Weil Assad weg ist, verschenkt sie Baklava

Nahed Moustafa und ihre Familie kamen 2012 als Bürgerkriegsflüchtlinge in die Schweiz – heute betreiben sie das Restaurant «Aleppo» in Liestal. Die Syrerin erzählt, wie sie die Nachrichten über den Regimesturz in ihrer alten Heimat aus der Ferne miterlebt hat.

Nahed Moustafa Razouk
«Was bringt die Zukunft für meine Heimat?», fragt sich die Liestaler Syrerin Nahed Moustafa Razouk. (Bild: David Rutschmann)

Nahed Moustafa Razouk rückt die Kerzen gerade. Der Mittagsrush im Restaurant «Aleppo» in Liestal ist vorbei, also widmet sich die 49-Jährige der korrekten Anordnung der Deko. Neben bunten orientalischen Laternen-Konstruktionen an der Decke und kleinen Herbstfiguren und Pflanzen auf den Fensterbänken zieht sich ein Banner durch die Ecke des Raums, auf dem «Michis Pensionierung» steht. Noch bevor der Raum vollends inspiziert werden konnte (Ist das Aleppo-Seife, die da in einem Regal zum Verkauf angeboten wird?) landet ein Teller vor der Nase des Journalisten. Hummus, Baba Ghanoush, Bulgur und einiges mehr. Die Gastfreundschaft der ruhigen, aber auskunftsfreudigen Restaurantbetreiberin ist nicht von der Hand zu weisen. 

Drei Männer jenseits der 60 sind bereits vom Zmittag zum Bier gewechselt, sie unterhalten sich über Political Correctness. Moustafas Mann Ahmed Razouk kommt aus der Küche, mit einem der Männer entwickelt sich auf Arabisch ein Gespräch über die Situation in Syrien, das Herkunftsland der Familie. «Die Menschen in Syrien werden jetzt erstmal alle psychische Versorgung brauchen», wirft Moustafa ein. Der Sturz des diktatorischen Assad-Regimes hat Syrien mit einem Schlag wieder in aller Munde gebracht. Nach 50 Jahren autoritärer Herrschaft und 13 Jahren Bürgerkrieg.

Mezze Aleppo Take Away
Sie serviert Mezze mit verschiedenen Speisen aus dem Nahen Osten. (Bild: David Rutschmann)

Als die Gäste weg sind und das Restaurant leer ist, erzählt sie, wie angespannt sie alle in der vergangenen Woche gewesen seien: «Mit einem Auge war man immer bei einem Bildschirm und hat alle neuen Nachrichten angeschaut.» Die Rebellen hatten ihre alte Heimat Aleppo wieder eingenommen, die Offensive in Richtung Damaskus schritt in Windeseile voran. Um vier Uhr am Sonntagmorgen («Wir waren alle wach und haben gewartet») wurde dann bekannt, dass Assad aus Syrien geflohen sei. Zunächst war die Freude gross. Es sei wie ein Traum gewesen, erzählt Moustafa. «Wir haben uns so gefreut, dass Assad endlich weg ist, dass wir unseren Kunden Baklava geschenkt haben.»

«Mit diesem Ausmass an Gewalt in den syrischen Gefängnissen haben wir nicht gerechnet.»
Nahed Moustafa Razouk

Doch am Nachmittag und Abend zeigten die Sozialen Medien und Nachrichtensendungen dann die Bilder aus den Gefängnissen des Regimes. Bilder von Folterinstrumenten und Säcken voller Knochen, die man fast nicht aushält. «Uns war schon bewusst, dass es diese Gefängnisse gibt. Aber so viele junge Menschen, die ihr halbes Leben dort verbracht haben. So viele Frauen und Mädchen. So viele Kinder, die dort zur Welt kamen.» Sie hält inne. «Nein, mit diesem Ausmass haben wir nicht gerechnet.» Noch immer ist unklar, ob alle Angehörigen («Jede Familie hat Verwandte im Gefängnis, auch unsere», sagt Moustafa) gesund aus den Gefängnissen heimkommen können.

