Die Angst soll mitschreiben
Die Wirtschaftskammer, der mächtigste Verband des Baselbiets, will unliebsame Journalist*innen und deren Verlage zum Schweigen bringen. Mit allen juristischen Mitteln. Heute kommt's in Liestal zum Showdown zwischen ihr und der «Basler Zeitung».
Dieser Artikel wurde am 19. Oktober 2021 aktualisiert: Heute beginnt am Kantonsgericht Basel-Landschaft in Liestal der auf zwei Tage angelegte Prozess der mächtigen Wirtschaftskammer (Wika) gegen die «Basler Zeitung», respektive Redaktor Joël Hoffmann. Es ist ein weiterer Versuch der Wika, unliebsame Medien zum Schweigen zu bringen.
Der im nachfolgenden Artikel erwähnte Freispruch für das «Regionaljournal Basel Baselland» liess der Verband nicht auf sich sitzen. Er ist mittlerweile ans Bundesgericht gelangt.
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Gegen 100'000 Franken dürfte die juristische Auseinandersetzung mit Matieu Klee vom Regionaljournal Basel von SRF die Wirtschaftskammer (Wika) bisher gekostet haben. Und es sieht nicht so aus, als wenn sie klein beigeben würde. Denn Vizedirektor Michael Köhn erhofft sich durch eine pickelharte Haltung, dass «Medien und Journalisten, die derart schwere Vorwürfe gegen die Wirtschaftskammer erheben wollen, ihre Geschichten zuerst sauber recherchieren».
Die Wirtschaftskammer (Wika) ist so etwas wie das Baselbieter Machtzentrum. Die Wika portiert Regierungsrät*innen und sie gestaltet Gesetze mit, von denen sie dann nicht selten gleich selbst profitiert. Zum Beispiel vom Energiepaket, das sie zusammen mit Regierung und Landrat schnüren half und bei dessen Umsetzung sie eine massgebende Rolle spielt. Die Wika ist aber auch eine Kampagnenmacht, die den Stimmbürger*innen im Zweifelsfall wirtschaftsnahe Anliegen in die Köpfe hämmert. Und sie ist ein Unternehmen, das zahlreiche Dienstleistungen anbietet, von der Familienausgleichskasse bis zur Buchführung für KMUs, für die Sozialpartner spricht und ihre schützende Hand über die Schwarzarbeitskontrolle hält.
Es gibt also viele Gründe für Medienschaffende, bei der Wika den journalistischen Auftrag besonders ernst zu nehmen und jeweils ganz genau hinzusehen, wenn der Dachverband direkt oder indirekt mit im Spiel ist. So wie es Radioredaktor Matieu Klee (und andere) gemacht haben, als mögliche Ungereimtheiten beim Inkasso von Lohnbeiträgen im Maler- und Gipsergewerbe auftauchten, worüber das SRF-Regionaljournal Basel im April 2018 berichtete.
Freispruch mit Pauken und Trompeten
In einer ersten Runde lehnte das Handelsgericht Bern (zuständig, weil die SRG ihren Hauptsitz dort hat) die Wika als Klägerin ab, weil ihr die Aktivlegitimation fehle. Sprich: Sie wird in der Berichterstattung mit keinem Wort erwähnt, weil es um die Sozialpartner ging, also Gewerkschaften und Branchenverband. Das Bundesgericht korrigierte diesen Entscheid, weil die Wika für das Inkasso der Lohnbeiträge im Maler- und Gipsergewerbe verantwortlich sei, worauf das Handelsgericht doch noch in der Sache befinden musste.
Das Urteil ist für Reporter Klee und das Regi ein Freispruch mit Pauken und Trompeten. Der Bericht sei ausgewogen, alle Seiten kämen zu Wort, allenfalls seien gewisse Formulierungen etwas markig und zugespitzt. Kurz: Das Gericht erkannte in der Regi-Berichterstattung normale journalistische Arbeit. Einen Verstoss gegen das Wettbewerbsrecht sieht es nicht. Alle Verfahrenskosten gehen zulasten der Wika.
Diese beharrt aber auf ihrem Standpunkt, dass ihr und den involvierten Branchenverbänden «ein Millionenskandal angedichtet wurde, der keiner war», so Köhn auf Anfrage. «Die These, es seien regionalen Unternehmen zu Unrecht Millionenbeiträge abgenommen worden, stimmt nicht. Das belegt mittlerweile ein Gutachten und wird, mindestens implizit, auch durch das Berner Handelsgericht anerkannt.» Zudem sei die Strafuntersuchung eingestellt worden, die als Folge der Berichterstattung vom Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) eingeleitet worden war.
Entsprechend behält sich die Wika vor, erneut ans Bundesgericht zu gelangen. Der Entscheid muss vor Mitte September gefällt sein; dann läuft die Beschwerdefrist ab. Köhn weiss aber selbst, dass die Erfolgsaussichten nicht eben rosig sind: «Wir müssen bei unserem Entscheid berücksichtigen, dass das Bundesgericht in solchen Fällen den kantonalen Instanzen einen gewissen Ermessensspielraum zugesteht.» (*Inzwischen hat die Wika entschieden, das Urteil ans Bundesgericht weiterzuziehen. Siehe Update zu Beginn des Artikels.)
Alles begann 2010, als die Baselbieter Regierung einen Leistungsvereinbarung mit der Zentralen Arbeitsmarkt-Kontrolle (ZAK) abschloss. Die ZAK, getragen von den Sozialpartnern Wirtschaftskammer und Unia, wurde aufgrund einer neuen nationalen Gesetzgebung kurz zuvor gegründet und übernahm vom Kantonalen Arbeitsamt die Aufgabe, im Baugewerbe nach Lohndumping zu fahnden. Die Ahndung der Verstösse blieb aber beim Kanton.
