Die Bürgerlichen können froh sein

Die Basler Bevölkerung stimmt für den Gegenvorschlag. Die Wirtschaft zeigt sich enttäuscht. Aber eigentlich hat auch sie ein bisschen gewonnen. Ein Kommentar.

Der Lohn muss fürs Leben reichen. Das hat die Basler Stimmbevölkerung entschieden und Ja gesagt zu einem Mindestlohn von 21 Franken pro Stunde. Als erster Deutschweizer Kanton – Mindestlöhne auf Kantonsebene gibt es in der Schweiz bisher nur in Neuenburg, Genf, Jura und im Tessin.

Das mag auf den ersten Blick nicht erstaunen: Schliesslich hat sich der Kanton in der Vergangenheit immer wieder offen für soziale Anliegen gezeigt - zum Beispiel beim Wohnschutz oder bei der Topverdienersteuer vor zwei Jahren. Und das trotz Unkenrufe der Wirtschaft, man müsse um Arbeitsplätze und Steuerzahler*innen fürchten. 

Dass nun aber Basel-Stadt sogar in wirtschaftlich harten Pandemie-Zeiten Ja sagt zu einem Mindestlohn, ist ein deutliches Zeichen an die Wirtschaft: Unternehmer*innen müssen Löhne zahlen, von denen man leben kann. Können sie es nicht, haben sie kein Business-Modell.

Ein Freisinniger hatten den «richtigen» Riecher

Auf die Schultern klopfen dürfen sich bei der Abstimmung vom 13. Juni aber nicht nur Linke und Gewerkschaften, sondern auch einer, der nicht zu hören war in den letzten Wochen des Abstimmungskampfs: Christophe Haller, Freisinniger und ehemaliger Präsident der Wirtschaftskommission des Grossen Rats. 

Unter seiner Führung hat die Kommission den angenommen Gegenvorschlag ausgearbeitet. Damit hat der Bürgerliche wohl damit gesorgt, dass die schärfere Initiative abgelehnt wurde. 

Haller ist zwar ein Liberaler und damit gegen staatliche Regulierung. Seine Überlegung aber war: Lieber einen Mindestlohn von 21 Franken und ein ganzer Katalog von Ausnahmen als einen Fall Genf. Dort verzichtete die Bürgerlichen auf einen Gegenvorschlag und bekamen das Geschenk: Die Bevölkerung nahm die Initiative an.

Nix Betriebsunfall

Bei vielen anderen Bürgerlichen kam Hallers Engagement gar nicht gut an. Patricia von Falkenstein, LDP-Präsidentin, etwa sprach auf SRF von einem Betriebsunfall.

Aber heute kann sie Haller danken. Ein Fall wie Genf hätte in Basel auch passieren können. Obwohl die gesammelten Basler Wirtschaftsverbände ebenso wie Bürgerliche und GLP gegen Initiative und Gegenvorschlag waren, nahm die Bevölkerung den Gegenvorschlag deutlich an und fast hätte es auch für die Initiative gereicht: 1,36 Prozentpunkte gaben den Ausschlag. 

Der Schluss liegt nahe: Hätte es keinen Gegenvorschlag gegeben, wäre die deutlich weiter gehende Initiative durchgekommen.

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Das sind die Unterschiede. Der Mindestlohn der Initiative wäre

  • zwei Franken höher (21 versus 23 Franken) als der Gegenvorschlag

  • auch für Branchen mit Gesamtarbeitsverträgen verbindlich gewesen

Ausserdem hat der Gegenvorschlag einige gesetzgeberische Mängel behoben, etwa den unpraktikablen Mindestlohn für Praktika.

Auch wenn die Linke jetzt jubiliert und die Bürgerlichen enttäuscht sind: Unter dem Strich handelt es sich beim jetzt angenommenen Mindestlohn um einen Kompromiss, von dem alle etwas haben.

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