«Shopping in London ist kein Menschenrecht»
Am 18. Juni hat die Schweiz das Netto-Null-Ziel in der Abstimmung definitiv akzeptiert. Und gleichzeitig wollen alle wieder in die Ferien fliegen. Ist das ein Problem, und wie lösen wir diesen Widerspruch? Ein Gastkommentar von Klimaforscher Reto Knutti.
Der Beitrag der Flugreisen zu den gesamten CO2-Emissionen weltweit ist wenige Prozent, weil die meisten sich Fliegen gar nicht leisten können. In der Schweiz ist der Beitrag jedoch rund 20%, mit den indirekten Effekten der Kondensstreifen. Schlimmer noch, vor Covid waren die Wachstumsraten bei 5% pro Jahr. Der grösste Teil ist dabei Freizeit und Ferien. Wir werden das Fliegen wahrscheinlich nicht ganz aufgeben, aber mal schnell für eine Wochenende eine Städtereise in Europa ist schlicht nicht nachhaltig.
Die offensichtliche Lösung ist weniger Fliegen. Shopping in London ist kein Menschenrecht. Einmal länger an einem Ort sein statt dreimal kurz, mit dem Zug fahren, oder mal die Berge statt das Meer wählen, es gibt Alternativen.
Wer unbedingt fliegen muss, sollte die Emissionen kompensieren, allerdings ist die Wirkung von den im Ausland finanzierten Projekten in den letzten Monaten stark hinterfragt worden. Langfristig wird es keine Kompensation mehr geben, dann bleibt nur die CO2-Entfernung aus der Luft und die anschliessende Sequestrierung, oder synthetische Treibstoffe aus Sonnenlicht oder erneuerbarem Strom. Diese gibt es, allerdings in sehr kleinen Mengen und zu hohen Preisen.
Ein interessanter Vorschlag in Europa sind die sogenannten Beimischquoten: Die Airlines wären verpflichtet, am Anfang zum Bespiel ein Prozent synthetisches Kerosin beizumischen, dann fünf, dann zehn, und bis ca. 2050 ausschliesslich. Der Aufpreis wäre im Moment klein, aber er erzeugt eine planbare Nachfrage, die zu Investitionen führt, so dass das fossile Kerosin langsam ersetzt wird.
Erst gerade hat sich die Schweizer Stimmbevölkerung mit 59% klar für den Klimaschutz ausgesprochen. Doch bald sind Ferien und die Einschränkungen der Pandemie sind weg. Die Flugbranche geht davon aus, dass allein dieses Jahr weltweit über 4,4 Milliarden Passagier*innen reisen. Auch viele Schweizer*innen wollen nicht aufs Fliegen verzichten. Laut einer repräsentativen Umfrage der Europ Assistance, einer Tochter der Versicherung Generali, werde in der Schweiz das Flugzeug als Transportmittel bevorzugt, an zweiter Stelle steht das eigene Auto. Das zeigt sich auch am Euro-Airport, der seit April 2022 steigende Zahlen verzeichnet. Ist Flugscham passé?