Zwischen Kompromiss und Klybeck-Njet per Referendum

Der bürgerliche Basler Baupolitiker Jeremy Stephenson macht die Rechnung ohne Bevölkerung, wenn er bei einem Drittel Kostenmiete von einem «Kompromiss» spricht. Ein Kommentar.

klybeck
Auf dem alten Pharma Areal von BASF und Novartis sollen neue Wohnungen entstehen. (Bild: Keystone-SDA)

Wir haben offiziell Wohnungskrise. Und nun reden Politiker*innen wieder darüber, ob die Schweizer*innen mit ihren Ansprüchen selber Schuld sind an den teuren Mieten. Schliesslich wolle heute ja jede*r in einer grossen Wohnung leben. Das kostet halt.

Derweil leben im Klybeck sechsköpfige Familien in drei Zimmern, froh, überhaupt noch etwas Bezahlbares gefunden zu haben. Noch. 

Verdrängungskampf im Klybeck

Seit bekannt ist, dass im Klybeck auf dem alten Pharma Areal von BASF und Novartis neue Wohnungen entstehen sollen, geht die Angst um. Zuerst die Angst um Altlasten im Boden. Jetzt die Angst vor der Aufwertung, neudeutsch Gentrifizierung. Vor ein paar Jahren noch hatte man in der Regierung kein Gehör für diese Angst: «Ich erwarte nicht, dass weniger begüterte Leute verdrängt werden», sagte Stadtentwickler Lukas Ott 2018 der Tageswoche.

In der Realität kam es dann anders. Massenkündigungen sind in Basel fast an der Tagesordnung. Und in keinem anderen Stadtquartier sind die Mieten in den letzten fünf Jahren so stark gestiegen wie im Klybeck (Kleinbasel West) und im Iselin Quartier, wie der BKB-Immobilienkompass zeigt. 

Vor diesem Hintergrund spielt sich der Kampf um das Entwicklungsareal Klybeckplus ab. Der hat am Montag eine neue Wende genommen. Linke wollen eigentlich der Verdrängung etwas entgegensetzen und fordern mit der Initiative «Basel baut Zukunft» 50 Prozent gemeinnützigen Wohnraum mit Kostenmiete auf Entwicklungsarealen. Diese orientiert sich an den Bau- und Unterhaltskosten, nicht am sogenannten «Markt». Die Rendite fällt dann in der Regel viel kleiner aus.

Die 50/50-Prozent-Initiative liegt bei der Regierung. Den Inititant*innen hat am Montag ganz überraschend Jeremy Stephenson, Liberaler und abtretender Präsident der grossrätlichen Baukommission, einen Strich durch die Rechnung gemacht und eine News rausgehauen, die eigentlich auszuplaudern nicht an ihm wäre: Die Regierung und die Initiant*innen hätten sich auf einen Kompromiss geeinigt, nämlich 33 Prozent Kostenmiete, sagte er der BaZ. «Ich denke, dass man überhaupt mit 50 Prozent eingestiegen ist – ich meine, 50 Prozent, das ist ja Wahnsinn! –, ist einem ideologisch gefärbten Denken entsprungen», liess sich Stephenson zitieren.

Dr. Jeremy Stephenson
«Es wird immer enger in Basel.»

LDP-Grossrat Jeremy Stephenson möchte mehr aufstocken, sagte er der «BaZ».

Die Initiant*innen zeigen sich konsterniert über diese Aussage: «Basel baut Zukunft nimmt mit Erstaunen die Aussagen von Grossrat Jeremy Stephenson im BaZ-Interview von heute zur Kenntnis», teilten diese mit. Ein Kompromiss sei keineswegs spruchreif und die Ankündigung eines Rückzugs der Initiative wäre derzeit verfrüht. 

Kommunikative Befindlichkeiten mal beiseite: Was wäre denn vom skizzierten 33/66 «Kompromiss» zu halten? 

Wenn man sich nur dieses eine Areal in Basel und seine Geschichte anschaut, mögen 33 Prozent ein ansehnlicher Erfolg sein für die Linke. Ganz am Anfang, als die Baupläne des Areals erstmals bekannt wurden, sprach man noch von 15 Prozent, im städtebaulichen Leitbild im Herbst 2022 von 25 Prozent. Und jetzt scheinbar 33 Prozent.

