So geht velofreundlich – und so nicht

Unsere Städte sind noch immer grösstenteils für Autos gebaut. Schritt für Schritt wird nun auch dem Velo Platz eingeräumt. Beobachtungen aus Basel, Zürich und Bern.

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Veloroute oder Autospur? (Bild: Michelle Isler, Simon Boschi, Michael Schallschmidt, Simon Jacoby)

Die Schweizer Städte sind für Autos gebaut. Die Einwohner*innen von Basel, Bern oder Zürich legen allerdings nur rund einen Fünftel aller Wege mit dem Auto als Hauptverkehrsmittel zurück. Verkehrsexperten sind sich einig: Wir müssen die Anzahl Autos in unseren Städten reduzieren, und zwar zugunsten des Velos – das zeigt auch eine gemeinsame Recherche von «Bajour», «Tsüri» und «Hauptstadt». Unsere drei Redaktionen haben deshalb ihre Städte unter die Lupe genommen und Beispiele gefunden, wo Velos schon heute deutlich mehr Platz eingeräumt wird – und wo die Dominanz des Autos noch in altem Glanz erstrahlt.

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«Bajour», «Tsüri» und «Hauptstadt» kooperieren schon länger über die Plattform Wepublish. Für die Themenwoche zum städtischen Verkehr haben die Medien zusammengearbeitet und in ihren drei Heimatstädten gemeinsam recherchiert. Neben diesem Text sind diese Woche weitere Artikel zum Thema Verkehr erscheinen. Einmal utopisch: Aeschenplatz – autofrei, und einmal realistisch: So sieht der Stadtverkehr in Zukunft aus.

zur Recherche

Velo-Basel: Eine für alle

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Der Kreisel im Iselin-Quartier mit Unterführung für Fussgänger*innen und Velos. (Bild: Michelle Isler)

Wer von Allschwil und Bachgraben mit dem Velo Richtung Stadtzentrum unterwegs ist, kann seit einer Umgestaltung vor gut sieben Jahren unterirdisch durch die Kreuzung von Hegenheimerstrasse, Luzerner- und Wasgenring flitzen. Die vorherige Fussgängerunterführung wurde damals um eine Velospur ergänzt. In die anderen beiden Richtungen radelt man zwar oberirdisch, dafür aber mehrheitlich von den Autos getrennt auf einer gemeinsamen Bus- und Velo-Spur. Die vorherige Kreuzung mit Ampeln galt als gefährlich für Velofahrer*innen – gerade zu Stosszeiten herrscht hier dichter Verkehr. 

Es gibt allerdings ein Aber in unmittelbarer Nähe, wie das nächste Beispiel zeigt.

Auto-Basel: Einspuren des Grauens

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Der Velostreifen nach der Kreuzung Luzernerring/Burgfelderstrasse geht irgendwo da hinten weiter. (Bild: Michelle Isler)

Der Luzernerring verbindet die Autobahn A3 mit den Quartieren im Westen von Basel, mit Allschwil (und dem Entwicklungsgebiet Bachgraben) und Frankreich. Wer hier mit dem Velo Richtung Bahnhof St. Johann oder Rhein unterwegs ist, muss sich mental auf die Kreuzung mit der Burgfelderstrasse vorbereiten. Für etwa 100 Meter ist nämlich der Velostreifen nach der noch zweispurig geführten Kreuzung unterbrochen. Kurz danach wird aber der Autoverkehr auf eine Spur reduziert. Das daraus resultierende Gedränge geht oft auf Kosten der Velos. Denn sie laufen Gefahr, von den vorbeirauschenden Autos und Lastwagen im grossen Einspurstress abgedrängt zu werden. Ein Unfall-Hotspot, manchmal sogar mit tödlichen Folgen. Zuletzt starb auf dieser Kreuzung 2021 eine Velofahrerin. Seit April 2022 sind jetzt immerhin Vorschläge für eine Umgestaltung in Prüfung – entschieden hat der Kanton aber bis dato noch nichts.

Velo-Zürich: Kasernenstrasse in Richtung Stauffacher

Zürich Kasernenstrasse
Vom Hauptbahnhof Richtung Stauffacher haben Velos richtig viel Platz. (Bild: Michael Schallschmidt)

Vom Hauptbahnhof her fahrend Richtung Stauffacher wird es für die Velofahrer*innen plötzlich komfortabel: Direkt vor der Kaserne der Kantonspolizei wird der Veloweg über zwei Meter breit. Dieser Abschnitt ist neu: Im Zuge von sogenannten Sofortmassnahmen hat die Stadt Zürich Parkplätze abgebaut und dafür neu den Veloweg geschaffen. Solche Umverteilungen können schnell gehen, weil dafür nur an der Signalisation, nicht aber baulich etwas verändert werden muss. 

