Mit Bier gegen die Kälte

Die Minusgrade machen die Basler Gassen zu unwirtlichem Terrain. Dick eingepackt versuchen viele Wohnungslose, sich warm zu halten. Draussen schlafen müssen dank der Notschlafstelle die wenigsten.

Christoph und Flo, Obdachlose frieren in Basel
Christoph (links) und Flo trinken sich die Kälte warm. (Bild: David Rutschmann)

Montagnachmittag, -0,8 Grad auf dem Claraplatz. Christoph zupft seine Mütze zurecht, nimmt einen Schluck vom Tell-Dosenbier. «Was soll man denn anderes machen, als zu saufen?», sagt sein Kumpel Flo, als er sich ein neues Bier aus der Migros-Tasche nimmt. «Mit Bier ist es genauso kalt, aber man vergisst, dass es kalt ist.»

Alkohol ist eigentlich extrem kontraproduktiv, wenn es kalt ist: Die Gefässe ziehen sich zusammen, was schneller zu Erfrierungen führen kann. «Es ist mehr eine psychologische Sache», sagt Christoph und Flo ergänzt: «Man hat’s wenigstens lustig.»

Christoph friert nicht, obwohl er schon seit einer Weile auf der Bank in der Kälte sitzt – auf einem Kissen der Migros und darunter noch eine Einkaufstasche, damit das Kissen nicht feucht wird. «Das ist schlecht für die Blase und man friert wenigstens nicht am Hintern», sagt er und lacht. 

Mehrere Lagen Kleidung

Drei paar Socken und dicke Handschuhe trägt er, um nicht zu frieren. An den Füssen und an den Händen ist das Kälteempfinden am Deutlichsten, denn der Körper konzentriert die Durchblutung auf die lebenswichtigsten Körperteile, pumpt das Blut also weg von Händen und Füssen. Flo zeigt auf seine gut gefütterten Schuhe, öffnet die Jacke, um die zwei Sportjacken darunter zu zeigen. Beide tragen zwei Paar lange Thermounterhosen.

«Die Mütze hab ich gefunden; ist sogar von Benetton», sagt Flo und schmunzelt. Andere Kleidungsstücke hat er von der Kleidersammlung der Kirche, viele Skiklamotten aus Sportfachgeschäften. Christoph verweist auf Decathlon beim Dreispitz. «Das ist ein guter Tipp für viele Obdachlose, dort ist es günstig und sie haben hochwertige Produkte», sagt er.

Rund 300 Personen in Basel-Stadt haben keinen permanenten Wohnsitz. Laut Michel Steiner vom Verein für Gassenarbeit Schwarzer Peter haben jedoch die allermeisten von ihnen ein Dach über dem Kopf, nur die wenigsten schlafen nachts auf der Strasse. 

Auch die Notschlafstelle kostet Geld

Sandra schon. Normalerweise campt sie im Wald. Dafür ist es jetzt zu kalt. Wir treffen sie am Bahnhof SBB, wo sie Münz für die Notschlafstelle sammelt, 7.50 Franken sind es pro Übernachtung – wenn man in Basel angemeldet ist, ansonsten kostet es 40 Franken. 

Manchmal reicht das Geld auch für ein günstiges Hotel. Tagsüber wärmt sie sich beim Lesen in der Stadtbibliothek auf. Sie habe während eines Winters schon bis in den Januar durchgehalten, um von draussen in die Notschlafstelle zu wechseln – mit einem Minustemperaturenschlafsack, wie sie sagt. 

Das erwähnt auch Gassenarbeiter Michel Steiner: «Bei den wenigen Fällen, die wirklich draussen übernachten und nicht in die Notschlafstelle kommen, versuchen wir sicherzugehen, dass sie gut genug ausgerüstet sind.» Die Schlafsäcke und Isomätteli müssen also gut intakt sein. 

Polizei weiss nichts von erfrorenen Obdachlosen

Verboten ist das Draussenschlafen auch bei Minustemperaturen nicht. Lediglich das regelmässige Übernachten an derselben Örtlichkeit ist laut Auskunft der Kantonspolizei Basel-Stadt nicht erlaubt. Fälle von Personen, die im Freien erfroren sind, seien der Kantonspolizei nicht bekannt.

Christoph und Flo müssen nicht auf der Strasse schlafen, sie haben eine Wohnung. «Aber was soll man die ganze Zeit drinnen sitzen? Es ist gesund, draussen zu sein, das ist die beste Therapie», sagt Christoph. Und wenn es zu kalt wird, ergänzt Flo, setze er sich eine Weile ins Tram, bis ihm warm wird. «Oder ich geh in die Migros aufs WC und wärme die Hände am Handtrockner.» Er zieht mit dem Bier weiter, ihm wird es zu kalt.

Christoph bleibt sitzen. Vielleicht kommt später ein weiterer Kumpel vorbei, mit dem er schwatzen kann. Wenn's richtig kalt ist, nimmt er auch mal einen von seinen Bekannten ohne Dach über dem Kopf zu sich nach Hause. «Aber nur, wenn ich merke, dass sie anständig sind», sagt er und nimmt noch einen Schluck von seinem Bier.

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Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

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