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Gastbeitrag zum feministischen Streik

Es geht jetzt um mehr als ein wenig Makulatur!

Der 14. Juni 2019 hat politisch Einiges bewirkt. Ausruhen darf man sich deshalb noch lange nicht. Corona hat das allen schmerzlich bewusst gemacht. Ein Gastbeitrag von Franziska Stier* vom feministischen Streikkomitee.

06/10/20, 03:49 AM

Aktualisiert 06/10/20, 03:13 PM

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Der 14. Juni letztes Jahr setzte ein kraftvolles Zeichen. Was hat er politisch bewirkt? (Foto: Eleni Kougionis)

Der 14. Juni letztes Jahr setzte ein kraftvolles Zeichen. Was hat er politisch bewirkt? (Foto: Eleni Kougionis)

Am 14. Juni 2019 legten mehr als eine halbe Million Frauen und genderqueere Menschen die Arbeit nieder. Der Demonstrationszug in Basel reichte von der Freien Strasse über die Wettsteinbrücke, die Rebgasse, die Mittlere Brücke bis zur Schifflände. Noch nie habe ich so viele Menschen an einer Demo gesehen.

Im Vorfeld des Streiks wurden schweizweit 17(!) zentrale Forderungen in einem Appell formuliert. Unter dem Motto: «Mehr Lohn, Zeit und Respekt» liessen sich viele davon zusammenfassen. Die Gründe auf die Strasse zu gehen, waren aber bei weitem vielfältiger. In Basel wählten wir einen anderen Zugang. Wir verfassten mit «Basel im Jahr 2069» eine Vision über das, was unser Widerstand auslöst und wie wir uns und unsere Gesellschaft damit verändern.

Rückblickend war der Weg vielleicht etwas zu sanft. Die politische Arbeit scheint Holzhämmer zu brauchen. Deswegen doppeln wir nun mit dem Careona-Manifest nach. Wir fordern die Neuverteilung von Zeit, Macht, Geld und Raum! Es geht um mehr als ein wenig Makulatur.

Der feministische Streik hat auf vielen Ebenen gewirkt, aber lange nicht genug. Über ein Jahr war die Sichtbarkeit von Frauen* in den Medien deutlich erhöht (vorwiegend weisse Cis-Frauen, aber immerhin). Zu den Nationalratswahlen kandidierten viel mehr Frauen* als die Jahre zuvor und schliesslich wurde auch der Nationalrat deutlich weiblicher (Frauen*anteil neu 42%).

Frauen* der linken Grossratsfraktionen in Basel-Stadt reichten im Rahmen des Streiktags mehrere feministische Interpellationen, Motionen und Anzüge ein. Vier Monate später wurden diese dann auch behandelt. Die Themen Elternzeit und die Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs für Kantonsangestellte von 10 auf 20 Tage fanden Mehrheiten. Auch die statistische Erfassung LGBTI-feindlicher Aggressionen und die Umsetzung der Istanbulkonvention durch mehr Frauenhausplätze und gesicherte Finanzierung wurden beschlossen.

Sogar in puncto Lohngleichheit geht es für Frauen*, die in Unternehmen ab 50 Beschäftigten arbeiten, einen Schritt weiter. Doch dort, wo es um grundsätzliche Veränderungen geht und darum, Macht zu teilen, war Schluss mit der Einigkeit. Die Motion zu einer substanziellen Erwerbsarbeitszeitverkürzung und gerechteren Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit wurde abgeschmettert. Selbst der moderate Vorstoss für ausgeglichene Wahllisten scheiterte.

Und während die Mühlen des Parlamentsbetriebs für einige Vorstösse langsam vor sich hin mahlten, verschärfte die Corona-Pandemie nahezu alle Bereiche, in denen bereits im «Normalzustand» geschlechtsspezifische Ungleichheit herrscht. Die häusliche Gewalt nahm zu, die unbezahlte Arbeit nahm zu und in den schlecht bezahlten Berufen, die uns durch die Pandemie führten, arbeiteten vorwiegend Frauen*!

In der Pflege setzte man zeitweise das Arbeitsgesetz ausser Kraft, die Verkäufer*innen schufteten am Limit – mit all der Unsicherheit eines Ansteckungsrisikos und teilweise unverschämter Kundschaft. Die Doppelbelastung von Homeoffice und Kinder- bzw. Altenbetreuung im 24/7-Rhythmus brachte viele von uns zur Verzweiflung. Corona macht müde. Und das liegt nicht am Virus, sondern an der Art und Weise, wie wir notwendige Arbeiten organisieren. Genauer gesagt, wie wir Geld, Macht, Zeit und Raum verteilen.

