«Wie viele Impfgeschädigte kennen Sie?»

Kann man mit radikalisierten Impfgegner*innen reden? Im Prinzip ja – ist aber sinnlos. Ein Mailverkehr mit einem Verschwörungstheoretiker.

Aluhut Corona Skeptiker

Es ist keineswegs so, dass sich alle Menschen, die sich skeptisch bis ablehnend zur Corona-Impfung stellen, in eine Parallelwelt verabschiedet haben. Manche haben einfach Fragen zu Risiken und Nebenwirkungen, andere meinen, Corona ginge sie eigentlich nichts an, schliesslich sei ihr Immunsystem intakt. 

Und dann gibt es jene, für die das Virus entweder eine Erfindung einer geheimnisvollen Macht ist, die ihnen nach Leib und Leben trachtet, oder dann von diesen bösen Mächten hergestellt und freigesetzt worden ist – zum selben Zweck. Auch hier gibt es Abstufungen, von den Anfälligen, für die «es ja möglich sein könnte», bis zu den «Erwachten», die genau zu wissen meinen, was da gespielt wird. 

Mit letzteren, die in einer Art selbstschliessenden Wahrnehmungs- und Meinungsblase leben, zu kommunizieren, zumal als «Systemjournalist*in», ist eine Erfahrung der andern Art, wie folgender per Email geführter Dialog zeigt. Er wurde ganz leicht gekürzt, hat aber genauso stattgefunden.

Ausgangslage war ein längeres Mail einer im Raum Basel lebenden Person an unsere Redaktionsadresse. In diesem Schreiben werden die üblichen Verschwörungsfantasien gesponnen. Krank werden und sterben würden vor allem die Geimpften und so weiter. Man kann es sich ausmalen. Ein Satz ist mir aber aufgefallen. Er lautet:

«Ich kenne sehr viel mehr Menschen mit ‹Impf-› und Kollateral-Schäden (allein in meiner Wohnstrasse), als Menschen mit einem schweren Corona-Verlauf.»

Ich dachte mir: «Ok, das kann fast nicht sein, aber was, wenn die Person recht hat?» Also schickte ich ihr an einem Morgen um 8.49 Uhr ein Mail:

«Gerne hätte ich dazu nähere Angaben, um dies überprüfen und einen Artikel darüber zu verfassen. Deshalb folgende Fragen:

  • Wie lautet Ihre Wohnadresse?
  • Wie viele Fälle von Impfgeschädigten sind Ihnen in Ihrer Strasse bekannt?
  • Und wie viele Covid-Fälle?
  • Woran leiden die Impfgeschädigten?
  • Welchen Krankheitsverlauf hatten die Covid-Infizierten?
  • Was sind Kollateralschäden? Wie viele Personen sind betroffen? Und unter was genau leiden diese Menschen?
  • Sind die von Ihnen genannten Impf- und Kollateralgeschädigten bereit, mit einem Journalisten zu reden? Um dem Artikel Gewicht zu verleihen, muss ich mit einigen reden können; die Wiedergabe erfolgt dann auf Wunsch natürlich anonymisiert.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn ich die Antworten spätestens heute Abend erhalten würde.»

Die Antwort erfolgte rasch. Bereits um 9.32 Uhr traf das Mail ein:

«Schöne Überraschung des Tages. Und grossartig, dass nach mehr als einem Jahr wieder mal jemand von Ihrer Redaktion ein Zeichen sendet.

Wir haben ja das ‹Heu› nicht grad auf der gleichen Bühne, bajour und ich. Darum finde ich Ihre Initiative bemerkenswert – so sollte eigentlich das Leben unter verschieden Denkenden und fühlenden Polen funktionieren: mal hinhören warum, wie und was beim andern anders tickt. Vor dem niedermachen.

Bis heute Abend kann ich Ihnen diese Hausaufgaben nicht machen. Allein schon, weil – wie Sie auch völlig richtig einflechten – da ganz sensible, subtile menschliche Aspekte verbunden sind.