Bücher im Aleppo Take Away
Coffee-Table-Lektüre im Aleppo-Take-away: Ein Buch über Baselbieter Frauen und ein Bildband über Syrien ohne Krieg. (Bild: David Rutschmann)

In ihrem Restaurant sticht zwischen der arabischen Dekoration ein Buch heraus, dessen Einband eine Szene aus Damaskus zeigt: Frauen und Männer sitzen in einem Strassencafé, unterhalten sich, trinken Kaffee, rauchen Shisha. Der Bildband «Syrien. Ein Land ohne Krieg» zeigt Fotos aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Es sind Bilder wie aus der Erinnerung Moustafas, von ihrer Heimat Aleppo. Von einer Altstadt wie aus Reisebüro-Werbungen. Hier hatte Moustafa, die gelernte Kindergartenlehrerin, ein Café. Ihr Mann arbeitete jahrelang als Polizist und Politiker. Er desertierte, als der Bürgerkrieg ausbrach.

Neben dem Vorkriegs-Bildband steht ein Buch mit Porträts von 33 Baselbieterinnen. Moustafa konnte darin ihre Geschichte von der Geflüchteten zur erfolgreichen Restaurantbetreiberin erzählen: 2011 floh die Familie aus Aleppo über die Türkei nach Griechenland. Die Reise war beschwerlich: Viel zu Fuss, zum Teil über das Mittelmeer. Die Familie konnte sich nicht aussuchen, wo sie sich in Europa niederlassen kann. Das Ehepaar landete  2012 mit dem zweijährigen Sohn in der Schweiz. Die beiden älteren Söhne, damals 12 und 15 Jahre alt, hätte das Migrationsamt erst anderthalb Jahre später nachziehen lassen, wie Moustafa erzählt.

«Nur weil Assad weg ist, wird die Zukunft nicht automatisch besser.»
Nahed Moustafa Razouk

In der Schweiz wurde die Familie dem Kanton Jura zugeteilt. «Uns war klar, dass wir nicht von der Sozialhilfe leben wollen. Also habe ich angefangen, das zu machen, was ich kann: Kochen», erzählt Moustafa. Ihre Speisen verkaufte sie in Delémont auf dem Wochenmarkt. Dann erhielt sie die Chance, das Restaurant in Liestal zu eröffnen. Nachdem ihre Familie vier Jahre französisch gelernt hatte, zog sie also in die Deutschschweiz um. «Das war vor allem für unsere Söhne schwierig. Bevor sie eine Lehre machen konnten, mussten sie zuerst noch einmal eine neue Sprache lernen.» Mittlerweile haben alle ihren Ausbildungsplatz gefunden: Logistiker, Coiffeur, Elektriker.

Aleppo Take Away
Das Restaurant und Take Away befindet sich im Ziegelhofareal in Liestal. (Bild: David Rutschmann)

Nach der Mezze breitet Nahed Moustafa die Geopolitik auf dem Tisch aus. Die Rhäzünser-Flasche ist Damaskus, der eichelblattförmige Teelichthalter ist Aleppo. Moustafas Hand zeichnet auf der Tischdecke die Karte nach, die zuletzt auf News-Portalen omnipräsent war: Die Küstenregion Syriens ist nun unter der Kontrolle der Rebellen, doch israelische Angriffe drängen Richtung Damaskus vor. Es ist aber vor allem das östliche Gebiet, das Moustafa Sorgen bereitet, denn dort haben sich die Kämpfe intensiviert. Die kurdische Bevölkerung hofft, dass das Momentum gekommen ist, um die autonome Region Rojava zu etablieren. Das will die Türkei verhindern. «Und die USA unterstützen die Kurden, denn dort ist das Öl», so Moustafa. Sie fürchtet, dass das zu einem grossen Krieg führen könnte.

Sie findet es überstürzt, dass die Schweiz nun bereits die Asylverfahren von Syrer*innen auf Eis legt. «Bis heute kommen viele Leute aus Syrien nach Europa und für die Flucht haben sie viel bezahlt: Sie haben ihre Heimat aufgegeben, sie sind zwei Monate oder länger gereist. Und nur weil Assad weg ist, wird die Zukunft nicht automatisch besser», so Moustafa. Man merkt: Sie misstraut Mohamed al-Dschaulani, der plötzlich so moderat und weltoffen wirkende Anführer der islamistischen Rebellentruppen. Aber sie zweifelt auch, ob eine Rückreise derzeit so einfach ist: «Fast alles ist zerbombt, man findet keine Wohnung und müsste in Zelten schlafen. Strom und Wasser gibt es auch kaum und Geld kann man auch keines verdienen, denn es gibt kaum Arbeit.» 

Die Syrer*innen vor Ort und im Exil stehen vor vielen Herausforderungen. Krieg soll keine mehr davon sein. 

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Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

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