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Riehen und Basel: Geschwisterliebe

Riehen feiert dieses Jahr die 500-jährige Verbundenheit zum Stadtkanton. Vorher sind aber noch Gesamterneuerungswahlen. Wie tickt die bürgerliche kleine Schwester von Basel?

01/11/22, 04:00 AM

Aktualisiert 01/11/22, 12:45 PM

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Riehen wählt am 6. Februar eine neue Regierung und einen neuen Einwohner*innenrat.

Riehen wählt am 6. Februar eine neue Regierung und einen neuen Einwohner*innenrat. (Foto: Adelina Gashi)

Es gab drei von uns in diesem 20’000-Seelen-Dorf. Zumindest meines Wissens nach. Drei Familien, die aus Kosovo in die Schweiz geflohen waren und in der Gemeinde Riehen ihre neue Existenz aufgebaut hatten. Aber am Arbeitsplatz, im Klassenzimmer oder in der Migros spielte unsere Herkunft meistens keine grosse Rolle. Wir waren Riehener*innen, Teil dieser Gemeinde. Ich redete mir das während meines Aufwachsens jedenfalls ein, retrospektiv betrachtet, erlebten meine Familie und ich wohl das durchschnittliche Mass an Ausgrenzung, vor dem Menschen, die nun mal nicht Meier heissen, in der Schweiz nicht gefeit sind. Aber wir hatten Glück. In Riehen duldete man uns nicht nur, wir waren willkommen. 

Unsere Einbürgerung, ich glaube es war 2006, war keine grosse Sache für die Behörden. Herausgeputzt und ein bisschen nervös stellten meine Familie und ich uns den Fragen des Bürgerrates. Ein einziges Vorsprechen bei der Gemeinde reichte, um uns den roten Pass in die Hand zu drücken. Keine Selbstverständlichkeit, wie der Fall in der Baselbieter Gemeinde Bubendorf zeigte: Sieben Jahre und drei Anläufe brauchte der Kosovare Hamdi Halili, bis ihm das Bürgerrecht von Bubendorf erteilt wurde. 

Die kleine Schwester von Basel

Aber Riehen tickt anders: Sie ist zwar eine bürgerliche Gemeinde, die sich sich trotz vergleichsweiser hoher Einwohnerzahl den Dorfcharakter erhalten, deswegen aber nicht an Weltoffenheit eingebüsst hat oder sich in die kleingeistige Ecke stellen lassen will. Dafür ist es eine Gemeinde, die oft etwas misstrauisch bis kopfschüttelnd nach Basel blickt, wenn über linke Anliegen wie einen Mindestlohn oder eine höhere Kapitalbesteuerung abgestimmt wird. Die Riehener*innen sagten zu beiden Vorlagen klar Nein, während Basel dafür stimmte. Richtig sauer aufgestossen ist der Gemeinde die Parkplatzabstimmung beim Friedhof Hörnli. Finger weg von unseren Parkplätzen, hiess es damals. Das Sanierungssvorhaben ging baden.

Für die Riehener Gemeinderätin Christine Kaufmann (EVP) war das Ergebnis keine Überraschung: «Wir wurden einfach nicht gefragt. Das zeugt von einer fehlenden Sensibilität. Dabei müssten wir uns darauf verlassen können, dass der Kanton – egal, welche politische Ebene – daran denkt, uns mit einzubeziehen bei solchen Vorhaben, die uns direkt betreffen.»

Riehen ist so etwas wie die kleine Schwester von Basel. Und wie das nun mal mit kleinen Schwestern ist, will sie ihren eigenen Weg gehen, pocht lautstark auf ihrer Autonomie und tut Dinge anders, als das ihre grosse Schwester vormacht. Ab und an Krach ist da programmiert. 

Während die Basler*innen die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt sind und selten nach Riehen blicken – ausser sie gehen in die Fondation Beyeler – dreht sich für einmal, wenigstens politisch, einiges um die Gemeinde an der Grenze. Am 6. Februar sind Riehener Wahlen. Basel fragt sich: Wird die bürgerliche Mehrheit bröckeln? Dieses Jahr feiern die beiden Schwestern ausserdem ihre 500-jährige Verbundenheit. Aber gibt es da wirklich so viel zu feiern? 