Nicht nur anbieten, nein ein Wunsch meinerseits ist hingegen: wir können uns (…) treffen und uns

  • persönlich treffen und kennen lernen
  • den Rahmen und die Bedingungen abstecken, wie Sie Ihre Arbeit angehen können
  • wie wir mit den betroffenen Menschen umgehen, Kontakt erstellen, Vertraulichkeiten angehen können

Ein viel grösseres, heikleres und fragileres Problem, als ich das auf ein paar Zeilen angehen und abwickeln möchte. Sie wahrscheinlich auch nicht. Stehe für die Vereinbarung eines Termins zur Verfügung und bin flexibel und schnell mit dem Velo.»

Das war Stufe 1 auf der Eskalationsskala, die Journalist*innen und Behördenmitgliedern so oder ähnlich bekannt vorkommen dürfte: der Vereinnahmungsversuch durch «persönliches Kennenlernen», Bedingungen formulieren und klar machen, dass man den Skandal in seiner ganzen Grösse darzulegen wünscht. Ebenso klassisch wie tragisch. Viele Redaktor*innen kennen Geschichten von Menschen, die mit Bundesordnern voller «Beweise» über korrupte Politiker*innen, Parlamente und Gerichte auftauchten, um ein angebliches Unrecht sühnen wollen, das die Medien bisher verschwiegen hätten.

Ich schrieb ihm also um 9.44 Uhr zurück:

«Danke für Ihre rasche Reaktion. Bevor wir uns allenfalls treffen, möchte ich erst die Antworten auf meine Fragen erhalten. Diese benötigen nicht viele Zeilen. Wenn es dann tatsächlich zu Kontakten mit Betroffenen kommen sollte, werde ich Rahmen und Bedingungen gerne direkt mit ihnen abmachen. Keinesfalls ist es möglich, mir vorzuschreiben, wie ich meine Arbeit angehen soll.

Meinen Sie, Sie schaffen es, mir die Antworten bis morgen Mittag zu liefern?»

Seine Antwort um 10.24 Uhr:

«Nein, mir geht es überhaupt nicht darum, Ihnen vorzuschreiben wie Sie Ihre Arbeit angehen sollen. Das ist weder mein Job, Recht noch meine Absicht.

Aber Sie verstehen sicher, dass ich mir ebenfalls nicht vorgeben lasse und wenn Sie diese Fragen mit ‹nicht vielen Zeilen› beantwortet sehen können, dann wundert mich das einigermassen.

Ich will wissen mit wem ich es zu tun habe und ich denke, das ist für Sie auch wichtig. In diesem Sinne, ohne dass wir uns kennen, uns einen persönlichen Eindruck des Menschen gegenüber machen können (und wollen), geht gar nix.»

Stufe 2: Hinhaltetaktik. Die Forderung nach einem persönlichen Kennenlernen soll meine konkreten Fragen vergessen lassen. Deshalb schrieb ich um 10.30 Uhr:

«Schauen Sie, es ist eine ganz einfache, journalistische Anfrage meinerseits: Sie haben in dem Rundmail eine Behauptung in die Welt gesetzt, die ich überprüfen möchte. Genau das ist mein Job. Da geht es nicht um Persönliches und um Eindrücke, sondern nur um Fakten. Belegen Sie mir, dass Ihre Aussagen stimmen, dann bin ich noch so interessiert, Sie persönlich kennenzulernen.»

Womit mein Gegenüber um genau 10.51 Uhr die Maske fallen liess (Stufe 3, die Wut, weil beleidigt, Rundumschlag):

«Wenn Sie genau gleich feinfühlig, respektvoll und intelligent vorgehen bei einer einzigen Adresse / Person, wo sie ‹überprüfen› wollen, dann gute Nacht!