Den Investor*innen blieben noch zwei Drittel «Marktmiete», um ihre Rendite zu machen und um das Geld wieder rauszuholen, das sie investiert haben (und, auch wegen der Altlasten, noch reinstecken müssen). Darunter würde es sich für die Investor*innen unter Umständen auch gar nicht lohnen, Wohnungen zu bauen. Die Investor*innen haben sich in den letzten Monaten mehrmals in diese Richtung geäussert.*

Aber die Frage bleibt: Nicht alle «linken Erben wohnen im Neubad» (Stephenson). Wo sollen denn die alleinerziehenden Mütter, die ihre Kinder mit Putzen durchbringen, in Zukunft noch hin? Und alle anderen, die nicht erben?

Tonja Zürcher
«33 Prozent sind zu wenig.»

Laut Tonja Zürcher (Basta) ist der Widerstand aus dem Quartier vorprogrammiert.

Das Klybeck hat aktuell die höchste Sozialhilfequote und die zweithöchste Ausländer*innenquote Basel-Stadts. Und die hohen Mieten sind längst nicht mehr nur ein Problem der Armutsbetroffenen, sie sind ein Mittelstandsproblem. 

Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass der Mieterverband und die Linke in den letzten Jahren Wohnschutzverschärfung nach Wohnschutzverschärfung an der Urne durchgebracht haben. Gegen den Widerstand der Bürgerlichen, die immer wiederholen, das beste Mittel gegen hohe Mieten seien baufreudige Investor*innen.

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Nirgends leben Menschen auf so wenigen Quadratmetern wie im Klybeck (32,9m² Kopf), im Neubad sind es 48,3m²/Kopf). (Bild: Statistisches Amt Basel-Stadt)

Man darf daher davon ausgehen: Beim laut Stephenson vorliegenden Kompromiss wäre der Widerstand aus dem Quartier vorprogrammiert. Das sagt zumindest Basta-Grossrätin Tonja Zürcher, die selbst im Quartier wohnt und seit Jahren vor Gentrifizierung warnt: «Die Bevölkerung im Klybeck- und Matthäusquartier akzeptiert das nicht.» 33 Prozent seien zu wenig. Das bedeute im Umkehrschluss, dass man fast zwei Drittel teure Wohnungen baut, «das geht am Bedürfnis der Bevölkerung und sogar am Markt vorbei». 

Tatsächlich hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt etwas entspannt, wenn man die Leerstandsquote anschaut. Aber eben, die Mieten sind trotzdem rauf.

Zürcher rechnet der 50/50-Initiative an der Urne daher bessere Chancen aus als einem Gegenvorschlag, wie ihn Jeremy Stephenson skizziert. 

Und sogar, wenn der Gegenvorschlag durchkäme, wäre noch lange nicht gebaut. Denn der entsprechende Bebauungsplan muss auch noch durch das Parlament. Und dann gibt es die Möglichkeit, per Referendum einfach Njet zu sagen.

Die Linke wird sich das überlegen, wenn man Zürcher zuhört. Und nicht nur, wenn es um die Kostenmiete geht, sondern auch bei anderen Punkten: Etwa dem Grünraum. Die Bevölkerung wünscht sich einen Park auf dem Areal, das haben mehrere Bevölkerungsanlässe gezeigt. Tonja Zürcher hält sich offen: «Es ist gut möglich, dass wir am Schluss das Referendum nicht nur wegen der Kostenmiete ergreifen, sondern weil uns die Grünfläche zu minimalistisch ist.» Diese haben die Planungspartner*innen letzten Herbst nach Protest aus der Bevölkerung im städtebaulichen Leitbild bereits vergrössert.

Für einen Kompromiss braucht es immer drei, die politischen Player beider Seiten. Plus die Bevölkerung. Und wo bei Gentrifizierungsfragen die Sensibilität des Basler Stimmvolks sitzen, haben mehrere Abstimmungen in den letzten Jahren gezeigt.

* Die Drohung der Investor*innen, bei einem Pflichtkostenmiete-Anteil von über 33 Prozent lohne es sich für sie nicht, Wohnungen zu bauen, haben wir erst fünf Tage nach Erscheinen des Artikels aufgenommen. Wir reagieren damit auf einen berechtigten Hinweis aus der LDP. Danke dafür.

Fragezeichen
Noch Fragen?

Wir auch, ehrlich gesagt.

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Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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