Willkommen im Club
Es sei ein guter Tag, sagte Bundespräsident Ignazio Cassis, als er die langsame Öffnung des gesellschaftlichen Lebens in Aussicht stellte. Gilt das auch für die Nacht? Ein Clubbesuch auf der Suche nach einem neuen Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Wir haben das ja länger nicht mehr gemacht, aber heute ist es wieder so weit. Wir fahren mit den Velos durch die Gassen Kleinbasels und allein dieses gemeinsame Umherschlingern und Aufdemgepäckträgersitzen hatte den Ruch eines Ernstfalls. Grosse Dinge künden sich an. Aufs Mal, in einer vorher nie gesehenen Gasse, gibt irgendwer das Signal und Schlösser schnappen klackernd um die Felgen der Räder und Zigaretten werden ausgetreten und dann, husch husch, verschwinden wir allesamt in einer geheimen Bar ohne Barschild und ohne Adresse und das ist natürlich alles sehr aufregend.
Die Coronapandemie hat das Nachtleben buchstäblich eingeschläfert. Die Clubs zogen den Stecker oder flohen aufs Land, am Rheinufer gab es eine Zeit lang Freiluftparties. Dann war auch das vorbei. Wer wollte, konnte in den vergangenen Wochen geimpft oder genesen und getestet in einen Club, aber eine Restpanik war dabei nicht wegzukriegen.
Jetzt zeichnen sich Öffnungen ab. Wird es gut sein, wieder an den Tresen dieser Stadt zusammenzukommen, darf man mit neuen Bündnissen rechnen? Schlussendlich ist es auch eine politische These: Nachtkultur ist systemrelevant. Sie bringt uns als Gesellschaft so richtig zusammen.
Tolle Idee. Stimmt das auch so?
Das wollen wir herausfinden. Und wir wollen uns ganz grundsätzlich daran erinnern, was ‹Ausgehen› nochmal bedeutet und was daran so schön sein kann. Was machen wir da eigentlich, wenn sich die Türen der Clubs hinter uns schliessen?
Meine Freund*innen und ich, wir lehnen nun am Tresen dieser geheimen Bar. Es gibt hier unter anderem Bier. Ich nehme eins in die rechte Hand und drehe mich um.
Das Besondere an diesem Ort hier immerhin, dass wir uns als Ausgehvolk noch keinen Reim darauf gemacht haben. Die Identitätsbildung ist sozusagen noch nicht so weit fortgeschritten, wie das an anderen Orten der Fall ist, dabei ist die Architektur immer ungefähr dieselbe: Da steht die DJ Kanzel, dort die Boxen. Die Scheinwerfer, der Nebel, die Bar. Clubkultur ist Handwerk und wie gut die Macher*innen das ihre beherrschen, lässt sich für mich daran messen, wie sehr ich in dieser Arena in Bewegung gerate.
Du kennst das vielleicht auch, wenn du einen neuen Club betrittst oder eine Bar. Du hast dir ein Getränk geangelt und dann musst du dich ja erst einmal orientieren. Was tragen die Gäste? Sind wirklich alle Sneaker weiss, oder gibt es hier Hinweise auf unterschiedlichen Geschmack? Die Frisuren, der Schmuck, das Make-Up – das ist natürlich alles sehr interessant.
In diesem Club hier sind die Codes rasch erfasst. Als wären da unsichtbare Kräfte am Werk sind wir uns alle ein bisschen ähnlich, wie wir stehen, wie wir gestikulieren, wie wir rauchen. Wir würden das ungern zugeben, weil wir uns auf Einzigartigkeit etwas einbilden, aber bis jetzt deutet hier wenig auf neue Bündnisse hin. Wir verstehen uns schon.
Hier ist es gut. Das Licht schiesst mir in die Augen, ich muss blinzeln, mein Getränkt ist leer, ich tanze dahin. Da sind meine Freund*innen, jede*r für sich, alle zusammen, wir umarmen uns ein bisschen und machen die Augen zu. Das Licht und die Musik und das Dunkelsein kreiselt um uns herum und löst uns auf, macht uns ein bisschen weich und für den Augenblick fühlt sich das an, als steckten hier alle zusammen unter einer weichen Decke aus Schönheit und Bass.
«Das ist doch Schwachsinn»
Es ist Bewegung in diese klandestine Bar irgendwo im Kleinbasel geraten und mit der letzten oder vorletzten Welle neuer Abenteurer*innen ist auch Linn hineingeschwappt. Aus den Boxen an der Decke fährt uns in zunehmender Intensität der Bass in den Gehörgang. Man muss ein bisschen schreien. Linn trinkt Gin und das ganze Demokratiegeblubber und die These vom Clubbesuch als Dienst an der Gesellschaft vernichtet sie mit einem schnellen Wink ihrer Zigarette.
