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Gefallene Engel und profaner Kink: Eine Art Blog, Tag 2 zum Nachlesen.

Kompromisslose Updates aus der Art-Zone.

09/21/21, 11:09 AM

Aktualisiert 09/22/21, 09:49 AM

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Es ist Art Basel und das hier ist dein direkter Draht in die schillernde Welt der Reichen und Distinguierten. Wir sammeln Beobachtungen und Szenen, suchen das Grosse im Kleinen und die Bar. Wenn wir sie gefunden haben und wer sonst noch da abhängt erfährst du auf diesem Kanal zuallererst. Gute Reise!

Untitled, 2019 von Enzo Cucchi.

Untitled, 2019 von Enzo Cucchi. (Foto: Daniel Faulhaber)

«What a day», seufzen wir zum hinuntergefallenen Puttenengel hingeneigt, der in der Nähe des Ausgangs am Boden liegt. «Das kannst du laut sagen», antwortet der Engel. Er wurde aus dem historischen Kontext aufgeballerter Kitschgemälde der italienischen Renaissance herausgerissen und liegt jetzt, nackt und dick wie er ist, an der Unlimited am Boden herum.

Aus Sicht des Engels ist das natürlich unbefriedigend und da treffen sich unsere Gefühlslagen gar nicht so schlecht. Die Unlimited ist in diesem Jahr nicht das Feuerwerk der Stile und Formen, sie hat nicht das eine Magnetwerk, das uns stundenlang in seinen Bann zieht. Sie ist irgendwie ein bisschen mau geraten, wollten wir gerade sagen.

Aber da kommt schon ein Besserwisser um die Ecke gebogen und keift den öden Satz, Schönheit liege im Auge des*der Betrachter*in oder so und da werden wir natürlich wütend, weil es dumm ist und stimmt. Vielleicht haben wir ja nur schlecht geschlafen und das ist alles Extraklasse hier. Wer mag, macht sich selbst ein Bild.

Die Unlimited ist ab dem 24. bis 26. Oktober für alle Besucher*innen geöffnet.

Die Mimik der Tethys, 2018/2020 von Julius von Bismarck.

Die Mimik der Tethys, 2018/2020 von Julius von Bismarck. (Foto: Daniel Faulhaber)

Unsere Sperberaugen haben uns getäuscht. Jetzt, wo wir näher dran stehen, sehen wir, dass die Rakete keine ist, sondern eine Boje. Sie hängt von der Hallendecke und schaukelt an mechanischen Seilen auf und ab. Eine «Geschwisterboje», der Saaltext sagt leider nicht, wo die genau ist, befindet sich irgendwo auf hoher See und sendet die Koordinaten ihrer Schaukelintensität über einen Satelliten hier nach Basel in die Halle 1 der Unlimited.

Eine Besucherin und ihre Freundin stehen unter der Boje und schauen hinauf. «Es ist, als würden wir hier unter Wasser stehen», sagt sie. Eine schöne Beobachtung.

Auf der Wand nebenan dies:

Mastaba, 1978, Carl Andre.

Mastaba, 1978, Carl Andre. (Foto: Daniel Faulhaber)

Ganz recht: Nichts. Das Kunstwerk verweigert sich gewissermassen der Wand und liegt in Form säuberlich ausgeschnittener Holzplatten davor am Boden. Der Name Mastaba bedeutet so viel wie Haus der Stabilität und referiert auf die Form alter ägyptischer Gräber in Form eines Dreiecks unter einem flachen Dach.

Es gibt einige solcher Werke an der Unlimited 2021, die einen historischen Deutungsraum öffnen.

So auch das Folgende. Es wurde von der unbestechlichen Bajour-Jury als eines der besten, wenn nicht als das beste Werk der diesjährigen Unlimited erkoren. Das Es hat mehrere Facetten, hier sind verschiedene Ausschnitte davon. Zunächst die Totale.

