Der Herr der verlorenen Dinge
Ivan Röthlisberger betreibt das Fundbüro des Kollegienhauses. Hier finden nicht nur vergessene Gegenstände wieder zu ihren Besitzer*innen, sondern auch Menschen zueinander.
Das Fundbüro ist einer dieser Orte, die man nur im Notfall betritt, mit einem mulmigen Gefühl und der Hoffnung, dass das verloren gegangene Herzensstück tatsächlich abgegeben wurde. Auch die Studierenden der Universität Basel lassen einiges liegen: Trinkflaschen, Regenschirme, Schals – und nicht selten auch Apple Pens oder teure Kopfhörer.
Wer in den Keller des Kollegienhauses am Petersplatz hinuntersteigt, landet im Büro von Ivan Röthlisberger. Hier findet man fast alles, was zurückgelassen wurde.
Doch Röthlisberger ist weit mehr als der Herr über die verlorenen Dinge. Das Fundbüro ist für ihn eher Nebenschauplatz. In der Zentralen Universitätsverwaltung zieht er seit 26 Jahren im Hintergrund die Fäden. Er nennt sich selber lachend «Mädchen für alles mit Bart».
«Ich finde es wichtig, Menschen einzustellen, die sorgfältig sind. Wer sich um sein verlorenes Zeug kümmert und wertschätzend damit umgeht, passt gut in meine Helfergruppe.»Ivan Röthlisberger, Fundbüro Kollegienhaus
Tatsächlich ist die Liste seiner Aufgaben lang: Grossversände an Studierende und Mitarbeiter der zentralen Universitäts-Verwaltung laufen über seinen Tisch, er ist Ansprechperson bei den unterschiedlichsten Anliegen, vom IT-Personal über Dozierende und Student*innen. Rund 30 bis 40 Studierende arbeiten bei ihm (mit einem 10-Prozent-Pensum), sei es beim Sortieren und Verschicken von Briefen, einfachen Büroarbeiten oder beim Anpacken bei grossen Anlässen der Universität wie dem Dies Academicus.
Röthlisberger bietet einigen Studierenden direkt eine Stelle an, wenn sie mit ihm über das Fundbüro ins Gespräch kommen. «Ich finde es wichtig, Menschen einzustellen, die sorgfältig sind. Wer sich um sein verlorenes Zeug kümmert und wertschätzend damit umgeht, passt gut in meine Helfergruppe.» Und so entstanden über die Jahre schon Freundschaften.
Vor einiger Zeit war Röthlisberger an einer Hochzeit von zwei ehemaligen Studierenden, die sich bei ihm im Unikeller kennengelernt haben. An der Wand in seinem Büro hängen etliche Zeichnungen eines Studenten, der mittlerweile Arzt ist – bis heute, 20 Jahre später, kommen neue hinzu. «Der Kontakt bricht oft nicht ab. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen ehemaligen Studis, die mir gerne zur Seite stehen, falls nötig», sagt Röthlisberger.
Wer sein Büro betritt, merkt sofort: Hier herrscht eine andere Energie. Aus der grossen Stereoanlage dröhnt Musik aus den 70ern, 80ern und 90ern – gerade läuft «Born to be Alive», es riecht nach frisch gemahlenem Kaffee. Röthlisberger lehnt entspannt in seinem Stuhl, grinst und sagt: «Mein Büro ist grösser als das der meisten Mitarbeiter der Uni.» Das brauche es aber auch, wenn sein Helfer*innentrupp bei Versandarbeiten und sonstigen Aufgaben mit anpackt.
Während er spricht, deutet Röthlisberger auf ein Portemonnaie, das auf dem Tisch liegt. «Jetzt warten wir, bis der junge Herr kommt.» Und tatsächlich: Es klopft an der Tür, ein Student tritt ein, Röthlisberger übergibt das Fundstück und der junge Mann beginnt erleichtert zu strahlen. Szenen wie diese gehören hier zum Alltag – kleine Dramen mit gutem Ausgang.
Allerdings stapeln sich in den Regalen auch Dinge, die nie abgeholt werden. Reihenweise Trinkflaschen, Kisten voller Kleidungsstücke, etliche Schirme, Schachteln mit Ladekabeln und dazwischen teure Lehrbücher oder Kopfhörer. «Leider machen sich nicht alle die Mühe, ihre verlorenen Sachen zurückzuholen. Zwei Handys liegen hier immer noch herum», sagt Röthlisberger und zuckt mit den Schultern. Diese würden nun bald entsorgt.
Aber nicht alles wird aussortiert. Einige Fundstücke landeten zum Beispiel im Theaterfundus des Häbse-Theaters, andere wurden von der AG Nachhaltigkeit bei einem Bring- und Hol-Tag wieder in den Umlauf gebracht.
Manche Fundstücke geben Rätsel auf: eine Grillzange, ein Plüschtier in Form eines Brokkoli, ein Paar High Heels. «Vielleicht ist jemand barfuss glücklicher nach Hause gelaufen», witzelt Röthlisberger. Vom Diamantring bis zum Spazierstock ist im Fundbüro fast alles schon einmal aufgetaucht. «Früher, als es noch Uni-Feste im Kollegienhaus gab, blieb auch gerne mal Unterwäsche liegen», sagt der 60-Jährige. «Da wusste man dann ziemlich sicher: Die Party war gut.»
Ein Stück Uni-Geschichte
Solche Geschichten erzählen sich in seinem Büro fast von selbst. Röthlisberger ist eben nicht nur der Verwalter von Fundsachen, sondern auch ein Stück Uni-Geschichte. Generationen an Studierenden kommen mit ihm in Kontakt. Manche bleiben nur kurz, um ein Portemonnaie abzuholen, andere gleich ein paar Jahre als Teil seines Teams.
Und wenn gerade niemand auftaucht, sorgt der frühere DJ selber mit seiner Lieblingsmusik, zum Beispiel ZZ Top, für die richtige Stimmung. Ein «Sharp Dressed Man», wie die Band es besingt, ist Röthlisberger vielleicht nicht, wohl aber einer der wichtigsten der Uni.