«Feministisch sein heisst, dass wir den Frauen glauben»

Am 14. Juni ist Feministischer Streiktag. Mit dabei: Bettina Bühler. Die Leiterin des Frauenhaus beider Basel erzählt im Interview von einer «wahnsinnig hohen» Abweisungsquote, einer Beschwerde beim Presserat und wann sie Frauen ziehen lassen muss.

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Bettina Bühler leitet das Frauenhaus beider Basel und wird mit ihrem Team auch am 14. Juni in der Stadt präsent sein. (Bild: Ernst Field, zVg, Collage: Bajour)

Bettina Bühler, gehen Sie am 14. Juni auf die Strasse?

Ja, selbstverständlich. Ich gehe nicht nur privat, sondern auch zusammen mit dem Team des Frauenhauses. Für uns ist es ein wichtiger Tag, um präsent sein zu können und die Präventionsarbeit auf die Strasse zu tragen. Letztes Jahr haben wir auch eine Rede gehalten, dieses Jahr werden wir unser Infomaterial verteilen und danach gemeinsam demonstrieren.

Das Frauenhaus beider Basel bezeichnet sich gemäss Jahresbericht als feministisch. Was heisst das konkret?

In unserer Arbeit heisst feministisch, dass wir den Frauen glauben, sie nicht hinterfragen, mit ihnen auf Augenhöhe reden. Auf gesellschaftlicher Ebene sind es patriarchale Strukturen, die häusliche Gewalt begünstigen. Wir sind überzeugt: Gäbe es Gleichberechtigung, gäbe es auch weniger häusliche Gewalt.

Können Sie das ausführen?

Es findet immer noch viel Täterschutz und viel zu wenig Opferschutz statt. Das zeigt sich in der Art, wie in den Medien über Fälle von häuslicher Gewalt berichtet wird, aber auch in praktischen Beispielen: Primär geht die Frau von zuhause weg, wenn sie Opfer von häuslicher Gewalt wird. Logischerweise ist es eigentlich der Täter, der gehen müsste. Ausserdem ist häusliche Gewalt sehr schambehaftet. Wir wollen deshalb auch ein Sprachrohr für die Frauen sein.

Feministischer Streik 2023
Das Motto des diesjährigen Feministischen Streiks lautet: «Gewalt benennen, Wut bündeln, im Widerstand verbünden». (Bild: Ernst Field, 2023)

Letztes Jahr sorgte weit über die Region hinaus ein Femizid in Binningen für Schlagzeilen. Sie reichten eine Beschwerde beim Presserat ein, weil Sie in der Berichterstattung dazu teilweise die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt sahen. Warum?

Für uns stand dieser Fall exemplarisch für andere Berichte zu anderen Femiziden. Was wir sehr schwierig finden: In der Berichterstattung erfährt man oft ganz viel über das Leben der Angehörigen und des Opfers. Details ohne Mehrwert für die Öffentlichkeit. Und im Fall von Binningen gab es Bilder, auf denen der Täter verpixelt war, das Opfer aber nicht. Man muss sich einmal vorstellen, was das mit den Angehörigen – Kindern, Freundeskreis, Bekannten – macht. Das ist null Opferschutz. 

Sie hofften, eine Debatte darüber anzustossen, wie Medien über Morde an Frauen berichten. Die Beschwerde ist noch hängig, aber hat sie etwas bewegt?

Wir hatten durchaus positive Reaktionen zu diesem Vorgehen, es war ja das erste Mal, dass wir eine Beschwerde beim Presserat eingereicht haben. Persönlich ist es für mich zweitrangig, wie  der Entscheid ausfällt. Wichtig ist mir: Wir hatten eine Verpflichtung, zu reagieren. Und das haben wir gemacht. 

Sie meinen eine Verpflichtung gegenüber den Frauen?

Ja. Wenn wir nicht reagieren, wer dann? Wir wollen, dass potenzielle oder bereits bestehende Opfer sehen: Wie hier berichtet wird, ist nicht richtig.

Brauchst du Hilfe?

Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist oder diese im eigenen Umfeld beobachtet, kann Hilfe holen.

