Warum Mieter*innen wie Milchkühe sind

Vorsorgeeinrichtungen besitzen 6 Prozent der Basler Wohnungen. Und bitten die Mieter*innen zur Kasse.

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(Bild: nighthawk via Unsplash)

Willkommen in der Parallelwelt des Finanzkapitals. «Lass dein Geld für dich arbeiten», flötet dort der Bänker. Und die Pensionskassenverwalterin echot: «Auf den dritten Beitragszahler kommt es an.» Gemeint ist damit der Ertrag auf den aktuell rund 1200 Milliarden Franken Guthaben der Pensionskassen.

In den letzten fünf  Jahren lag die durchschnittliche Rendite laut Credit Suisse bei 4,75 Prozent oder jährlich rund 55 Milliarden Franken, womit der «3. Beitragszahler» in diesen fünf Jahren leicht mehr in die  Pensionskassen einbezahlt hat, als die Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen zusammen.

Kurz: Die Pensionskassen haben ihr Geld für ihre Rentner*innen arbeiten lassen. Doch wer hat die Arbeit tatsächlich geleistet? Der typische PK-Funktionär würde jetzt zu einer längeren Abhandlung über die richtige «Asset-Allocation» ausholen. In der Tat schwanken die Renditen der Kassen zwischen 0,26 und 7,17 Prozent, wie der PK-Index der Credit Suisse zeigt.

«Allein die Pensionskassen haben in den letzten 18 Jahren rund 220 Milliarden Franken in den Wohnungsbau gesteckt.»

Als «tüchtig» haben sich vor allem die Verwalter*innen erwiesen, die in Wohnimmobilien investiert und diese «rentabilisiert» haben. Laut Handelszeitung hat sich der Anteil der Immobilienanlagen bei den Pensionskassen in den letzten 18 Jahren mehr als verdoppelt und von 10 auf fast 25 Prozent angestiegen.

Das bedeutet, dass allein die Pensionskassen in diesem Zeitraum rund 220 Milliarden Franken in den Wohnungsbau gesteckt haben. Warum? Weil Mieter*innen offenbar gute und belastbare Milchkühe sind: Laut dem PK-Index des Credit Suisse warfen die Immobilien letztes Jahr im Schnitt 3,7 Prozent Rendite ab.

Ein Blick in die Bajour-Datenbank «Wem gehört Basel?» verrät wie Pensionskassen und Vorsorgeeinrichtungen auf dem Basler Immobilienmarkt mitspielen: Sie besitzen über 5500 Wohnungen und halten so 6 Prozent am Gesamtbestand.

Ihr Interesse scheint dabei nicht ausschliesslich an Objekte mit hoher Rendite zu liegen, sondern auch an Liegenschaften in klassischen Arbeiter*innenquartieren. Besonders auffällig ist die Präsenz in Kleinhüningen, wo die PKs fast 25 Prozent aller Wohnungen besitzen. In Hirzbrunnen hingegen besitzen keine einzige Wohnung.

Doch die PKs sind nur ein Teil des Finanzkapitals, das sich auf die Immobilienmärkte gestürzt hat. Gemäss dem  Mieterinnen- und Mieterverband haben die Immofirmen ihren Anteil am Schweizer Immobilienbesitz von 2000 bis 2017 von 29 auf 39 Prozent gesteigert.  

Insgesamt dürften Finanzinvestor*innen in diesen 20 Jahren somit weit über 500 Milliarden auf Wohnimmobilien «gewettet» worden sein. Effektiv verbaut worden, sind aber in diesem Zeitraum nur rund 120 Milliarden Franken. Die «Investor*innen» haben sich also im Wesentlich bloss gegenseitig die Immobilien abgekauft und damit – zu Lasten der Mieter*innen und der Neukäufer*innen – die Preise hochgetrieben.

Was sich da zusammengeläppert hat, zeigt ein Vergleich der rund 3’900 Milliarden Franken Marktwert aller privaten Hochbauten gemäss dem Immo-Monitoring von Wüst Partner mit dem aktuellen Wert der Bausubstanz aller Hochbauten gemäss der Statistik des realen Kapitalstocks. Die Differenz von rund 3000 Milliarden Franken entspricht dem Wert der Grundstücke. Bei einer Rendite von 3,7 Prozent kommt man auf einen Betrag von gut 100 Milliarden Franken. Das ist die (hypothetische) Bodenrente, welche die Bodenbesitzer *innen jährlich abkassieren könnten, wenn sie ihre Marktmacht voll ausnützen.

«Die Pensionskassen sind zwar nicht der einzige, aber – per Saldo – der wichtigste Treiber der Immobilienpreise.»

Dafür müssten alle Arbeitnehmer*innen der Schweiz drei Monate lang arbeiten. Für immer mehr Mieter*innen ist das heute Realität. Denn zumindest die professionellen Immobilieninvestor*innen –wie die Pensionskassen – fühlen sich gegenüber ihren Rentner*innen sogar verpflichtet, ihre Marktmacht voll zu nutzen und die Rendite zu maximieren.

Die Pensionskassen sind zwar nicht der einzige, aber – per Saldo - der wichtigste  Treiber der Immobilienpreise. Gemäss der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung haben sie einen jährlichen Netto-Anlagebedarf von rund 38 Milliarden Franken oder rund 60 Prozent des gesamtschweizerischen Bedarfs.

Volkswirtschaftlich gesehen ist die 2. Säule eine Fehlkonstruktion: Sie macht die Rente zur Lotterie. Sie ist viel zu teuer: Den jährlich nur gut 30 Milliarden Franken Renten, stehen rund 6 Milliarden Franken Kosten allein für Verwaltung der 1200 Milliarden Guthaben gegenüber. Und sie macht die Mieter*innen zu Milchkühen. Darüber muss man reden können.

Doch unser hoch gelobtes 3. Säulen-System bleibt eine heilige Kuh. Das wird sich erst ändern, wenn wir erwachsen werden und nicht mehr an den «3. Beitragszahler» glauben, und daran, dass ich das Geld (und nicht die Mieter*innen) für uns krumm legt.

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Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.

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