Giving Up The Shadows On My Face, 2019-2020 von Lucy McKenzie.

Giving Up The Shadows On My Face, 2019-2020 von Lucy McKenzie. (Foto: Daniel Faulhaber)

(Foto: Daniel Faulhaber)

(Foto: Daniel Faulhaber)

Das eigentliche Bild steckt hinter einer falschen Wand aus Gips und Pappe und das ist ja an sich schon sehr interessant. Jedes mal, wenn die Künstlerin das Werk ausstellt, bricht sie einen anderen Teil der doppelten Wand hinaus, so dass immer andere, neue Details des gesamten Stücks zutage treten.

Das Bild als ganzes ist nie zu sehen. In Kombination mit dem Inhalt des Bildes, es ist nämlich eine verfälschte Nachahmung eines Wandbilds im Lesesaal der russischen Staatsbibliothek in Moskau, wirft diese aufgebrochene Doppelbödigkeit zahlreiche Fragen auf:

Wie erinnern wir uns an Geschichte und warum stets nur an bestimmte Details? Welche gemalten Details sovietischen Körperkults könnten echt gewesen sein und warum erkennen wir an Andeutungen einer Sexualisierung direkt, dass da etwas nicht stimmen kann? Eine stringente Lesart dieses buchstäblich vielschichten Werks ist gar nicht zu denken und wird unmöglicher mit jede*r weiteren Besucher*in, die vor das Werk tritt und ihre*seine eigene Geschichte an das Gezeigte heranträgt.

Undsoweiter, man muss das ja alles nicht ausbuchstabieren. Bestimmt gibt es Leute, die das anrüchige Spiel mit den Bedeutungsebenen stählerner Sovietkörper, Kalter Krieg und Bibliothek für den profanen Kink einer überreizten Lack und Leder-Fraktion unter den Messegänger*innen halten.

Sie haben natürlich recht.

Alles sehr weitläufig hier.

Alles sehr weitläufig hier. (Foto: Daniel Faulhaber)

Man kann sich ja der Materie Kunst auf ganz unterschiedliche Arten annähern. Die Unlimited ist von den Dimensionen her riesig, da macht es aus unserer Sicht wenig Sinn mit dem Close Reading, also der Detailuntersuchung zu beginnen.

Sondern wir haben uns ein E-Trottinett gemietet und sind mit 40 Sachen erst einmal quer durch die Ausstellung gebrettert.*

Was hängenblieb:

Irgendwo baumelt ein rotes Raumschiff von der Decke.

Es hat viel flache Kunst, die an Wänden hängt. Flache Kunst im Sinne der Haptik, nicht im Sinn ihrer Qualität. Über die wissen wir noch nichts, es ging ja alles so schnell. Es hat offenkundig wenig 3D-Kunst, also Installationen und dergleichen, denen man umständlich ausweichen müsste.

Zweite Beobachtung aus dieser beschleunigten Perspektive: Die Kunstwerke sind insgesamt sehr gross an diesem Unlimited Jahrgang 2021. Sie füllen oft gleich meterlange Wände was zweierlei bedeuten muss, denken wir versonnen, während uns auf dem E-Trottinett die kühle Messeluft durchs Haar streift.

Entweder die Reichen wurden im vergangenen Jahr noch reicher und haben jetzt noch grössere Häuser mit noch mehr weissen Wänden, die es zu behängen gilt.

Oder die Künstler*innen haben die Einkehr des Homeoffice dazu genutzt, gewissermassen über sich hinaus zu wachsen. Ein Bild von David Hockney direkt hinter dem Eingang zur Unlimited ist so gross, dass sich einzelne Besucher*innen vor dem Gemälde fotografieren lassen, um irgendeine Öffentlichkeit auf dem Second Screen ihrer Instagram-Accounts über die Relationen ins Bild zu setzen.

David Hockney, Pictures at an Exhibition 2018/2021.