Gewaltausübende und gewaltbetroffene Männer finden Beratung im Männerbüro Basel.

Im Jahresbericht des Frauenhauses ist ein Interview mit einer Klientin abgedruckt. Sie appelliert an andere gewaltbetroffene Frauen und sagt einen Satz, der hängen bleibt: «Du musst nicht warten, bis dein Ex-Mann dich tötet.» Was braucht es, damit Frauen ihre gewalttätigen Partner verlassen können?

Was man nicht unterschätzen darf: In der Regel steht am Anfang eine Liebesbeziehung. In ungefähr der Hälfte aller Fälle, die wir sehen, sind Kinder involviert. Das sind Faktoren, die hemmen. Man muss ganz fest aufpassen, dass man die Frauen nicht verurteilt. Wenn sie zu uns kommen, haben sie kaum Perspektive. Keine Wohnung, eventuell keinen Job, Kinder, die nicht sofort wieder zur Schule gehen können. Die Frauen müssen jeden Entscheid allein fällen. Trotzdem ist uns wichtig, die Botschaft zu senden: Weggehen ist möglich. Es ist schwierig, aber es geht.  

Sind denn Hilfsangebote genug bekannt? 

Für uns ist es schwierig zu beurteilen. Denn klar: Wir schreiben Ärzt*innen jährlich an, vernetzen uns, machen Öffentlichkeitsarbeit. Aber ob wir damit alle erreichen? Unser Angebot bekannt zu machen ist jedenfalls ein wichtiger Teil unserer Arbeit. 

Ihr Angebot wird offensichtlich stark genutzt: Letztes Jahr war das Frauenhaus beider Basel zu 96 Prozent ausgelastet.

Ja, seit drei bis vier Jahren erhalten wir massiv mehr Anfragen.

Worauf führen Sie die Zunahme zurück? 

Das hat verschiedene Gründe. Ich hoffe vor allem, dass die verstärkte Sensibilisierungsarbeit in Basel einen Einfluss hat, dass sich mehr Frauen melden. Und auch früher melden. Das würde die Dunkelziffer etwas verkleinern. Sie ist im Bereich der häuslichen Gewalt sehr hoch.  

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«Man stelle sich vor: Eine Frau schafft es, hier anzurufen, und dann haben wir keinen Platz.»
Bettina Bühler, Leiterin Frauenhaus beider Basel

Müssen Sie auch Frauen abweisen?

Letztes Jahr hatten wir eine Abweisungsquote von 30 Prozent. Das ist wahnsinnig viel für die Krisenintervention. Man stelle sich vor: Eine Frau schafft es, hier anzurufen, und dann haben wir keinen Platz. 

Was geschieht in solchen Fällen?

Natürlich triagieren wir und versuchen, sie zu vernetzen mit anderen Stellen. Aber wir können nicht immer sicherstellen, dass wir einen Platz haben. Das kann einfach nicht sein. Wichtig ist aber, dass die Frau weiss, dass sie jederzeit wieder bei uns anrufen darf. Damit setzen wir einen Anker für sie. 

Auch in anderen Kantonen war die Auslastung der Frauenhäuser letztes Jahr hoch. Sie werten das als Zeichen, dass schweizweit noch zu wenig Schutzplätze für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder existieren. Heisst das: Sie brauchen mehr Geld?

Das gehört natürlich auch dazu. Aber mit Geld alleine ist es noch nicht getan. Es braucht den Ausbau von akuten Schutzplätzen und gute Anschlusslösungen für Frauen, die nicht mehr den höchsten Schutz brauchen, aber noch keine Wohnung haben oder in einer schwierigen Trennungssituation sind. Da muss man schauen, wo genau die Lücken und der Bedarf sind. 

Was bezahlen die Kantone?

Trägerin des Frauenhauses beider Basel ist eine gleichnamige Stiftung, die im Rahmen eines Leistungsvertrages Gelder der beiden Basel erhält. Diese decken laut Frauenhaus einen Teil der Aufenthaltskosten von Frauen und Kindern aus Basel-Stadt und Baselland. Wenn diese über ein Einkommen verfügen, bezahlen sie einen Selbstkostenbeitrag. Im Fall von ausserkantonalen Frauen kommt in den meisten Fällen die Opferhilfe des jeweiligen Kantons für die Kosten auf.