Einziger Wermutstropfen: Vor und nach diesem breiten Abschnitt wird der Weg wieder verengt, und die komfortablen Platzverhältnisse sind dahin.

Auto-Zürich: Horror Hohlstrasse

Hohlstrasse Zürich
Die Hohlstrasse von der Bäckeranlage Richtung Hardplatz: Kein Veloweg, Schlaglöcher, dürftige Beleuchtung. (Bild: Simon Jacoby)

Mit 50 Stundenkilometern und auf zwei Spuren düsen die Autos an den Velofahrenden vorbei auf der Hohlstrasse von der Bäckeranlage Richtung Hardplatz. Einen Veloweg gibt es nicht, und auf der rechten Seite der Fahrspur finden sich zahlreiche Schlaglöcher und Risse im Belag. Nachts ist es auf der Höhe des neuen Polizei- und Justizzentrums zudem ziemlich dunkel, sodass das Einspuren in der Mitte der beiden Fahrbahnen einer gefährlichen Mutprobe gleichkommt. 

Erst vor eineinhalb Jahren lehnten die linken Parteien im Stadtparlament eine kleine Verbesserung ab: Die Regierung wollte einen Veloweg von 1,5 Meter Breite bauen lassen, den zweiradfreundlichen Parteien war dies zu wenig. Die Autos hingegen haben es gut auf diesem Abschnitt: Von der Seebahnstrasse her kommend können sie auf zwei smoothen Bahnen Richtung Hardbrücke oder Altstetten einspuren.

Velo-Bern: Viel Platz über der Aare

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Unübersehbar: Die Velohauptroute auf der Lorrainebrücke. (Bild: Simon Boschi)

Auf der Berner Lorrainebrücke hoch über der Aare wird die Velo-Offensive der ehemaligen Gemeinderätin Ursula Wyss so richtig manifest. Über der Kreuzung am südlichen Brückenkopf hängt dort, wo sonst der Autobahnzubringer oder die Richtung der Hauptstrasse angezeigt wird, neu ein knallrotes Schild, das die Velohauptroute Richtung Wankdorf anzeigt. Auf der Brücke, die von der Reitschule zum Berner Nordquartier führt, wurden eine Autospur abgebaut, die Velospur verbreitert und klar von der restlichen Fahrbahn getrennt. 

Hier wird nun deutlich angezeigt: Die Zeit der Autodominanz in der Stadt ist vorbei. Dem Velo wird sichtlich mehr Platz eingeräumt. Und das war auch dringend nötig, denn rund 1000 Fahrräder befahren in Spitzenstunden die Lorrainebrücke Richtung Norden. Der Abbau einer Spur für den motorisierten Verkehr hat nicht zu mehr Stau geführt. Das hat auch ein Berner Lift-Servicetechniker kürzlich in einer «Hauptstadt»-Reportage eingeräumt: Auf der Brücke stehe man man seit dem Spurabbau nur «minim länger».

Auto-Bern: Asphaltwüste in Bahnhofsnähe

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200 Meter Autobahn-Feeling: Bei der «Welle» wird gerne kurz aufs Gas gedrückt. (Bild: Simon Boschi)

Auf der Westseite des Berner Bahnhofs, nur wenige Meter vom Perronzugang bei der sogenannten Welle entfernt, befindet sich mitten in Bern eine Asphaltwüste für den Autoverkehr. Die Ausfallstrasse Richtung Inselspital lädt mit ihrer stattlichen Breite die Autofreaks zum Beschleunigen ein und drängt Velos und Fussgänger an den Rand. Für nur gerade 200 Metern verbreitet sich die Laupenstrasse stadtauswärts von drei auf fünf Spuren für den motorisierten Individualverkehr. Danach müssen sich die Autos mit je einer Spur begnügen. Doch diese 200 Meter Autobahn-Feeling genügen einigen Autofahrern ab und an, um zwischen zwei Ampeln zu Überholmanövern anzusetzen. Dies zum Schrecken der Fahrradfahrer*innen. Denn Velospuren gibt es nur auf der Hälfte dieser 200 Metern. In beide Fahrtrichtungen hört die Velospur abrupt auf und beginnt nach 100 Metern wieder. Immerhin hat die Stadt kürzlich angekündigt, auch gen Westen Richtung Bümpliz eine Velo-Hauptroute zu bauen. Dieser könnte dann die eine oder andere Auto-Spur auf der Laupenstrasse zum Opfer fallen.

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