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Falsch verbunden

«Wie viele Impfgeschädigte kennen Sie?»

Kann man mit radikalisierten Impfgegner*innen reden? Im Prinzip ja – ist aber sinnlos. Ein Mailverkehr mit einem Verschwörungstheoretiker.

09/08/21, 03:00 AM

Aktualisiert 09/08/21, 09:36 AM

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(Foto: Tom Radetzki / Unsplash)

Es ist keineswegs so, dass sich alle Menschen, die sich skeptisch bis ablehnend zur Corona-Impfung stellen, in eine Parallelwelt verabschiedet haben. Manche haben einfach Fragen zu Risiken und Nebenwirkungen, andere meinen, Corona ginge sie eigentlich nichts an, schliesslich sei ihr Immunsystem intakt. 

Und dann gibt es jene, für die das Virus entweder eine Erfindung einer geheimnisvollen Macht ist, die ihnen nach Leib und Leben trachtet, oder dann von diesen bösen Mächten hergestellt und freigesetzt worden ist – zum selben Zweck. Auch hier gibt es Abstufungen, von den Anfälligen, für die «es ja möglich sein könnte», bis zu den «Erwachten», die genau zu wissen meinen, was da gespielt wird. 

Mit letzteren, die in einer Art selbstschliessenden Wahrnehmungs- und Meinungsblase leben, zu kommunizieren, zumal als «Systemjournalist*in», ist eine Erfahrung der andern Art, wie folgender per Email geführter Dialog zeigt. Er wurde ganz leicht gekürzt, hat aber genauso stattgefunden.

Ausgangslage war ein längeres Mail einer im Raum Basel lebenden Person an unsere Redaktionsadresse. In diesem Schreiben werden die üblichen Verschwörungsfantasien gesponnen. Krank werden und sterben würden vor allem die Geimpften und so weiter. Man kann es sich ausmalen. Ein Satz ist mir aber aufgefallen. Er lautet:

«Ich kenne sehr viel mehr Menschen mit ‹Impf-› und Kollateral-Schäden (allein in meiner Wohnstrasse), als Menschen mit einem schweren Corona-Verlauf.»

Ich dachte mir: «Ok, das kann fast nicht sein, aber was, wenn die Person recht hat?» Also schickte ich ihr an einem Morgen um 8.49 Uhr ein Mail:

Die Antwort erfolgte rasch. Bereits um 9.32 Uhr traf das Mail ein:

Das war Stufe 1 auf der Eskalationsskala, die Journalist*innen und Behördenmitgliedern so oder ähnlich bekannt vorkommen dürfte: der Vereinnahmungsversuch durch «persönliches Kennenlernen», Bedingungen formulieren und klar machen, dass man den Skandal in seiner ganzen Grösse darzulegen wünscht. Ebenso klassisch wie tragisch. Viele Redaktor*innen kennen Geschichten von Menschen, die mit Bundesordnern voller «Beweise» über korrupte Politiker*innen, Parlamente und Gerichte auftauchten, um ein angebliches Unrecht sühnen wollen, das die Medien bisher verschwiegen hätten.

Ich schrieb ihm also um 9.44 Uhr zurück:

Seine Antwort um 10.24 Uhr:

Stufe 2: Hinhaltetaktik. Die Forderung nach einem persönlichen Kennenlernen soll meine konkreten Fragen vergessen lassen. Deshalb schrieb ich um 10.30 Uhr:

Womit mein Gegenüber um genau 10.51 Uhr die Maske fallen liess (Stufe 3, die Wut, weil beleidigt, Rundumschlag):

Antwort auf meine Fragen? Fehlanzeige. Warum? Weil ich so «unsensibel» bin? Oder weil es für die Behauptung keine Belege gibt? Das hab ich der Person dann um 10.58 Uhr – leicht genervt und deshalb nicht so nüchtern, wie geboten – auch geschrieben:

Natürlich gehört das letzte Wort der Person. Und es enthält eine «Drohung», unter anderem Einbezug einer höheren Stelle. Auch das ist archetypisch und entspricht der Stufe 4. Um 11.16 schrieb die Person:

Und die Person hat dann meiner Chefin tatsächlich auch noch geschrieben.

Was lernen wir aus dieser Episode? Wenn man Menschen, welche die «Wahrheit» kennen, Fragen stellt, fühlen sie sich in Frage gestellt. Wer nicht einfach glaubt, was sie erzählen, ist unverschämt.

«Selber denken» und «kritisch hinterfragen» wird nur akzeptiert, wenn es der Bestärkung der eigenen Sicht dient. So gibt es dann halt auf einfache Sachfragen statt Antworten einen Mailverkehr wie diesen hier.

