Empörung reicht nicht
Selten ist Gewalt gegen Frauen so sichtbar wie in diesen Tagen. Pünktlich zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen ist auch Basel orange unterwegs. Verschiedene Organisationen in der Stadt verteilen einen orangen Sattelschutz, gleichfarbige Zuckerwatte und Flyer, um auf Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen.
Es ist Mittagszeit, die Menschen sind auf dem Weg zum Lunch. Obwohl orange Zuckerwatte eigentlich nicht auf ihrem Menüplan steht, zieht der Stand vorm Mädchentreff Mädona in der Unteren Rebgasse die Passant*innen an. Und sie kommen ins Gespräch mit den Frauen, die neben der bunten Süssigkeit auch einen orangen Sattelschutz mit der Aufschrift «Wege aus der Gewalt» verschenken.
«Wir kommen mit Menschen jeden Alters ins Gespräch», sagt Carmen Bücher von Mädona. «Aber auch, wenn die Menschen nur interessiert den Stand anschauen und uns wahrnehmen, ist schon viel gewonnen», sagt sie. Sie wollen auf das Thema Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit aufmerksam machen.
Bucher und die anderen Frauen verteilen fleissig Giveaways, was in der Stadt auch sichtbar ist. Wo das Auge hinschaut, sind heute Velos mit orangefarbenen Satteln zu sehen. Und am Rathaus lehnt das orangene Velo, das Montagmorgen von den beiden Regierungsrätinnen aus Basel-Stadt und -land, Stephanie Eymann und Kathrin Schweizer, auf den Weg gebracht wurde. Das Velo wird im Rahmen einer Aktion der Aktionsgruppe Beide Basel gegen Gewalt an Frauen in den kommenden 16 Tagen an verschiedenen Orten in den beiden Basel sichtbar sein.
Während der Sensibilisierungskampagne, die in diesem Jahr den Titel «Gemeinsam gegen Gewalt» trägt, machen verschiedene Anlaufstellen, Behörden, NGOs und die beiden Basel auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam. Die Fakten zeigen, dass häusliche, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt in der Schweiz zum Alltag gehören: Alle zwei Wochen wird eine Frau von ihrem Partner, Ex-Partner oder einem Bekannten getötet. Allein dieses Jahr wurden bereits 16 Feminizide gemeldet.
Trotz dieser Zahlen gibt es in der Schweiz zu wenige Plätze in Frauenhäusern und den Beratungsstellen mangelt es an Ressourcen. Gewalt werde häufig als Privatsache abgetan und nicht ernst genug genommen, so die Verantwortlichen der Kampagne. Auf ihrer Website heisst es: «Wir haben genug von der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit und der politischen Verantwortungslosigkeit.»
An der Medienkonferenz der feministischen Organisation Frieda zum Auftakt der Aktionstage in Bern fand SP-Nationalrätin Tamara Funiciello deutliche Worte: «Immer wieder werde ich gefragt: Warum sind Sie so wütend? Ich frage mich, wie kann man nicht wütend sein?», sagte sie zu Beginn ihrer Ansprache. Und sie verwies darauf, dass allein in diesem Jahr bereits 430 Frauen in der Schweiz vergewaltigt wurden.
«Warum ist das Sterben von Frauen aufgrund ihres Geschlechts nicht ganz oben auf der politischen Agenda?»Tamara Funiciello, SP-Nationalrätin
«Alle zwei Wochen stirbt eine Frau in ihren eigenen vier Wänden durch die Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners. Ich frage mich: Wieso sind Sie nicht wütend? Warum ist das Sterben von Frauen aufgrund ihres Geschlechts nicht ganz oben auf der politischen Agenda?» Der Grund dafür ist für Funiciello klar: Unsere Gesellschaft ist noch immer patriarchal geprägt und die Gewalt an Frauen wird nicht ernst genug genommen. «Es reicht nicht, empört zu sein, wenn es zum nächsten Femizid kommt», sagt sie und betont, dass das ganze Ausmass an Gewalt endlich als gesamtgesellschaftliches Problem akzeptiert und bekämpft werden müsse. Konkret fordert sie mehr Geld und Ressourcen, damit die Plätze in Frauenhäusern oder die Arbeit von Opferberatungen ausgebaut werden können.
Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist oder diese im eigenen Umfeld beobachtet, kann Hilfe holen.
Notrufnummer 117
Dargebotene Hand: 143
Opferhilfe Basel: 061 205 09 10
Der Kanton Basel-Stadt und das Stadtteilsekretariat Kleinbasel bieten im Projekt «Halt Gewalt» Hilfe an.
Auch Stephanie Beutler, Vizepräsidentin von vergewaltigt.ch, erhebt als betroffene Frau ihre Stimme. Sie fordert mehr Respekt für die Opfer von geschlechtsspezifisch motivierter Gewalt. Beutler geht es auch darum, junge Menschen zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für Gewalt an Frauen zu fördern, sie fragt: «Wie können wir verhindern, dass in unserer Gesellschaft Täter*innen heranwachsen?»
«Ein grosses Problem ist der nicht ausreichend vorhandene Opferschutz.»Stephanie Beutler, Vizepräsidentin vergewaltigt.ch
Ein grosses Problem ist für sie der nicht ausreichend vorhandene Opferschutz: Meldet eine Frau eine Vergewaltigung, kann sie bei der Versicherung zwischen den Kategorien «Krankheit» oder «Unfall» wählen. Eine Vergewaltigung kann nicht korrekt eingeordnet werden. Meist wird sie als Unfall kategorisiert, über den die Arbeitgeber*in dann zwangsweise informiert werden. «Was ist, wenn ich als Opfer das nicht möchte?», fragt Beutler.
Die Antwort ist so simpel wie ungerecht: Wer diese Information privat halten möchte und den Fall daher nicht meldet, muss die gesamten Behandlungskosten selbst übernehmen. Dies ist nur einer von vielen Punkten, die an der Medienkonferenz wie auch auf den Strassen in Basel angesprochen werden.
Indem Frauen wie Carmen Bucher in direkten Kontakt zu ihren Mitmenschen treten und sie auf die Missstände aufmerksam machen, zeigen sie: Häusliche Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, sondern ein gesellschaftliches Problem, das auch seitens der Politik ernst genommen werden muss.