«Wir haben jahrelang krebserregendes Hahnenwasser getrunken»
Das elsässische Trinkwasser ist mit krebserregenden Chemikalien verunreinigt. Schwangere, Kinder und Kranke sollen es nicht trinken. Marie Tuil lebt in Saint-Louis und fühlt sich als Betroffene nicht ernst genommen. Sie fragt sich, was mit der restlichen Bevölkerung ist und wer für die Mehrkosten aufkommt. Ein Gastkommentar.
Ich lebe in Saint-Louis und habe letzten Donnerstag mit Kopfschütteln gelesen: Ab Mai gilt in der Agglomeration Saint-Louis ein Verbot, Hahnenwasser zu trinken. Denn unser Trinkwasser weist regelmässig extrem hohe Werte von krebserregenden PFAS-Chemikalien auf. Bis zu viermal höher als der gesetzliche Grenzwert. PFAS sind nicht nur von der WHO als krebserregend eingestuft, sondern werden auch mit Schilddrüsenerkrankungen, Parkinson und Alzheimer in Verbindung gebracht.
Die Ursache der Wasserverschmutzung ist laut Agglomeration Saint-Louis der Euro-Airport. Dessen Feuerwehr hatte über Jahre hinweg PFAS-haltigen Löschschaum bei Übungen genutzt. Inzwischen nutzt die Flughafenfeuerwehr den giftigen Schaum zwar nicht mehr, PFAS werden aber nicht abgebaut. Sie sammeln sich in der Umwelt wie in unseren Körpern an.
Marie Tuil hat sich nach einem Abstecher in den Journalismus zur sozialen Serienunternehmerin entwickelt. Mit ihren Basler Startups Solarbalkon, Direct Coffee und Haferdrinkkonzentrat setzt sie sich für eine bessere Welt ein. Sie lebt mit ihrer Familie in Saint-Louis.
Umso schlimmer, dass schon seit Mai 2023 Analysen bestätigen, dass unser Trinkwasser mit PFAS verseucht ist. Der Brunnen direkt beim Flughafen wurde stillgelegt und besonders verschmutztes Wasser wird nun mit weniger verschmutztem Wasser gemischt. Das scheint allerdings nicht auszureichen.
Nun soll ein Verbot helfen – aber auch nur für diejenigen, die angeblich besonders sensibel sind, wie Kleinkinder, Schwangere und Immunschwache. Ich als 37-jährige Mutter könne das krankheitserregende Wasser also getrost weiter trinken, genauso wie meine beiden Kinder, die über zwei Jahre alt sind. Wenn ich aber die Geschichte von Toril Stokebo lese, topfitte, dreifache Mutter, die wegen PFAS an Nierenkrebs starb, befallen mich ernsthafte Zweifel. Mit der Angst muss ich jetzt leben, denn die Ewigkeitschemikalien in meinem Körper gehen nicht mehr weg.
Wie reagiert der Verursacher, der Euro-Airport? Er nimmt an einem Überwachungsausschuss teil. Die Teilnahme an einem Ausschuss senkt weder die gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung von Saint-Louis, noch dämmt dies die sich ausbreitende Umweltverschmutzung ein. Während die Verantwortlichen also überwachen, trinken die Menschen weiter, wie seit Jahren, stark PFAS-haltiges Hahnenwasser. Und erhöhen damit ihr Risiko, zum Beispiel an Krebs zu erkranken, mit jedem Schluck.
«Dass wir nicht nur mit den gesundheitlichen Schäden durch die jahrelange Vergiftung leben sollen, sondern auch noch die Kosten für die Dekontaminierung übernehmen sollen, ist unbegreiflich.»Marie Tuil
Was wünsche ich mir als Bürgerin von Saint-Louis von den Verantwortlichen?
Da hilft ein Blick nach Manching in Bayern. Auch in dieser Gemeinde war das Trinkwasser durch den Löschschaum des nahegelegenen Flugplatzes verseucht. Der Betreiber des Flugplatzes hat reagiert und schon 2024 eine Grundwasserreinigungsanlage in Betrieb genommen, die das PFAS-haltige Wasser aus der Tiefe hochpumpt, damit es gefiltert und sauber wieder zurückgeführt werden kann. Eine langfristige Lösung, die auch die weitere Verbreitung des Umweltgifts in der Umgebung verhindert.
Die mittelfristige Lösung ist in Saint-Louis schon geplant: Das Trinkwasser soll in Zukunft mit Aktivkohlefiltern gereinigt werden, bevor es zu den Haushalten der Agglomeration geleitet wird.
Ich erwarte aber auch eine schnelle, kurzfristige Lösung. Wir haben nun jahrelang krebserregendes Hahnenwasser getrunken. Ich möchte das nicht noch weiter machen. Deshalb habe ich in meiner Küche einen Aktivkohlefilter unter der Spüle eingebaut, Kosten und Aufwand sind überschaubar. Allen betroffenen Haushalten sollte das Angebot gemacht werden, einen solchen Filter auch eingebaut zu bekommen.
Und das Wichtigste: Die Kosten für all diese Lösungen muss natürlich der Verursacher des Problems tragen, der Euro-Airport. Die Agglomeration rechnet allein für die mittel- und langfristige Lösung mit Kosten von 20 Millionen Euro und befürchtet, dass der Wasserpreis deshalb steigen muss.
Dass wir, die Menschen in Saint-Louis, nicht nur mit den gesundheitlichen Schäden durch die jahrelange Vergiftung leben sollen, sondern auch noch die Kosten für die Dekontaminierung übernehmen sollen, ist unbegreiflich.