Wie die Nazis Fuchs und Hirsch aus dem Deutschen Fussball «entfernten»
Gottfried Fuchs und Julius Hirsch sind bis heute die einzigen deutschen Nationalspieler mit jüdischem Glauben. Was ihre Geschichte uns lehrt.
Gottfried Fuchs gelang, was nach ihm keiner in Deutschland schaffte: Er schoss sagenhafte zehn Tore in einem einzigen Spiel. Das war bei Olympia 1912. Deutschland bodigte Russland mit 16:0. Allerdings weiss das kaum eine*r und das hat Gründe.
Fuchs ist einer von nur zwei Nationalspielern mit jüdischem Glauben in der Geschichte des Deutschen Fussball-Bundes (DFB). Der andere war Julius Hirsch. Die beiden Torjäger spielten zu Beginn des 20.Jahrhunderts gemeinsam beim Karlsruher FV in der Nationalmannschaft.
Bereits der Erste Weltkrieg setzte der Sportlerkarriere beider, eingezogen als Soldaten, ein jähes Ende. Nach dem Krieg stieg der schon fast 30-jährige «Gottes» Fuchs in die Familienfirma ein. Sein Kollege «Juller» Hirsch – ein paar Jahre jünger – war weiterhin beim Karlsruher FV als Spieler und als Funktionär aktiv. Doch dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht.
Die führenden süddeutschen Fussball-Klubs beschlossen am 9. April 1933 «die Entfernung der Juden aus den Sportvereinen». Am Tag darauf erklärte Hirsch nach 31 Jahren Mitgliedschaft seinen Austritt aus dem Karlsruher FV. Fuchs, der 1929 aus Karlsruhe nach Berlin gezogen war und in seiner Freizeit Tennis spielte, wurde 1935 aus seinem Klub geworfen. Im 1939 erschienenen grossen Nationalspieler-Bilder-Sammelalbum des «kicker» wurden die beiden Juden gar nicht mehr erwähnt.
Die Vertrauten Fuchs und Hirsch sahen sich letztmals 1938 in Paris. Hirsch war auf der Suche nach Beschäftigung in Frankreich, kehrte danach aber zu seiner «arischen» Ehefrau und den beiden Kindern nach Karlsruhe zurück. 1943 wurde er deportiert und vermutlich unmittelbar nach Ankunft des Transportes im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet.
Fuchs hingegen war über die Schweiz (die Asyl verweigerte) nach Frankreich geflüchtet (das ihm keine Staatsbürgerschaft zubilligte) und gelangte via Grossbritannien nach Kanada, wo er als Godfrey E. Fochs sesshaft wurde. Er starb 1972 in Montréal.
Weshalb erzählen wir dir das alles?
2005 verlieh der Deutsche Fussball-Bund (DFB) erstmals den Julius Hirsch Preis. Damit werden Personen, Vereine und Initiativen ausgezeichnet, die öffentlich gegen Diskriminierung und für Toleranz Zeichen setzen. Lanciert wurde der Preis u.a. von Hirschs Enkel Andreas. Andreas Hirsch war es dann auch, der im Zuge der Aufarbeitung seiner Familiengeschichte auf die Nachkommen von Gottfried Fuchs in Kanada stiess. Zu ihnen gehört Monica Heller, Co-Autorin dieses Textes. Es entstand die Idee eines zweiten Preises. Der Jugendpreis Gottfried Fuchs war geboren.
Was lehrt uns dieser Preis?
Sport war und ist bis heute ein mächtiger sozialer Raum, der Machtverhältnisse, Ausgrenzung und Diskriminierung nicht nur reproduziert, sondern für die einzelnen im Alltäglichen klar spürbar macht. Wahrscheinlich begann Fuchs, Fussball zu spielen, weil ihm als Jude im damaligen schon stark antisemitischen Klima Deutschlands der Zugang zu den beliebten Turnvereinen versperrt war. Fussball war für ihn eine der wenigen Möglichkeiten, um überhaupt Mannschaftssport ausüben zu können.
Fuchs wurde nicht nur aufgrund seiner sportlichen Leistungen zum Idol vieler, sondern auch wegen seines legendären Fair Plays, seiner Bescheidenheit und seines gelebten Anti-Startums. Eine Anekdote: Kronprinz Wilhelm von Preussen, ein grosser Förderer des Fussballs, überreichte Fuchs für seinen Einsatz persönlich einen Silberbecher. Niemand weiss, was aus diesem Becher geworden ist. Eine seiner Töchter vermutet, dass er ihn irgendwann verschenkt hat.
Gesellschaften in Europa und Nordamerika reden heute gerne darüber, wie sie Migrant*innen und Geflüchtete «integrieren» wollen. Doch ist das der richtige Ansatz? Wir sollten vielmehr darüber diskutieren, was für eine Gesellschaft wir (sein) wollen. Die drängende Frage lautet:Wie können wir verhindern, dass unsere Gesellschaft Geflüchtete produziert, wie Fuchs einer war?
Es ist verführerisch, so zu tun, als ob der Nationalsozialismus und der Holocaust spezifisch «deutsche» Phänomene waren. So wurde Monica Hellers Mutter nicht müde zu betonen, dass das Berlin ihrer Kindheit ein wunderbarer und «normaler» Ort war; ein Ort wie viele andere auch. Wir dürfen uns also nicht in falscher Sicherheit wähnen, dass sich solche Verbrechen an der Menschheit niemals wiederholen. Es kann immer und überall geschehen. Seien wir achtsam.
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Mi-Cha Flubacher lehrt und forscht als Postdoc Assistentin in Angewandter Sprachwissenschaft am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien. Sie ist in Basel aufgewachsen und bei ihren Besuchen in der Heimat immer wieder im Didi Offensiv anzutreffen.
Monica Heller ist Enkelin von Gottfried Fuchs und Professorin der linguistischen Anthropologie in Toronto. Sie war bei der 1. Preisverleihung Jury-Mitglied und wird am nächsten Dienstag anlässlich der Preisverleihung die Festrede halten.
Mit herzlichem Dank an Martina & Andreas Hirsch und Werner Skretnny für den Faktencheck und die inhaltlichen Ergänzungen.