Die Schwurbler-Connection

Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen gibt es nicht nur im Internet und an Kuhglocken-Demonstrationen, sondern auch hier, in der Region Basel. Auch wenn sie im Alltag nicht sehr sichtbar sind, so ist doch ein veritables Netzwerk entstanden. Als Booster haben die referendumsfähigen «Verfassungsfreunde» gedient, deren Präsident aus dem oberen Baselbiet stammt. 

So gibt es in der Anthroposophen-Hochburg Dornach eine Regionalgruppe, welche auf ihrer Website das Wort «Freiheit» inflationär benutzt, die Notlage in den Spitälern abtut, gegen sämtliche Corona-Massnahmen ist, aber immerhin die Existenz des Virus als solches anerkennt. Und ein gerichtsnotorischer Online-Hetzer hat aus seinem «Online-Medium» flugs eine Partei gebastelt, weil ihm die SVP zu weich im Widerstand gegen die Behörden ist und generell zu wenig weit rechts steht.

Soziologieprofessor Oliver Nachtwey von der Uni Basel hat die Szene untersucht. Sein vorläufiges Fazit (Stand Dezember 2020): «Aus der Mittelschicht, eher älter und akademisch gebildet – das sind die typischen Merkmale der Angehörigen der Protestbewegung gegen die Corona-Massnahmen in Deutschland und der Schweiz. Die Gegner sind in sich heterogen, aber nach rechts offen und vom politischen System stark entfremdet».

Abgesehen von einschlägigen Facebook- und Telegram-Gruppen, die aus den verschiedensten weltanschaulichen Ecken kommend, Corona in unterschiedlicher Vehemenz  leugnen oder als Teil eines «Masterplans Menschheitsvernichtung» (ähnlich wie unser*e Protagonist*in im Haupttext) sehen, gibt es auch ganz praktische Angebote. Eine Website, zum Beispiel auf der man Geschäfte/Läden/Beizen eintragen kann, die alle «Menschen willkommen heissen». Da heisst es dann wörtlich:

«Mit der Einführung des COVID-Zertifikats droht eine Zweiklassen Gesellschaft zwischen geimpften und ungeimpften Menschen. Gerade Unternehmerinnen und Unternehmer geraten zunehmend in die Pflicht, ihre Kunden zu klassifizieren und Menschen ohne Gesundheitspass den Zutritt zu verwehren. Die heute in der Schweiz geltenden Verfassungsrechte verbieten ein solches Vorgehen und Verhalten im Grundsatz des Diskriminierungsverbotes.

Firmen, welche auf xxx (Name der Redaktion bekannt) gelistet sind, garantieren mit ihrem Eintrag dafür, auf Diskriminierung zu verzichten, alle Menschen gleich zu behandeln und ihnen ungeachtet ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung und Weltanschauung freien Zugang zu ihren Produkten und Dienstleistungen zu gewähren.

Sie verzichten ausdrücklich darauf, Kundinnen und Kunden auf ihren Gesundheitszustand anzusprechen und/oder den Vorweis von Gesundheitsdokumenten zu verlangen. Dabei berufen sie sich auf Artikel 8 (Diskriminierungsverbot) sowie auf Artikel 27 (Wirtschaftsfreiheit) der Schweizerischen Bundesverfassung.»

Rund 140 Positionen sind auf der interaktiven Karte für die Region Basel eingezeichnet. Darunter ein vegetarisches Bistro, eine Kinderkrippe, eine Musikschule eine Praxis für Klangbehandlungen, ein schamanisches Studio, sonstige Körpertherapie-Institute und eine Kinder-und Jugendtherapeutin.

Bajour verzichtet darauf, Namen zu nennen und diesen Bewegungen eine Plattform zu bieten.

Tipps im Umgang mit Coronaleugner*innen

  • Eins-Zu-Eins-Kontakt suchen: Möglichst im persönlichen Gespräch unter vier Augen über das Thema sprechen. Ohne Publikum fällt es leichter in der Sache zu sprechen. Es droht so kein Gesichtsverlust, wenn sich die Meinung verändert. 
  • Nüchtern und sachlich bleiben: Oft werden Verschwörungsmythen emotional und persönlich aufgeladen vorgetragen. Begibt man sich auf die emotionale Ebene wird das Gespräch schnell zum Zweikampf, die Positionen verhärten sich. 
  • Wertschätzende Gesprächsführung mit Neugier und Offenheit: Widerspruch nur in der Sache, nicht das Gegenüber verurteilen, weil es eine andere Meinung vertritt. 
  • Offene Fragen stellen: Woher hast du die Informationen? Warum ist dir das so wichtig? Wie kommt es, dass… So kann Raum für Zweifel an festgefahrenen Meinungen entstehen. 
  • Wenn nötig rote Linien ziehen: Ich möchte hier nur mit Abstand / Maske sprechen. Ich nehme Corona ernst und halte mich an Vorsichtsmassnahmen.

Bajour hilft dir bei der Orientierung

... und das ist möglich, dank deiner Unterstützung. Danke!

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