Ein Journitrupp hängt die Zeitung an die Wand
Eine kreative Gruppe von Basler Journalist*innen hat fürs Quartier St. Johann ausgerechnet in digitalen Zeiten eine Wandzeitung erfunden. Das ist lustig und Schnapsidee zugleich.
Seit gestern hat das Basler Quartier St. Johann mit der Postleitzahl 4056 seine eigene Wandzeitung namens Anschlag 56. Bitte was, eine Wandzeitung? In digitalen Zeiten? Exakt, so ist es.
Die freie Journalistin Hanna Girard erklärt auf Instagram am Dienstagmorgen: «Es ist Papier fürs Quartier, die Idee ist nicht so viel am Handy hängen, sondern rausgehen und lesen. Und zusammen diskutieren und Rätsel ausfüllen, die drauf sind, und weitererzählen und schreiben, was ihr denkt, ob es lustig ist oder eine Schnapsidee, oder beides, on verra.»
Das Team, zu dem neben Girard auch Daniel Faulhaber (Beobachter-Journalist, früher Bajour), Renato Beck (Wochenzeitung, WOZ), Hans-Jörg Walter alias Fonzi (Fotografie, bzw. Fonzi kann alles) sowie Grafiker Iman Aram gehören, scheint sichtlich euphorisch zu sein. Auf ihrer Website ist die Bande mit Prosecco-Gläsern zu sehen und es heisst: «Freude herrscht.»
Die Zeitung sei unabhängig. Und ungefördert, kann man da weiter lesen. In anderen Worten: Es wird alles selber bezahlt.
Beck erklärt auf Nachfrage von Bajour mit einem Augenzwinkern, dass das gewollt sei, denn: «Wenn man in Basel nicht aufpasst, wird man gefördert», womit er auf die grosszügige Stiftungslandschaft der Region anspielt. So sieht er dieses «Spassprojekt» auch nicht als die Zukunft des Journalismus. Und er fügt hinzu: «Wir wissen nicht einmal, ob es überhaupt Journalismus ist.»
Die Idee hinter dem Projekt sei, unterhalb der eigentlichen Relevanzschwelle zu schreiben. Denn es gäbe vieles, das berühre und interessiere, es aber nicht in die Zeitung schaffe. «Das versuchen wir abzubilden, Menschen eine Stimme zu geben, die sonst nicht vorkommen.»
Wie zum Beispiel der Kioskverkäuferin vom Voltaplatz, mit welcher die Redaktion von Anschlag 56 für die erste Ausgabe ein Kurzinterview gemacht hat. Weiter gibt es Rubriken wie Ärger des Monats oder Kummerkasten. Diese und andere seien nun erstmal für diese Ausgabe festgelegt worden, sie behandelten alle ausschliesslich Themen aus dem Quartier, also dem 4056.
Überhaupt sei noch nicht ganz klar, wie es weitergehe. Beck sagt, man wolle die Wandzeitung sicher ein Jahr lang produzieren, erscheinen solle sie einmal im Monat. Vielleicht gebe es auch mal eine Sonderausgabe.
Redaktion findet sich erst noch
So ist sich auch die Redaktion erst noch am Finden, sind doch alle Mitglieder anderweitig journalistisch absorbiert. Drei bis vier Mal habe man sich bisher getroffen, eine erste Nachbesprechung habe es zudem in der Sportsbar Nordtangete, ein beliebter Treffpunkt im Quartier, gegeben, wo gleich wieder neue Ideen für eine nächste Ausgabe entstanden seien.
Geklebt wurde bisher am Voltaplatz, beziehungsweise wurde die Wandzeitung hier mit Reissnägeln festgenagelt, um das Bau- und Verkehrsdepartement nicht aufzuschrecken. Denn: Legale Plakatiererei mit Kleister ist in Basel mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Der Robi Volta war so grosszügig und hat einen Platz zur Verfügung gestellt. «Danke Robi!», schreibt das Team.
Wer die Zeitung lesen will, muss dahin laufen, sagt Beck. Anders als Inhalte ständig digital zu konsumieren, sollen die Menschen so motiviert werden, sich ins Quartier zu begeben und die Inhalte vor Ort zu entdecken.