Ist der hohe Bedarf von Frauen, die Schutz suchen, die grösste Herausforderung für Ihr Frauenhaus?

Ja, das ist das eine. Es gibt aber auch noch einen anderen Finanzaspekt. Wir werden zwar von beiden Kantonen unterstützt und das ist super, aber das Geld reicht nur für eine rund 50-Prozent-Finanzierung. Den Rest müssen wir über Fundraising, Spenden und zum Teil auch über Beiträge von Klientinnen finanzieren. 24- Stunden-Krisenintervention ist extrem personalintensiv und auch wenn wir eine gute Spenderschaft haben, müssen wir einen grossen Batzen selber reinholen. Und das, obwohl wir einen staatlichen Auftrag haben. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. 

Für mehr Finanzierung haben im vergangenen März diverse NGOs und Organisationen zusammen mit den SP Frauen eine Petition an den Bundesrat eingereicht, die 350 Millionen Franken für besseren Gewaltschutz, Strafverfolgung und Präventionsarbeit fordert.

Die Verpflichtung ist sicher beim Bund, aber auch bei den Kantonen. Denn das föderalistische System ist eine Herausforderung, auch in der Finanzierung. Wenn man eine Frau ausserhalb des Kantons platzieren will, muss die Opferhilfe die Kosten dafür übernehmen.

Das ist auch bei der Sozialhilfe so, zum Beispiel bei ausserkantonalen Obdachlosen.

Ich habe ein gewisses Verständnis für dieses Kantonsdenken, aber ich würde mir mehr Durchlässigkeit wünschen, um den Bedürfnissen der Frauen zu entsprechen. Heute müssen die Frauenhäuser sehr gut argumentieren, wenn wir eine Frau extern platzieren wollen. Dabei geht es meistens um Hochrisikofälle.

Also Frauen, die nicht in der gleichen Stadt untergebracht werden können, in der auch ihr Ex-Partner wohnt?

Zum Beispiel.

Woko Ina Femizid häusliche gewalt
Gefährlich wird es zu Hause

Die angezeigten Fälle im Bereich der häuslichen Gewalt steigen, dieses Jahr gab es in der Schweiz bereits neun Femizide. Frauen werden immer wieder zum Opfer ihrer Ehemänner oder Ex-Partner. Und der Aufschrei bleibt aus. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

zum Kommentar

Wie lange bleibt eine Frau im Schnitt bei Ihnen?

Letztes Jahr waren es im Schnitt 40 Tage, vorletztes Jahr ein bisschen weniger. 40 Tage sind nichts, wenn man sich vorstellt, dass die Frau das ganze Leben neu ausrichten muss. Unser Ziel ist aber auch nicht, alles aufzuarbeiten. Wir sind hier, um in der Krise zu intervenieren und die nächsten Schritte zusammen mit der Klientin aufzugleisen. 

Und danach? Bleiben Sie mit den Frauen in Kontakt?

Natürlich wissen wir, wohin die Frauen austreten. Aber es gibt bewusst keinen Kontakt danach.

Warum?

Für uns ist es wichtig, Abhängigkeiten zu vermeiden. Im Idealfall sind wir der Ort, der die Frauen ermächtigt hat. Wenn die Frau austritt, ist der gemeinsame Weg zu Ende, das kommunizieren wir auch so. Wenn sie auf uns zukommt, tauschen wir uns aus. Das kann oft sehr schön sein. Und sie dürfen immer anrufen, wenn sie eine Frage haben oder es erneut einen Gewaltvorfall gibt.

Ist es herausfordernd, nicht zu wissen, ob es gut kommt für die Frauen?

Natürlich kann immer etwas passieren. Aber eigentlich weiss man es. Wenn ich sehe, wie Klientinnen bei uns eintreten und nach einem regulären Verlauf bereit und zurück im Leben sind, wissen wir: Sie packen das.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und zieht für Reportagen durch die Gassen. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen.

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