David Hockney, Pictures at an Exhibition 2018/2021. (Foto: Daniel Faulhaber)

(Foto: Daniel Faulhaber)

An dieser Stelle, und bevor wir in die Details gehen: Ganz grosses Sorry für die schlimme Qualität einzelner Fotografien in dieser Tour d'Horizon. Es ist natürlich eine Frechheit, der hier gezeigten Hochkultur durch unterirdische Fähigkeiten am Abbildungsapparat auf den Schlips zu rotzen.

Andererseits soll hier nicht der Eindruck entstehen, wie betrieben als Beobachter, Besucher, beschreibende Instanzen unsererseits höchstselbst so etwas wie Kunst, was ja die eigentliche Frechheit wäre. Nein, wir stellen uns demütig in den Schatten der hübsch ausgeleuchteten Bilder und fotografieren so schlecht, dass es für dich als Leser*in gerade noch aushaltbar ist.

Wir nennen es performative Defizienz. Im Mangel liegt der Respekt.

Bread House, von Urs Fischer.

Bread House, von Urs Fischer. (Foto: Daniel Faulhaber)

Knusper knusper knäuschen, wer knuspert auf keinen Fall an diesem Haus aus Brot oder er*sie kriegt lebenslanges Art-Verbot?

Das Kunstwerk des Zürcher Künstlers Urs Fischer ist sicher ein eye catcher direkt hinter dem Eingang zur Messe. Assoziationsturbo zündet direkt. Brot und Spiele? End World Hunger? Hänsel und Gretel, aber um was ging es in diesem Märchen der Gebrüder Grimm nochmal genau?

Das Dach des Bread House ist ziemlich offen. Keine gute Voraussetzung für diese Art Baumaterial in freier Wildbahn. Auf dem Boden vor dem Piece steht ein Begleittext, wir gehen hin und finden beim genauen Hinsehen –

Was liegt denn da? Ist das jetzt schon Teil dieser immersiven Erfahrung, eine profane Discomesse, das leicht Wegkonsumierbare dieses Art-Zirkusses gefunden zu haben? Entscheide selbst, wir müssen uns erst einmal sammeln.

(Foto: Daniel Faulhaber)

(Foto: Daniel Faulhaber)

(Foto: Daniel Faulhaber)

Performancekunst ohne Ecken und Kanten

Performancekunst ohne Ecken und Kanten (Foto: Daniel Faulhaber)

Auf dem Messeplatz hat sich seit gestern was getan. in einer Art Labyrinth oder Wendekreis aus Holzbänken liegen aufgeblasene begehbare Plastikkugeln herum und laden dazu ein, mit ihnen Schabernack zu treiben. Unklar, ob das so gedacht ist. Hier finden Performances statt, informiert eine Tafel und später war die auch auf Instagram zu sehen.

Jetzt erstmal hinein in die Halle 1, wo heute die Unlimited für Medienschaffende auftat.

Die Unlimited gilt traditionell als aufregendster Teil der Messe. Was in Insider*innenkreisen selbstverständlich als untrügliche Indiz dafür gelesen wird, dass hier Profanes, leicht Verständliches und damit leicht Wegkonsumierbares zu sehen ist. Wohlan, da sind wir genau richtig.

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Die Art Basel findet natürlich auch in den Sozialen Netzwerken statt. Unter #ArtBasel findest du den neusten Gossip und wir freuen uns, wenn du unseren Live-Blog dort teilst. Falls du in ihm eine Bereicherung für deinen Social Media Auftritt erkennst.

* Natürlich sind wir nicht wirklich mit dem E-Trottinett durch die Unlimited gesaust. Wir sind für den ersten Augenschein einfach sehr schnell gelaufen.

Hippel di hoppel

Hippel di hoppel

Unser Fauli hüpft leichtfüssig durch die Art-Welt wie ein Reh durchs Hörnli. In Bajour-Söckli.

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