Franziska Stier vom feministischen Streikkomitee (Foto: zvg)

Franziska Stier vom feministischen Streikkomitee (Foto: zvg)

«Während die Mühlen des Parlamentsbetriebs langsam vor sich hin mahlten, verschärfte die Corona-Pandemie nahezu alle Bereiche, in denen bereits im «Normalzustand» geschlechtsspezifische Ungleichheit herrscht.»

Franziska Stier

Mit der Corona-Krise wurde ein gigantisches ökonomisches Umverteilungspaket gestartet - jedoch in die falsche Richtung! Allein in der Schweiz gingen:

• 1,875 Milliarden an die Luftfahrt

• Mehr als 60 Milliarden als Bürgschaften an Banken

• 5000 Armeeangehörige erhielten CHF 5.- mehr Sold im Corona-Einsatz

• an die Care-Arbeitenden für ihre systemrelevante Arbeit nur Applaus!

Da stellt sich die berechtigt klingende Frage, wo die Feminist*innen in den letzten Monaten waren, um diese Ungerechtigkeit anzuprangern. Viele von uns waren damit beschäftigt, ihr Leben und ihr Umfeld vor dem Kollaps zu retten: systemrelevante Arbeit zu leisten.

100 – 248 - 1. Die Feministische Fakultät veröffentlichte 2019 diese drei Zahlen:

Frauen* bekommen 100 Milliarden Franken weniger Lohn.

Der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit der Frauen* beträgt 248 Milliarden Franken.

Eine Milliarde Stunden arbeiten Frauen* jährlich unbezahlt für die Betreuung der Kinder.

Diese Zahlen dürften 2020 massiv nach oben schnellen. Die Gratisarbeit, die in den letzten Monaten geleistet wurde, war ein unglaublicher Kraftakt. Kinderbetreuung und Homeoffice gehen nicht gleichzeitig. Die Kleinen sitzen nicht in sich versunken vor den Bauklötzen und warten, bis die Homeoffice-Aufgaben erfüllt sind. Sie brauchen Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld und Liebe – auch, wenn der Workload steigt, einem die Decke auf den Kopf fällt und die Schwiegereltern Lebensmittel oder Medikamente brauchen.

«Wenn wir uns nicht entschieden wehren, werden wir es auch sein, die die Krisenlasten der Rezession zahlen.»

Franziska Stier

Mehrheitlich Frauen* haben in den letzten Monaten den Karren aus dem Dreck gezogen. Doch wenn wir uns nicht entschieden wehren, werden wir es auch sein, die die Krisenlasten der Rezession zahlen. Sollten die Kantone, wie bei Sparrunden üblich, im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich sparen, wird es Frauen* dreifach treffen.

Erstens, weil sich die Bedingungen für sie im bezahlten Bereich verschlechtern. Zweitens, weil die Belastung im privaten Bereich zunimmt und drittens weil sie vom Sozialabbau besonders betroffen sind (Armut ist weiblich).

Frauen* mit Migrationshintergrund trifft die Krise dann am härtesten. Wer Angst hat, die Aufenthaltsbewilligung zu verlieren, wird keine soziale Unterstützung in Anspruch nehmen. Sans-Papiers haben keinerlei Chance auf Absicherung.

Geschlechtergerechtigkeit ist kein Luxus, den wir uns leisten, wenn es uns sowieso schon gut geht. Daher fordert unser feministischer Appell zu Recht vom Bundesrat, dass Frauen* an den Verhandlungstisch müssen. Es braucht Massnahmen gegen die Krise, die auch der Lebensrealität der weiblich gelesenen Menschen Rechnung tragen und ein Gender-Budgeting als konsequente Umsetzung geschlechtsspezifischer Auswirkungen der öffentlichen Ausgaben.

Wir sollten anfangen, Ökonomie anders zu denken, indem wir das Leben und die Sorge zu allen ins Zentrum stellen. Ohne anhaltenden und massiven Druck von Frauen, genderqueeren Menschen und solidarischen Männern wird das nicht passieren.

Dazu sammeln wir in diesem Jahr protestreich Energie. Unter dem Thema «Frau*lenzen und Queerstellen» findet der Streiktag am 14. Juni statt. Wir werden Sorge zueinander tragen, Abstand halten ohne isoliert zu sein und gemeinsam Kraft sammeln, für das, was vor uns liegt. Auch dieses Jahr werden wir um 15:24 Uhr unseren Forderungen lautstark Ausdruck verleihen und Lärm machen. Wir wissen, die Zeichen stehen auf Sturm und wir sind nicht allein.

*Franziska Stier ist Mitglied des feministischen Streikkomitees und BastA!-Parteisekretärin.

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