Christine Kaufmann (EVP) will Gemeindepräsidentin werden.

Christine Kaufmann (EVP) will Gemeindepräsidentin werden. (Foto: zvg)

Im Jahr 1522 kaufte die Stadt Basel das Dorf Riehen. Bis zur trauten Einigkeit und Gleichberechtigung war es aber ein langer Weg – über Jahrhunderte waren Riehener*innen Leibeigene der Stadt Basel. Ein herziges Dorf, in dem der Landvogt seine Sommer verbrachte, um das weite idyllische Grün geniessen. 

Heute sind die Riehener*innen, was ihre politischen Rechte angeht, auf Augenhöhe mit den Basler*innen. Den gekränkten Stolz haben sie aber nie ganz abschütteln können. Sich reinquatschen lassen von den Städter*innen lassen sie sich nur ungern, wie die Friedhof-Hörnli-Abstimmung zeigte. 

Riehens politische Eigenheiten

«Bevölkerungsumfragen zeigen: Die Menschen in Riehen sind im Grossen und Ganzen sehr zufrieden mit ihrer Gemeinde und der Lebensqualität», sagt Gemeinderätin Kaufmann. Verbesserungspotenzial gebe es bei der Zusammenarbeit der verschiedenen Gremien: «Vorschläge von Mitte-links haben zurzeit wenig Chancen durchzukommen. Das spüren die Riehener*innen. Darum glaube ich, dass sich bei den Wahlen das Gleichgewicht in der Regierung möglicherweise wiederherstellen könnte.»

Kaufmann weiss, wovon sie redet. Seit 2014 ist sie Gemeinderätin in Riehen. Ihr Vater, Gerhard Kaufmann, präsidierte die Gemeinde über zwei Dekaden. Nun kandidiert seine Tochter für das Gemeindepräsidium. 

Vor zwei Jahren probierte sie es auf kantonaler Ebene: Sie wollte Regierungsrätin werden. Ihr Leistungsausweis befähigte sie dazu – ihre Parteizugehörigkeit weniger. Noch so eine Sonderheit: Kaufmanns EVP prägt die Gemeinde seit Jahrzehnten. Basel weniger. Dass ländliche Gemeinden eher bürgerlich sind, ist in der Schweiz nicht ungewöhnlich. Die starke EVP – sie besetzt im Einwohner*innenrat immerhin fünf von vierzig Sitzen – ist eine politische Eigenheit Riehens.

Stefan Hess weiss, warum. Der Historiker arbeitet für Riehens Dokumentationsstelle und hat früher historische Rundgänge  durch die Gemeinde durchgeführt. 

Stefan Hess ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gemeinde Riehen.

Stefan Hess ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gemeinde Riehen. (Foto: Adelina Gashi)

Wir spazieren bei Nieselregen und grauem Himmel durch das Dorf, während Hess von den stattlichen Landsitzen erzählt und den Spuren, die gutbetuchte Basler Patrizierfamilien in Riehen hinterlassen haben. Parkanlagen und Strassennamen erinnern an sie: der Sarasinpark oder die Wettsteinstrasse.

Das Diakonissenhaus, gelegen im Oberdorf, ist nicht nur von religiöser Bedeutung, sondern sollte eine der wichtigsten Parteien der Gemeinde hervorbringen:

«Im protestantischen Riehen entwickelte sich im 18. Jahrhunderts eine starke pietistische Gruppierung. Im 19. Jahrhundert kam es hier zur Gründung des Diakonissenhauses, befördert durch pietistisch angehauchte Basler Patrizierfamilien», erzählt Hess. Aus dieser religiösen Bewegung sollte später die Vereinigung evangelischer Wähler und Wählerinnen, die Vorläuferin der EVP hervorgehen. Noch immer ist Riehen religiöser Anhaltspunkt für Pietist*innen und Mitglieder der Freien Evangelischen Gemeinde.

Dass sich der Einfluss der EVP in Riehen bis heute gehalten hat, sei aber nicht nur ihrer langen Historie zu verdanken, meint Gemeinderätin Kaufmann. 

EVP, wer?

