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Infektionsherd Bässlergut

«Ich würde lieber im Wald leben als im Asylzentrum»

Im Bundesasylzentrum Bässlergut brach Anfang Oktober das Coronavirus aus. Wie geht es den Geflüchteten? Wir haben mit zwei jungen Männern gesprochen.

10/16/20, 04:21 PM

Aktualisiert 10/22/20, 03:41 PM

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So schlimm waren die Zustände im Februar. Laut einem Bewohner hat sich seither nichts geändert.

So schlimm waren die Zustände im Februar. Laut einem Bewohner hat sich seither nichts geändert. (Foto: zvg)

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Murad* fühlt sich nicht mehr sicher. Der 24-Jährige lebt seit sechs Monaten im Bässlergut. Wohl hat er sich nie richtig gefühlt in der Asylunterkunft an der Grenze Basel-Deutschland. Doch seit im Heim Corona wütete, ist es noch unangenehmer: «Die Stimmung ist angespannt, die Menschen haben Angst, sich anzustecken», sagt Murad.

Diese Angst hat auch Amin*. Er lebt seit Kurzem im Asylzentrum in Allschwil – unter demselben Dach wie Jugendliche, die Corona haben. Wir treffen die beiden jungen Männer am 14. Oktober einzeln zum Gespräch.  

Die Angst begann am zweiten Oktoberwochenende in der Villa Uma. Das Haus steht gleich neben dem Bässlergut und beherbergt unbegleitete, minderjährige Asylsuchende. 18 Jugendliche und eine Mitarbeiterin hatten sich mit Covid-19 infiziert. Seither herrscht Unsicherheit, sowohl unter den Jugendlichen, als auch unter den Erwachsenen nebenan. Die Menschen im Bässlergut fragen sich: Wie viele hat es erwischt? Was bedeutet das für uns? Was, wenn sich jemand angesteckt hat? Wer hatte Kontakt zu einer infizierten Person?

«Es sind zu viele Menschen auf zu engem Raum.»

Murad*, 24

Nüchterner reagierten die Behörden auf den Corona-Ausbruch. Kantonsarzt Thomas Steffen sagte am 12. Oktober gegenüber der bz : «Bei Menschen, die über längere Zeit, etwa in Heimen oder eben Asylzentren, zusammenleben, sind Ansteckungen nicht überraschend.» 

Zu wenig Platz, um sich zu schützen

Offenbar leben die Bewohner*innen quasi aufeinander, das ist es, was Murad Angst macht: «Es sind zu viele Menschen auf zu engem Raum», sagt er. «Wir können uns nicht genügend schützen. Es gibt zu wenig Platz, um Abstand zu halten. Im Essraum zum Beispiel: Wie sollen etwa 130 Menschen auf 20 Metern Distanz halten?»

Die Vorwürfe über die hygienischen Zustände im Bässlergut begannen schon vor Corona. Bajour und andere Medien berichteten bereits im Februar über Ungeziefer, wie Ratten und Kakerlaken, dreckige Toiletten und kaputte Duschen. In einem Schlafzimmer werden bis zu zehn Menschen untergebracht. Bajour liegt ein aktuelles Dokument vor, das die Information über die Zahl der Zimmerbelegung bestätigt.**

Corona macht die Situation auch nicht besser. Murad erzählt: «Ich schlafe mit sieben anderen in einem Raum.» Am meisten sorgt er sich um ältere Menschen im Bässlergut: «Sie haben ein erhöhtes Corona-Risiko. Trotzdem werden sie nicht geschützt, sondern schlafen immer noch in den vollen Zimmern.» 

Hat sich denn etwas geändert seit den Medienberichten über Kakerlaken und beengte Raumverhältnisse?

Ja, heisst es vom Staatssekretariat für Migration (SEM). So sagt Reto Kormann, stellvertretender Leiter des Stabsbereichs Information und Kommunikation des SEM zu den Vorwürfen: Zu Beginn der Pandemie seien schweizweit die Bettenkapazität in den Notunterkünften um die Hälfte reduziert und zusätzliche Zentren in Betrieb genommen worden. Man habe Verhaltens-, Distanz- und Hygienemassnahmen getroffen und die Bewohner*innen regelmässig informiert. 

Allerdings bleiben Kormanns Antworten vage, auf konkrete Fragen reagiert er mit dem Verweis auf offizielle Richtlinien. Zu den vollen Zimmern sagt er etwa: Aktuell seien 129 Menschen in der Asylunterkunft untergebracht. Das Bässlergut hätte aber Kapazitäten für 272 Menschen. 

Der Essraum im Bässlergut bietet den fast 130 Menschen kaum genügend Platz, um Abstand zu halten, sagt Murad*.