Ich habe sie gefragt, was sie von der Idee hält, dass das hier irgendwie bedeutsam sei für uns und für die Gesellschaft insgesamt.
Linn sagt, «daran glaub ich nicht, das ist doch Schwachsinn».
Linn trägt eine Bomberjacke und schwarze Hosen, sie sieht im Prinzip genau gleich aus wie ich. Aber Linn hat eine andere Meinung. Immerhin das.
«Hör mal», sagt Linn. «Du bist halt ein Dude.» Es klingt gleichgültig. «Ich laufe hier nicht mit derselben Selbstverständlichkeit wie du in diesen Club, ohne zu wissen, was mich hier erwartet, wer hier abhängt und wie die Leute so drauf sind.» Sie schaut sich kurz um und macht Gänsefüsschen in die Luft, wenn sie «Nachtkultur» sagt. Ich sage, ich hätte mir vorher tatsächlich nicht überlegt was mich hier erwartet und Linn sagt: «Ich bin ein Nachtmensch, ich liebe die Anonymität. Ich gehe gerne aus. Aber darum macht mich das nicht zu einem anderen Menschen.»
Was in diesem Club passiert, lässt sich nicht verallgemeinern. Der Basler Kulturanthropologe Michel Massmünster hat das in seinem Buch «Im Taumel der Nacht» präzise aufgeschrieben. Massmünster beschreibt darin, wie die Vorstellung der Nacht als Zeit des entgrenzten Rausches historisch gewachsen ist. Die Nacht wurde damit zum Gegenentwurf zur Idee eines rationalen Tages. Diese Vorstellungen sind mit einer Trennung von Arbeitszeit und Freizeit aufgekommen. «Aber das ist eine Romantisierung», sagt Massmünster, «die Nacht bricht nicht einfach die Regeln des Tages auf, auch wenn man das manchmal so empfinden kann. Diese Vorstellungen, was Nacht und was Tag ist und was wer wann tun darf, sind vielmehr Teil der gesellschaftlichen Ordnung.»
Das bedeutet, dass die Nacht so vielfältig ist, wie die Menschen, die sie zu der machen, die sie ist.
Die Grenzen der Auflösung
Seit einigen Jahren, schwer zu sagen, wann das genau angefangen hat, hängen in manchen Basler Clubs und Bars Plakate an den Wänden, die auf ein paar Regeln aufmerksam machen. Sogenannte Awareness-Konzepte. Übergriffiges Verhalten wird nicht toleriert, steht dort. Nur Ja heisst Ja. Man kann das als Hinweis darauf lesen, dass sich das Versprechen vom Taumel der Nacht nicht für alle gleich vielversprechend anfühlt.
Mir ging das auf jeden Fall so.
Das sagt auch Alessandra Widmer, 32, die sich privat und beruflich mit der Atmosphäre von Räumen im Ausgang auseinandersetzt. Sie ist lesbisch und geht selber gerne in den Ausgang, denn für queere Communities seien Partys als Orte der Vernetzung sehr wichtig, sagt sie. Widmer ist Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz LOS, sie wohnt in Basel.
Ausgang für queere Personen, sagt Widmer, das sei mit Planung verbunden, also zum Beispiel mit der Frage, wer die Party veranstaltet, wer zugelassen ist, ob es safe ist, dort Händchen zu halten und sich zu küssen. An Orten, die sie nicht kennt, macht sie als allererstes den «Libellenblick»: «Wie sind die anderen Gäste drauf, gibt es ein Sicherheitskonzept – wo ist der Ausgang?».
Nicht für alle ist Ausgehen gleichermassen eine Befreiung. Aus diesem Grund gibt es queere Räume, sagt Alessandra Widmer. Safer Spaces. Schutzkonzepte.
Auch daran werde ich denken, wenn die Kantone ab kommendem Mittwoch die Massnahmen langsam lockern. Diese Nacht war keine Versprechen, dass mir, uns, dieser Gesellschaft die grosse Versöhnung bevorsteht, wenn das Nachtleben wieder anrollt. Aber diese Nacht war eine Erinnerung an flüchtige Begegnungen. Ein bisschen Gerede, ein Blick durch den Club. Irgendwas bleibt immer hängen. Vielleicht ist es was Gutes, dann hat sichs gelohnt.
In der Bar wird jetzt getanzt. Auf den Gesichtern liegt blaues Licht und manche von uns machen die Augen zu, wenn sie sich bewegen. Was ist das für ein Gefühl, dieses sich-Bewegen in Zeiten der Pandemie – haben wir uns verändert? Hat sich das Verhältnis zwischen unserem Körper und der sogenannten Öffentlichkeit gewandelt? Das erste Mal feiern kurz hinter dem Peak der fünften Welle fühlt sich an, als würde ich einen verloren geglaubten Verwandten wieder treffen. Man kennt sich irgendwie. Aber es ist auch ein bisschen stressig.