2013 gerieten die Wirtschaftskammer und die Unia in die Kritik, sie hätten über politische Verbündete im Landrat für eine Machtkonzentration bei der ZAK gesorgt. 2016 wollte man dem System jedoch einen Riegel schieben, weil die ZAK die vorgegebenen Kontrollquoten nicht erfüllte, die dafür gedachten Staatsgelder aber verbuchte. Sanktionsmöglichkeiten hatte die Politik jedoch keine. 2017 wurde die ZAK aufgelöst und die Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe (AMKB) gegründet, die in der Folge auch in die Kritik geriet.
Im März 2021 haben die Baselbieter*innen eine neue Gesetzesgrundlage angenommen, damit sich solches nicht wiederholt. Und den Schlussstrich unter die traurige Geschichte bildete im Juni der Freispruch des zuständigen Regierungsrates Thomas Weber, dem die Staatsanwaltschaft ungetreue Amtsführung vorgeworfen hatte.
30 «BaZ»-Artikel löschen
Während man also beim Regionaljournal Basel einigermassen locker der Dinge harrt, die da allenfalls noch kommen, ist die Lage für Journalist Joel Hoffmann und die «Basler Zeitung» angespannter. Regionalredaktor Hoffmann, der mittlerweile gekündigt hat und zum «K-Tipp» wechseln wird, hatte vor einigen Jahren die Wika stets in Schutz genommen, als die ganze Geschichte mit der Schwarzarbeitskontrolle aufpoppte. Während andere regionale Medien über die Missstände und Verdachtsmomente berichteten, blieb die damals von Markus Somm geleitete «BaZ» auffallend zurückhaltend. Damals leitete der forciert wirtschaftsfreundliche Somm am «Tag der Wirtschaft», dem jährlichen Wika-Renommieranlass, jeweils das Podium. Und seine Zeitung berichtete extensiv darüber.
Erst viel später kippte die «BaZ» und Hoffmann konnte mit Somms Rückendeckung das Thema neu lancieren. Und zwar mit vollem «Mid-Risk-Journalismus», wie er in der Ära Somm üblich war. Die Folgen: gleich drei Verfahren gegen die vormaligen Best Buddys vom Aeschenplatz. Während sich die Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe auf einer ganzen Seite eine Art Korrigendum-Interview selbst auf den Leib schneidern konnte (konkret liess sich die Geschäftsführerin Cosima Thurneysen von der eigenen Behörde befragen), geht die Wika auf tutti. Sie will die 30 «BaZ»-Artikel, die in der Sache ab Januar 2018 erschienen sind, löschen lassen und wurde sowohl vor dem Kantonsgericht Basel-Landschaft wie beim Zivilgericht Basel-Stadt vorstellig.
Die Konsequenzen im Kopf
Mittlerweile ist die Affäre rund um die Schwarzarbeitskontrollen (siehe Box oben) einigermassen aufgearbeitet und ein neue Gesetzgebung vom Volk verabschiedet worden. Die juristische Auseinandersetzung um die Berichterstattung geht für die «BaZ» aber erst jetzt richtig los. Die Hauptverhandlung in Liestal findet im Oktober statt und ist auf zwei Tage angesetzt. 1400 Seiten umfasst der Schriftverkehr angeblich. Die Wika wirft der «BaZ» Verstösse gegen das Bundesgesetz für unlauteren Wettbewerb (UWG) vor.
Demgegenüber wird es vor Zivilgericht keine mündliche Verhandlung geben. Der Schriftenwechsel sei abgeschlossen, so Köhn. Nun nehme das Gericht eine Beweiserhebung vor und fälle dann das Urteil. Gemäss Nicole Bänninger, die Sprecherin von «BaZ»-Besitzerin Tamedia, gehe es dabei um eine von der Wika nicht näher konkretisierte Geldforderung. Das Fachmagazin «Schweizer Journalist» (Ausgabe 6/2020) schreibt von rund einer halben Millionen Franken, zusammen mit den Anwalts-und Gerichtskosten sogar eher einer ganzen Million Franken.
Immerhin muss sich Hoffmann nicht sorgen, selbst belangt zu werden. Sein Abgang bei der «BaZ» habe keinen Einfluss auf diese Gerichtsverfahren. «Tamedia setzt sich in den Verfahren für die Medienfreiheit und eine unabhängige Politik- und Wirtschaftsberichterstattung ein», so Bänninger. Und auch die Wika darf sich nicht auf wohlfeilere Artikel verlassen. «Die Berichterstattung über ein bestimmtes Thema hängt generell von der Aktualität und dem öffentlichen Interesse ab», so die Tamedia-Sprecherin, laufende Rechtshändel hätten da keinen Einfluss.
Köhn sagt demgegenüber: «Jeder Journalist sollte sich vor der Veröffentlichung von schweren Vorwürfen Gedanken darüber machen, was für Konsequenzen sein Artikel für den Betroffenen haben könnte – und für sich selbst, falls die Vorwürfe nicht berechtigt sind.» Oder wie es Bojan Stula, der stellvertretende Chefredaktor der «bz», verinnerlicht und dem «Schweizer Journalist» auf die entsprechende Frage diktiert hat: «Beim Schreiben über die Wika hat man jederzeit die Konsequenzen im Kopf, die ein Beitrag nach sich ziehen könnte.»
Wer sich mit den Grossen anlegt, muss gut dokumentiert sein. Und Akten wiegen schwer. Der Bajour-Jutebeutel hält das aus.