Was hat euch Corona gebracht, Dritte Stock Records?
Das Musiklabel hat alle Auftrittsmöglichkeiten verloren, andererseits zwang die Situation sie, kreativ, innovativ und produktiv zu sein. Über die Schweizer Rap-Szene, Missgunst und Neid und Authentizität.
Anfang Dezember, untypischer Hochnebel, ein unscheinbares Haus an der Hegenheimerstrasse. Auf dem Klingelschild steht Trust the process Gmbh. Hier hat das Hip-Hop-Label Dritte Stock Records sein Studio und Büro. Manager Niccolo Brunetti öffnet und führt mich hinein. Statt Hip-Hop-Barock in Blattgold herrscht Nüchternheit. Grosse Bildschirme, schwarze und elegante Sofas, kein Bling-Bling. Beim Treuhänder siehts nicht anders aus.
Das Musiklabel Dritte Stock Records besteht aus den Rappern Sherry-ou, Lafa, Morow, Moony und Skip, die alle auf Mundart Musik machen. 2016 entstanden, machte es sich schnell damit einen Namen, Trap in den Schweizer Rap gebracht zu haben.
Trap? Durch Screwing & Chopping zur vielschichtigen Electronic Dance Musik zusammengesetztem Hip-Hop ausgerechnet hier an der Hegenheimerstrasse? Die Szene ist in Basel (haha, Wortwitz, hier gehts zur Reportage von Daniel Faulhaber
) vor allem dafür bekannt, Auf-die-Fresse-Rap hervorzubringen. Da war der melodisch-hypnotische, basslastige und reduzierte Trap-Sound vor allem von Gründer Sherry-ou etwas Neues für die Schweizer Raplandschaft.
Selbstbewusst, provokante Frage an Dritte Stock Records: Ist Strassenrap wie der von S-Hot und Gurbet, dem die Herzen auf Instagram zufliegen, aktuell nicht viel cooler als Trap?
Musik ist dann cool, wenn sie real ist, antwortet Sherry-ou: «Und ich könnte aus meiner Vergangenheit nicht das erzählen, was S-Hot und Gurbet so glaubwürdig machen. Denn das ist wohl das Wichtigste: Authentizität.»
Bämm. Nimm das Schreiberling. Authentizität. Das Thema ist gesetzt.
«Man gönnt sich hier einfach gegenseitig wenig.»Mischa Uebersax aka Morow
Morow, mit richtigem Namen Mischa Uebersax, ist der Shooting Star des Labels. Er meint: «Schweizrap soll endlich nicht mehr Schweizrap genannt werden, sondern einfach Rap. Das Schweiz davor hat so einen negativen Unterton.»
Warum das bisher nicht so sei? «Das liegt nicht nur an der Sprache. Denn in der Schweiz selbst hatte es Mundartrap lange schwer, sich durchzusetzen. Ich glaube, das ist eine kulturelle Sache: Man gönnt sich hier einfach gegenseitig wenig», erklärt Morow.
Jedoch verändere sich das gerade: «Die Community wächst. Wir werden immer mehr ernst genommen. Viele Jugendliche hören aktiv Mundartrap und das wird weitergehen.» Morow ist zuversichtlich. Er und seine Crew müssen sich nicht nur selbst bekannt machen, sondern erst ihr Publikum an sich definieren, finden und erschaffen. Das ist ein grosser Unterschied zu anderen Szenen, wo durch cleveres Marketing schon viel erreicht werden kann – aber für die Authentizität (da ist sie wieder!) ist das natürlich Gift.
Der Weg ist entsprechend lang. Aber alle arbeiten höchst professionell und mit hohem Output. Im Sommer haben sie die GmbH trust the process gegründet, die sich um den Vertrieb, die Vermarktung und Videoproduktion verschiedener Künstler*innen kümmert – nicht nur denen von «Dritte Stock», sondern auch weiteren. «Damit wollen wir der urbanen Kultur in Basel und der Schweiz ein professionelles Umfeld bieten und uns international etablieren», erläutert Brunetti und ergänzt: «Wir sind international gut vernetzt, produzieren mit Produzent*innen in London oder Berlin und shooten Videos in ganz Europa.» Beispielsweise hier in Island oder hier in Paris.
Zurück zur Corona-Frage: Der verfluchte Virus auch als Chance? «Natürlich: Einerseits ist es für die Branche und dadurch für uns mega schwierig», sagt Manager Brunetti. «Andererseits», erwidert Morow, «sind wir gezwungen, innovativer und kreativer zu denken. Wir haben sehr erfolgreich neue Merchandise-Bundles entwickelt. Vor allem aber haben wir aber alle sehr viel Musik produziert.»
Mit Erfolg?
«Ich zumindest kann mittlerweile mit einjährigem Vorlauf planen», sagt Morow.
Und der Rest des Labels?
«Wir haben uns dieses Jahr genommen, um zu schauen, wie gut wir von dem hier leben können», sagt Brunetti. «Und wie es aussieht, scheint unser Plan aufzugehen.» – Und wer es schafft, sich im Epidemie-Jahr zu etablieren, hat die gesünderen Zeiten nicht zu fürchten.