Ich bin mir einiges gewohnt von bajour, das haut mich nicht grad um. Aber traumatisierten, kranken, belogenen und betrogenen Menschen, denen möchte ich sowas nicht antun.

Da liegt es an Ihnen und den meisten auf Ihrer Redaktion zuerst einmal Anstand & Respekt vor allen Menschen zu lernen. Sogar vor mir. Allein Ihre Unterstellung, dass meine Aussagen nicht stimmen sollen, ist eine böse Frechheit.

Aber ich spreche auch mit Schnöseln wie Ihnen, wenn Sie dazu das Rückgrat haben. Wir würden dann nochmals auf Null stellen und versuchen, mit etwas Vorsicht, Respekt und Fakten zu prüfen.»

Antwort auf meine Fragen? Fehlanzeige. Warum? Weil ich so «unsensibel» bin? Oder weil es für die Behauptung keine Belege gibt? Das hab ich der Person dann um 10.58 Uhr – leicht genervt und deshalb nicht so nüchtern, wie geboten – auch geschrieben:

«Jetzt bin ich ein Schnösel und respektlos, weil ich Ihre Aussagen überprüfen will. Das nennt man Journalismus. Man recherchiert, überprüft und studiert die Fakten. Das ist unser Job und hat nichts mit fehlender Empathie zu tun. Ganz im Gegenteil, Aber ich habe mir schon gedacht, dass Sie sich in Ausflüchte retten müssen. Naja, gut, keine Antwort ist auch eine Antwort.»

Natürlich gehört das letzte Wort der Person. Und es enthält eine «Drohung», unter anderem Einbezug einer höheren Stelle. Auch das ist archetypisch und entspricht der Stufe 4. Um 11.16 schrieb die Person:

«bajour Journalismus

Mal sehen, was Sie draus machen, ich zeig Ihnen dann – vorgängig! – was ich draus mach!

Wenn irgendjemand von Ihrer Redaktion – vielleicht die Chefin? – Format hat, dann kann man/frau mit mir sprechen, dieses Angebot gilt seit 18 Monaten.

Das, was Sie machen ist Polemik, erst noch schlechte und mein Verhalten hat nichts mit Ausflüchten zu tun. Höchstens mit etwas Vorsicht. Hat mit der Reputation zu tun, die sich ein Portal erarbeitet, das vorgibt, denken & schreiben unter Berücksichtigung von Fakten abzuliefern.»

Und die Person hat dann meiner Chefin tatsächlich auch noch geschrieben.

Was lernen wir aus dieser Episode? Wenn man Menschen, welche die «Wahrheit» kennen, Fragen stellt, fühlen sie sich in Frage gestellt. Wer nicht einfach glaubt, was sie erzählen, ist unverschämt.

«Selber denken» und «kritisch hinterfragen» wird nur akzeptiert, wenn es der Bestärkung der eigenen Sicht dient. So gibt es dann halt auf einfache Sachfragen statt Antworten einen Mailverkehr wie diesen hier.

Die Schwurbler-Connection

Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen gibt es nicht nur im Internet und an Kuhglocken-Demonstrationen, sondern auch hier, in der Region Basel. Auch wenn sie im Alltag nicht sehr sichtbar sind, so ist doch ein veritables Netzwerk entstanden. Als Booster haben die referendumsfähigen «Verfassungsfreunde» gedient, deren Präsident aus dem oberen Baselbiet stammt. 

So gibt es in der Anthroposophen-Hochburg Dornach eine Regionalgruppe, welche auf ihrer Website das Wort «Freiheit» inflationär benutzt, die Notlage in den Spitälern abtut, gegen sämtliche Corona-Massnahmen ist, aber immerhin die Existenz des Virus als solches anerkennt. Und ein gerichtsnotorischer Online-Hetzer hat aus seinem «Online-Medium» flugs eine Partei gebastelt, weil ihm die SVP zu weich im Widerstand gegen die Behörden ist und generell zu wenig weit rechts steht.