Der Essraum im Bässlergut bietet den fast 130 Menschen kaum genügend Platz, um Abstand zu halten, sagt Murad*. (Foto: zvg)

Auch gibt er keine klare Antwort auf die Frage, ob es immer noch Kakerlaken und dreckige Duschen im Bundesasylzentrum gibt: «Das schweizweit geltende Betriebskonzept definiert die Reinigungsstandards in den Zentren. Für die Reinigung ist eine externe Firma beauftragt. Werden Probleme bezüglich Ungeziefer festgestellt, werden umgehend die nötigen Massnahmen getroffen. Die Qualitätsmessung erfolgt periodisch durch das SEM.» Über die Platzverhältnisse im Essraum entgegnet Kormann**: «Selbstverständlich essen die 130 Personen gestaffelt, das weiss niemand besser als die BAZ-Bewohner selber. Das Bild von «Bajour» belegt, dass die Abstände eingehalten werden können, indem Sitzplätze gesperrt sind.»

Und was ist mit den Menschen, die Risikogruppen angehören? Müssen sie tatsächlich mit anderen Bewohner*innen in vollen Zimmern schlafen?

Auch hier geht der SEM-Sprecher nicht genauer auf die Frage ein und meint nur: «Alle den Risikogruppen angehörenden Asylsuchenden sind dem Pflegepersonal bekannt und werden entsprechend adäquat untergebracht.» 

«In Allschwil ist es sauberer»

Amin* lebt seit zwanzig Tagen im Asylzentrum in Allschwil. Davor war er im Bässlergut. «Dort war es ziemlich dreckig und unangenehm. In Allschwil ist es immerhin hygienischer, auch wenn wir hier nicht viel Platz haben. Momentan teile ich mir mein Zimmer mit vier Menschen.» 

Doch auch Amin hat Angst. Der Grund: Seit dem 12. Oktober lebt er mit Corona-Infizierten in derselben Unterkunft. Denn nach dem Ausbruch wurden die Bewohner*innen im Bässlergut flächendeckend getestet und die erkrankten Jugendlichen aus der Villa Uma nach Allschwil verlegt, wo sie in Isolation verharren.

Amin hat den Transfer der infizierten Teenager am Montag mitbekommen. Manchmal sieht er die Jugendlichen am Fenster stehen und kommuniziert mit ihnen aus der Ferne. «Uns anderen ist nicht sehr wohl dabei, dass wir uns eine Unterkunft mit den Infizierten teilen müssen. Aber wir können natürlich nirgends anders hin.»

Allerdings leben die infizierten Jugendlichen isoliert auf einem separaten Stockwerk. Amin sieht sie nur aus der Ferne am Fenster.

«Regeln, Regeln, Regeln.»

Murad*, 24

Und auch den Jugendlichen, die Corona haben, geht es offenbar nicht so gut. Murad ist mit einem von ihnen befreundet und tauscht sich per SMS aus. «Er schreibt, es sei schrecklich monoton und belastend, weil sie so viele in einem Raum seien.»

Körperlich geht es ihnen aber offenbar gut. Ihr Krankheitsverlauf sei mild, sagt Reto Kormann vom SEM. «Die infizierten Asylsuchenden werden täglich mehrmals auf Symptome, inklusive Fiebermessung, untersucht. Aktuell geht es allen gut. Sollte sich der Gesundheitszustand jedoch dramatisch verschlechtern, werden Asylsuchende durch den Zentrumsarzt in ein Krankenhaus überwiesen.» 

Was heisst Ausgangsverbot?

Auch für Murad im Bässlergut gelten seit dem Corona-Ausbruch andere Bedingungen, wie die bz berichtete: Neben der Maskenpflicht in Gängen und im Essraum, wurde den Bewohner*innen ab sofort der Ausgang am Wochenende verboten. 

Das bedeutet, dass die Bewohner*innen auch am Wochenende im Asylzentrum übernachten müssen. Normalerweise dürfen sie von Freitag bis Sonntag, auswärts übernachten. Das Basler Gesundheitsdepartement erklärt auf Nachfrage, dass die Einschränkung bis zum 8. November dauern wird. Mit möglicher Verlängerung. «Ansonsten gelten nach wie vor die üblichen Ausgangszeiten im Bundesasylzentrum», sagt Reto Kormann. Tagsüber gelten die normalen Ausgangsbedingungen, es handle sich also um kein eigentliches Ausgangsverbot, sagt er.

Laut Gesundheitsdepartement soll die verschärfte Regel weitere Ansteckungen mit dem Virus verhindern: «Dies, weil die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung an den Wochenenden regelmässig Freunde und Bekannte an verschiedenen Orten in der Schweiz unter oftmals beengten Verhältnissen treffen, die im Rahmen des Contact Tracings kaum nachvollziehbar sind.»

Murad nimmt das Verbot resigniert hin: «Regeln, Regeln, Regeln», sagt er. «Wir mussten uns schon vorher an viele Vorgaben halten und durften die Unterkunft bloss zu gewissen Zeiten verlassen. Dieses neue Verbot ist nur ein Grund mehr, warum ich mich nicht frei fühle. Manchmal denke ich: Lieber würde ich im Wald leben, als hier im Asylzentrum. Es fühlt sich an wie ein Gefängnis.»

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Auf Wunsch der Protagonisten nennen wir keine Details zu Identität und Fluchtgründen.

**Diese Information wurde nach der Publikation des Artikels ergänzt.

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