Bürokratie versus Willkommenskultur
Eine ukrainische Mutter darf trotz Job in der Pharma nicht von Oberkirch (LU) nach Basel ziehen. Das sorgt für Kritik. Sogar SVP-Politiker finden das System so nicht zufriedenstellend.
Yuliya arbeitet in der Basler Pharma, muss aber mit ihren Kindern im luzernischen Oberkirch wohnen. Bajour berichtete über den Fall der Geflüchteten, die täglich insgesamt drei bis vier Stunden pendeln muss. Der Grund: Das Migrationsamt von Basel-Stadt hat einen Kantonswechsel abgelehnt – ohne eine Begründung zu nennen.
Nun reagieren Basler Politiker*innen auf die Geschichte von Yuliya.
Yuliya ist im März 2022 aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew in die Innerschweiz geflüchtet. Hier fand sie bei der Familie von Mitte-Gemeinderat Elias Meier Unterkunft.
Nachdem sie im Sommer eine Festanstellung in Basel gefunden hat, wollte sie mit ihren beiden Kindern hier hinziehen – doch der Antrag auf Kantonswechsel wurde abgelehnt.
SP-Grossrat Mahir Kabakci zeigt absolutes Unverständnis für die Entscheidung und hofft, dass die Behörden noch einmal über die Bücher gehen. «Die Flucht aus der Ukraine ist schon belastend genug. Unsere Aufgabe als Gesellschaft sollte nicht sein, diesen Menschen das Leben zusätzlich zu erschweren», sagt Kabakci.
Kantönligeist bei der Verteilung von Geflüchteten sei unangebracht. Die entscheidende Frage für Kabakci ist aber vor allem, warum das Migrationsamt die Ablehnung nicht begründet hat: «Solche Verfahren müssen transparenter werden», fordert er.
Sogar bei der nicht gerade für ihre Integrationsfreundlichkeit bekannten SVP sorgt Yuliyas Geschichte für Kopfschütteln. Grossrat Joël Thüring sieht das Problem bei der Ausgestaltung des Schutzstatus S, den die meisten Ukrainer*innen in der Schweiz haben. «Der Schutzstatus S wurde in erster Linie zum Schutz der Menschen vor dem Krieg geschaffen, was ja auch sinnvoll und richtig ist», sagt Thüring. Die Grundannahme sei, dass die Menschen sobald möglich zurückkehren und sich nicht in der Schweiz eine Existenz aufbauen.
Der Schutzstatus S ist daher nicht primär auf den Kantonswechsel ausgelegt. «Das ist eine der Ungenauigkeiten in diesem System, die wir überdenken müssen», findet Thüring. Zwar konnten ukrainische Geflüchtete den Kanton ursprünglich selbst wählen. Doch weil manche Kantone, auch Basel-Stadt, überproportional viele Geflüchtete aufnahmen, beschloss der Bund die Zuweisung per Verteilschlüssel.
Das System sorgt auch bei Linda Spähni, Geschäftsführerin der Freiplatzaktion Basel, für Kritik. Sie berät Migrant*innen bei asylrechtlichen Fragen. Der Kantonswechsel sei nicht nur für Ukrainer*innen ein Problem, sagt sie, sondern auch für vorläufig aufgenommene Ausländer*innen mit Status F. «Die Regelungen sind hier einfach viel zu restriktiv», sagt Spähni.
Laut Migrationsamt ist ein Kantonswechsel für den Job zwar theoretisch möglich. Aber nur, wenn die Person bereits zwölf Monate im Wunschkanton gearbeitet hat oder die Pendeldistanz als unzumutbar gilt.
Yuliya ist erst seit Juni in Basel tätig, also noch nicht lange genug. Und das Migrationsamt kam zum Schluss: Ihre Pendeldistanz ist zumutbar. Rund 90 Minuten Arbeitsweg seien angemessen. Ein Blick in die SBB-App zeigt: Von Tür zu Tür hat Yuliya mindestens 105 Minuten pro Weg.
Die Basler Grossrätin und pensionierte Rechtsanwältin Andrea Strahm (Mitte) findet das zumutbar: «Die Verteilung von Geflüchteten auf die Kantone ist eine komplexe Logistik – dass der Kantonswechsel nicht so einfach ist, hat schon seinen Sinn. Die Frau muss da wohl leider in den sauren Apfel beissen.»
Strahm pendelte selbst als Mutter zeitweise von Basel nach Bern. «Da muss man einfach etwas Biss mitbringen, das ist kein Wohlfühlprogramm.»
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