Soziologieprofessor Oliver Nachtwey von der Uni Basel hat die Szene untersucht. Sein vorläufiges Fazit (Stand Dezember 2020): «Aus der Mittelschicht, eher älter und akademisch gebildet – das sind die typischen Merkmale der Angehörigen der Protestbewegung gegen die Corona-Massnahmen in Deutschland und der Schweiz. Die Gegner sind in sich heterogen, aber nach rechts offen und vom politischen System stark entfremdet».

Abgesehen von einschlägigen Facebook- und Telegram-Gruppen, die aus den verschiedensten weltanschaulichen Ecken kommend, Corona in unterschiedlicher Vehemenz  leugnen oder als Teil eines «Masterplans Menschheitsvernichtung» (ähnlich wie unser*e Protagonist*in im Haupttext) sehen, gibt es auch ganz praktische Angebote. Eine Website, zum Beispiel auf der man Geschäfte/Läden/Beizen eintragen kann, die alle «Menschen willkommen heissen». Da heisst es dann wörtlich:

«Mit der Einführung des COVID-Zertifikats droht eine Zweiklassen Gesellschaft zwischen geimpften und ungeimpften Menschen. Gerade Unternehmerinnen und Unternehmer geraten zunehmend in die Pflicht, ihre Kunden zu klassifizieren und Menschen ohne Gesundheitspass den Zutritt zu verwehren. Die heute in der Schweiz geltenden Verfassungsrechte verbieten ein solches Vorgehen und Verhalten im Grundsatz des Diskriminierungsverbotes.

Firmen, welche auf xxx (Name der Redaktion bekannt) gelistet sind, garantieren mit ihrem Eintrag dafür, auf Diskriminierung zu verzichten, alle Menschen gleich zu behandeln und ihnen ungeachtet ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung und Weltanschauung freien Zugang zu ihren Produkten und Dienstleistungen zu gewähren.

Sie verzichten ausdrücklich darauf, Kundinnen und Kunden auf ihren Gesundheitszustand anzusprechen und/oder den Vorweis von Gesundheitsdokumenten zu verlangen. Dabei berufen sie sich auf Artikel 8 (Diskriminierungsverbot) sowie auf Artikel 27 (Wirtschaftsfreiheit) der Schweizerischen Bundesverfassung.»

Rund 140 Positionen sind auf der interaktiven Karte für die Region Basel eingezeichnet. Darunter ein vegetarisches Bistro, eine Kinderkrippe, eine Musikschule eine Praxis für Klangbehandlungen, ein schamanisches Studio, sonstige Körpertherapie-Institute und eine Kinder-und Jugendtherapeutin.

Bajour verzichtet darauf, Namen zu nennen und diesen Bewegungen eine Plattform zu bieten.

Tipps im Umgang mit Coronaleugner*innen
  • Eins-Zu-Eins-Kontakt suchen: Möglichst im persönlichen Gespräch unter vier Augen über das Thema sprechen. Ohne Publikum fällt es leichter in der Sache zu sprechen. Es droht so kein Gesichtsverlust, wenn sich die Meinung verändert. 
  • Nüchtern und sachlich bleiben: Oft werden Verschwörungsmythen emotional und persönlich aufgeladen vorgetragen. Begibt man sich auf die emotionale Ebene wird das Gespräch schnell zum Zweikampf, die Positionen verhärten sich. 
  • Wertschätzende Gesprächsführung mit Neugier und Offenheit: Widerspruch nur in der Sache, nicht das Gegenüber verurteilen, weil es eine andere Meinung vertritt. 
  • Offene Fragen stellen: Woher hast du die Informationen? Warum ist dir das so wichtig? Wie kommt es, dass… So kann Raum für Zweifel an festgefahrenen Meinungen entstehen. 
  • Wenn nötig rote Linien ziehen: Ich möchte hier nur mit Abstand / Maske sprechen. Ich nehme Corona ernst und halte mich an Vorsichtsmassnahmen.
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