteht die MVI auch in Bezug auf den Qualitätsbegriff. Es gäbe keine universellen, genreübergreifenden Qualitätsmerkmale und auch keine allzeit gültigen – vielmehr würden sie immer wieder neu verhandelt.
Die Teilhabe an Kultur ist gemäss Leitbild ein wichtiger Aspekt. Die MVI sieht hier Verbesserungspotential. Es brauche eine klare Strategie im Bereich Vermittlung und kulturelle Bildung. Um diese voranzubringen, schlägt sie eine Steuergruppe vor, die nebst Kulturinstitutionen auch Vermittlungsakteur*innen aus der freien Szene, aus der Quartierarbeit und den Schulen involviert und eine zukunftsfähige Strategie entwickelt.
Mit dem Slogan «Fair-Pay bedingt Fair-Funding» hat die neue nationale Bewegung einen ersten Stein ins Rollen gebracht. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob daraus mehr entsteht als ein Appell – und ob die Politik bereit ist, die strukturellen Fragen hinter der Musikförderung zu verhandeln.