«Ich glaube, dass es auch damit zu tun hat, dass wir uns keinem Block zuordnen lassen können, dass wir so beliebt sind in Riehen», sagt Kaufmann. Die EVP fährt einen Mittekurs und hat sich zur beständigen Grösse etabliert, ist Kaufmann überzeugt. 

Kaum stolpert man über die Gemeindegrenze, ist von diesem Einfluss kaum noch etwas zu spüren. Mit dem Bedeutungsverlust des Pietismus in Basel verlor auch die EVP im kantonalen Polit-Game an Schlagkraft und schaffte es nicht, sich als grosse Playerin zu etablieren. 

In Riehen war sie hingegen lange das Zünglein an der Waage und dafür verantwortlich, dass die Bürgerlichen keine Mehrheit im Gemeinderat bildeten. «Das änderte sich erst vor zwölf Jahren», sagt Historiker Hess. 

Die Gemeinde war schon immer die konservative kleine Schwester Basels. In den letzten zwölf Jahren hat sich der ideelle Graben der Geschwister aber wieder verschärft. 

«Basel ist nun mal heterogener. Wir haben Quartiere, die schon immer eher links gewählt haben. Und Riehen ist traditionellerweise im Vergleich bürgerlicher», sagt EVP-Politikerin Christine Kaufmann.

Wahlen in Riehen

Am 6. Februar sind Gemeindewahlen in Riehen. Gewählt werden eine neue Regierung und die vierzig neuen Mitglieder des Einwohner*innenrates. Der bisherige Gemeindepräsidentin Hansjörg Wilde (parteilos) tritt nach fast acht Jahren im Amt nicht mehr zur Wahl an. Für das Gemeindepräsidium kandidieren neben Christine Kaufmann (EVP), Guido Vogel, bisheriger SP-Gemeinderat und ebenfalls bisheriger Gemeinderat Daniel Albietz (Die Mitte). EVP, SP und Grüne haben sich zur linken Allianz zusammengeschlossen, während SVP, LDP, FDP und Mitte den bürgerlichen Block bilden. Die glp hat sich keiner Allianz anschliessen wollen. Für sie tritt David Moor als Gemeindepräsidentschaftskandidat an. 

Ähnlich erklärt sich Stefan Hess die politische Abweichung Riehens.

Wir sind mittlerweile im Gemeindehaus angelangt und stehen vor einem mehrere Meter langen Modell der Gemeinde. Die kleinen angemalten Häuser und Strassen aus Pappe zeigen Riehen im Masstab 1:1000. Riehen sei nicht einfach eine bürgerliche Gemeinde, so wie sie in Basel oft wahrgenommen wird, sondern hat eine durchaus heterogene Bevölkerung, meint Hess. «Wenn jemand hier oben wohnt», sagt Hess und zeigt auf die Anhöhe oberhalb des Wenkenparks, «ist das natürlich ein Unterschied zu jemandem, der hier unten im Niederholz wohnt».

Auf dieser Anhöhe liessen sich in den letzten Jahrzehnten mehrheitlich die besser verdienenden Riehener*innen, vom Typus Haus bis Villa mit Garten und vielleicht sogar Pool, nieder.

Auch in Riehen gebe es Quartiere, die eher links orientiert sind. Sie seien jedoch in der Minderheit, sagt Hess. Immerhin bildet die SP im Einwohnerrat die grösste Fraktion, gleich gross wie jene der SVP. Politisch dominiert wird die Gemeinde heute aber von den bürgerlichen Parteien.

Aus der Vogelperspektive: Das 20'000-Seelen-Dorf Riehen.

Aus der Vogelperspektive: Das 20'000-Seelen-Dorf Riehen. (Foto: Adelina Gashi)

Die auseinandergehenden politischen Tendenzen zwischen Basel und Riehen werden wohl auch mit der kommenden Wahl nicht verschwinden. «Ich rechne nicht mit riesigen Veränderungen. Eine Revolution gab es in Riehen fast nie», meint Christine Kaufmann. Sie glaubt aber, dass sich die Beziehung verbessern liesse, wenn in Zukunft mehr aufeinander zugegangen wird. «Wir müssen besser darin werden, miteinander zu reden.»

Die 500-Jahr-Feier am ersten Septemberwochende wird möglicherweise der ideale Anlass, einander wieder näher zu kommen. 

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