Engelberger: «Hätte man früher entschieden, wäre die Fasnacht abgesagt worden»

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Omikron zu einer dramatischen Lage in den Spitälern führt. Im Interview erklärt der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger, warum die Schulen offen bleiben und was er für die Fasnacht erwartet.

Lukas Engelberger Corona
Lukas Engelberger findet den Begriff der Durchseuchung falsch. Das sei nicht Teil der Corona-Strategie. (Bild: Keystone)

Herr Engelberger, Sie haben sich kürzlich mit Corona angesteckt. Wie ist es Ihnen ergangen?

Danke für die Nachfrage. Es ist mir relativ glimpflich ergangen. Ich hatte Erkältungssymptome, aber kein Fieber oder heftige Gelenk- oder Kopfschmerzen. Ich hatte also einen milden Verlauf und konnte die Isolation wieder beenden. 

Reden wir über die Fasnacht: Das Comité und die Regierung haben den Entscheid zur Fasnacht vertagt. Drücken Sie sich vor dem Entscheid?

Wir möchten einen Entscheid fällen, der der Situation angepasst und angemessen ist. Wir sind der Auffassung, dass wir Anfang Februar schon ein wenig mehr Informationen haben, um abzuschätzen zu können, was die richtige Entscheidung für den März ist. Wir haben gesehen, dass sich in der Pandemie schnell etwas ändern kann und darum wollten wir nicht Möglichkeiten einer positiven Entwicklung in den Wind schlagen.

Fasnächtler*innen der Jungen Garde oder der Wagen-Cliquen kritisieren, Sie würden den Entscheid auf sie abwälzen. Sie müssen entscheiden, ob sie alles vorbereiten oder auf die Fasnacht verzichten – auch aus finanziellen Gründen. 

Das verstehe ich. Wenn man früher hätte entscheiden müssen, wäre die Fasnacht ganz abgesagt worden. Dann hätten die Fasnächtler zwar Planungssicherheit gehabt, aber gar keine Perspektive. Ich glaube, unterm Strich nehmen sie dann doch ein bisschen Unsicherheit in Kauf und behalten dafür die Hoffnung. Das höre ich auch aus der Fasnachtsszene. 

«Wir möchten bei der Fasnacht einen Entscheid fällen, der der Situation angepasst und angemessen ist.»
Lukas Engelberger, Gesundheitsdirektor Basel-Stadt (Die Mitte)

Drinnen sind Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen bis Ende März nicht erlaubt. Draussen sollte aber doch einiges gehen, wie zum Beispiel der Morgestraich oder das Gässle?

Ja, das ist so. Wenn etwas möglich ist im Fasnachtsrahmen, dann meinen wir da vor allem Aktivitäten draussen, die mit weniger Risiko behaftet sind. Dafür brauchen wir aber aktuellere Informationen, um eine Einschätzung und einen Entscheid treffen zu können. Man kann das auch nicht beliebig verzögern, Anfang Februar müssen wir entscheiden.

War es verfrüht, den Cortège abzusagen?

Nein, der Cortège zieht wahnsinnig viele Leute an aus der ganzen Region, das ist auch ein Tourismus-Event, der sehr viele Menschen in die Restaurants und Hotels bringt. Das wird viel zu dicht. Man muss sich die Veranstaltung also nicht nur in der Mikroebene überlegen, sondern muss auch in der grossen Perspektive, was sie vorher und nachher für Bewegungen und Kontakte bringt. Der Cortège ist natürlich eine Hauptattraktion der Fasnacht, aber das ist Stand heute nicht vorstellbar.

Kommen wir zu Omikron: Die Fallzahlen sind hoch wie nie. Trotzdem fühlt sich die Pandemie im Vergleich zum letzten Jahr harmloser an, weil mehr erlaubt ist. Erleben wir momentan die Ruhe vor dem Sturm? Die Taskforce rechnet in den nächsten Wochen mit der «Monsterwelle» Omikron.

Wenn wir rein die Ansteckungszahlen anschauen, dann sind wir bereits seit zwei Wochen in einer hoch dramatischen Situation. Das sind Zahlen, die wir nicht zur Hälfte hatten im vergangenen Herbst, der ja bisher unsere schlimmste Zeit gewesen war in der Pandemie. Ob das noch weiter steigen wird, weiss ich nicht. Wir sehen auf den offiziellen Portalen, dass der Anstieg sich verlangsamt. Die grosse Frage ist, ob sich die Zahlen auch in eine dramatischere Situation in den Spitälern übersetzen. 

«Wir sind bereits seit zwei Wochen in einer hoch dramatischen Situation.»

Am Unispital Basel habe es noch genug freie Intensivbetten, sagt Stationsleiter Hans Pargger.

Ja, die Intensivstationen sind aktuell nicht überlastet, aber sie sind immer noch schwer belastet. Wir haben leicht mehr Patientinnen und Patienten auf IPS als vor einem Monat. Es ist nicht so, als wäre die Situation auf der Intensivstation entspannt. Und es gibt die grosse Unsicherheit, ob im Spital mit ein paar Wochen Verzögerung das grosse Wachstum auch kommt oder nicht, weil Omikron doch einen kleineren Anteil von schweren Verläufen bewirkt. 

Und wenn sich die Situation verschärft? Gibt es auf den Basler Intensivstationen noch Luft nach oben?

Ja, wir hätten dort noch Kapazität, aber nicht mehr viel Luft. Man müsste dann vor allem wieder andere medizinische Behandlungen einschränken, was wir nicht gern machen, weil es immer mit längeren Wartezeiten oder möglichen negativen gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen verbunden ist. 

Die Fallzahlen sind hoch, trotzdem wird die Quarantäne gelockert und gekürzt. Verfolgt die Politik eine Strategie der Durchseuchung?

Ich finde den Begriff der Durchseuchung nicht richtig und das ist auch nicht die Strategie.

«Durchseuchung ist nicht Teil der Corona-Strategie.»

Was ist dann die Strategie?

Die Strategie ist der kontrollierte Immunitätserwerb, vorwiegend dadurch, dass sich die Menschen impfen lassen. Wir haben das nicht obligatorisch gemacht, aber die Strategie stellt stark auf die Impf- und Booster-Kampagne ab. Und wenn man mit der Impfung den Menschen eine Möglichkeit gibt, sich mindestens gegen schwere Verläufe zu schützen, dann braucht es nicht mehr gleichermassen Schutzmassnahmen, um eine Ansteckung per se zu verhindern, sondern dann braucht man sie nur noch in dem Rahmen, der nötig ist, damit das Gesundheitswesen funktionstüchtig bleibt und damit andere systemrelevante Branchen nicht ausfallen.

Trotzdem stecken sich viele Menschen – wie Sie – trotz Impfung an.

Die meisten haben aber keine schweren Symptome und kommen auch nicht ins Spital. Um so eine Pandemie zu überwinden, ist es wohl auch ein Stück weit nicht zu verhindern, dass sich Immunisierungen durch Impfungen und durch Ansteckungen kombinieren. Alles andere ist auch gar nicht realistisch. Wir möchten möglichst wenige Leute einem Krankheitsrisiko aussetzen und setzen darum stark auf die Impfkampagne.

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Baselland fordert, Homeoffice-Pflicht, 2G plus und so weiter Ende Februar zu überdenken und die Zertifikatspflicht ab April abzuschaffen. Andere Kantone, etwa St. Gallen fordern sogar, nach der Omikronwelle die Massnahmen ganz aufzuheben

Diese Diskussion scheint mir verfrüht zu sein, zumal wir noch mitten in dieser Welle stecken. Für die zweite Jahreshälfte ist das aber sicher anzustreben. Im Moment wissen wir aber nicht, wann die Welle zu Ende ist und in was für einem Zustand das Gesundheitswesen und weitere Branchen danach sein werden. Ich finde das darum im Moment nicht die richtige Botschaft. 

Wann ist der richtige Zeitpunkt? Viele Menschen sind dreimal geimpft, irgendwann muss es doch Richtung Normalität gehen? 

Ich kann mir vorstellen, dass es allenfalls im Verlauf vom März Erleichterungen bei der Homeoffice-Pflicht geben könnte. Bei 2G und 2G plus kann ich mir das im Moment nicht vorstellen. Aber Aufhebungen sind immer möglich. Der wesentliche Unterschied ist dann vor allem der, dass man bei einer Verlängerung bis Ende Februar in wenigen Wochen schon wieder über Beendigung oder Verlängerung diskutieren und konsultieren müsste, und das ist nicht wahnsinnig produktiv, wenn man in kurzen Abständen immer wieder die gleichen Fragen konsultiert.

Virolog*innen wie Christian Drosten machen Hoffnung auf eine endemische Lage, also ein baldiges Ende der Pandemie. Teilen Sie diese Hoffnung für Basel und haben sie eine zeitliche Planung vor Augen?

Realistischerweise läuft das Schritt für Schritt. Es ist ausgeschlossen, dass Basel oder die Schweiz alleine die endemische Lage erreichen. Der Sommer hat in den vergangenen zwei Jahren eine Entspannung gebracht. Ob die endemische Lage einkehrt, wird sich dann vermutlich wieder im Herbst und Winter zeigen. Wir haben da im Vergleich zum vergangenen Jahr grosse Fortschritte machen können. Wir leben heute besser mit und in der Pandemie als vor einem Jahr. Damals hatten die Restaurants und Läden zu in der Schweiz. Diesen Winter konnten wir offen halten.

Trotzdem haben wir mehr Fälle.

Ja, aber einen besseren Umgang mit dem Impfschutz und dem Zertifikat. Ich glaube, wir müssen auf diesem Pfad weiterfahren und wenn wir das schaffen und die Immunisierungsstrategie über Impfung und Booster erfolgreich ist und uns das Mutationsgeschehen kein Bein stellt, haben wir eine Chance, dass wir einen ruhigen Sommer und einen nicht mehr krisengeschüttelten Winter erwarten können.

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