Als die «Tschinggen» zu laut jubelten
Kennst du SC Hungaria, FC Dardania oder FC Afghan? Alles migrantische Fussball-Klubs in der Region Basel. Unser Didi-Offensiv-Kolumnist Simon Engel wirft einen Blick auf die Einwanderungs- und Fussballgeschichte.
US Bottecchia, SC Hungaria, AC Rossoneri, CD Español, FC Jugos, FC Türkgücü, FC Dardania, FC Thai, FC Afghan, FC Eri – das sind alles migrantische Fussballvereine aus der Region Basel. Und ihre Gründungsdaten widerspiegeln ziemlich genau den Verlauf der schweizerischen Immigrationsgeschichte.
Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen wanderten seit jeher aus unterschiedlichen Gründen in die Schweiz ein. Lange stellten die Italiener*innen die grösste Gruppe von Einwanderer*innen dar. Mittlerweile lebt bereits die dritte oder vierte Nachkommens-Generation hier.
Italiener*innen mit «lautem und gestenreichen» Auftreten
Oft hat diese den Schweizer Pass. Pizza und Pasta sind Teil der helvetischen Esskultur geworden. Die ersten beiden Generationen hingegen erlebten noch Ressentiments, einige Schweizer*innen störten sich ab ihrem «lauten und gestenreichen» Auftreten. Die Italiener*innen sollen sich gefälligst anpassen und nicht einfach wie in Italien weiterleben, hiess es.
Die Bindung zum Heimatland liessen sich die ersten italienischen Migrant*innen verständlicherweise nicht nehmen.
Was also tun, um zumindest ein Gefühl von Heimat in der Fremde zu erhalten?
Man gründet einen Verein mit den ‘Leidensgenoss*innen’ aus dem gleichen Land! Oder noch besser: Einen Fussballverein, wo man sich von den Arbeitsstrapazen aktiv erholen kann und gemeinsam der schönsten Nebensache der Welt nachgeht. Erste solche Vereine wurden bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegründet, die grosse Mehrheit der Vereine wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen.
Vom Gastarbeiter zum helvetischen Vereinsmeier?
Sie bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Segregation und Integration: Einerseits treibt man Sport unter seinesgleichen, man redet dieselbe Sprache, man pflegt Traditionen des Herkunftslandes und trägt die eigenen (eventuell negativen) Migrationserfahrungen an die nächste Generation weiter.
«Das Umarmen und Küssen widerspricht der Art des harten Sportkampfes.»Schweizerische Fussball- u. Athletikzeitung, 1938
Andererseits findet eine Integration ins System des Ankunftslandes statt, weil die Migrant*innen-Klubs sich mit Behörden, dem Recht und den Verbänden arrangieren müssen: Auch solche Klubs sind Vereine nach schweizerischem Zivilgesetzbuch, wo der ausländische ‘Gastarbeiter’ vielleicht den ersten Schritt zur Transformation zum helvetischen Vereinsmeier macht.
Zwischen Segregation und Integration
Dieses Lavieren zwischen Segregation und Integration stand immer unter besonderer Beobachtung der ‘einheimischen’ und ‘alteingesessenen’ Schweizer Mehrheit. Mitunter führte dies zu kuriosen Anekdoten. So war in der Schweizerischen Fussball- und Athletikzeitung vom 2. November 1938 Folgendes zu lesen:
Dass ‘Südländer’ - und damit sind wohl Italiener*innen gemeint - tendenziell ihre Emotionen offener als der*die gemeine Schweizer*in ausleben, stimmt wohl. Bleibt die Frage, was denn ein «schweizerischer» Jubel ist: Ein Rütlischwur an der Cornerfahne?
Subventionen nur mit «schweizerischen Werten»
Dass sich Schweizer Funktionäre Gedanken zur nationalen Eigenart des Torjubels machten, hatte vielfältige Gründe: Das Betonung schweizerischer Werte war damals Usus, insbesondere wenn man als Verband staatliche Subventionen erhalten wollte. Analog zur Nation solle beim Spiel deshalb das Kollektiv über allem stehen, individualistische, «südländische» Jubel passten da nicht rein. Die Übernahme des Jubels durch Schweizer Mannschaften zeigt jedoch, dass solche Vorgaben an der Basis wohl eher ignoriert wurden.
Eine Rolle spielte sicherlich auch der Diskurs über die ‘Überfremdung’, ein Begriff, der schon etwa vierzig Jahre vor besagtem Artikel zum ersten Mal in der Schweiz auftauchte: Zunächst wollten die Behörden dieses ‘Problem’ mit Masseneinbürgerungen lösen, bald aber entstand daraus eine Diskussion über nationale Eigenarten, anscheinend auch im beim Thema Torjubel.
Von «Sau-Tschinggen» und der Fremdenpolizei
1917 wurde zudem die eidgenössische Fremdenpolizei gegründet: Ausländer*innen wurden fortan genauestens gemustert und alle, die länger im Land blieben, sollten ‘assimiliert’ werden. Hochkonjunktur hatte dieses Denken in den 1960er-Jahren: Neue ‘Südländer*innen’ - insbesondere Süditaliener*innen - kamen in die Schweiz, weil die Wirtschaft sie gerufen hatte.
Das ‘Fremdarbeiter-Problem’ dominierte in Politik und Medien.
Sie arbeiteten tüchtig auf dem Bau, in der Küche oder in Fabriken, durften aufgrund des Saisonnierstatuts aber nur für neun Monate im Land bleiben und wohnten deshalb nur in einfachen Barracken. Familiennachzug war auch verboten. Als ‘Dank’ wurden sie von einigen Schweizern als ‘Sautschinggen’ bezeichnet und nationalkonservative Kreise forderten ihre Ausweisung. Das ‘Fremdarbeiter-Problem’ dominierte in Politik und Medien.
FB Black Stars Basel: eigene Gruppe für Immigrant*innen-Vereine
Ablenkung hätte also der Fussball bringen können, aber denkste: Auch dort kamen Ressentiments zum Vorschein! So beantragte 1965 der FC Black Stars Basel vor einer Delegiertensammlung des nordwestschweizerischen Fussballverbands, dass sämtliche «Ausländermannschaften» - und das waren damals fast ausschliesslich italienische Immigrant*innenvereine - ab der Saison 1967/68 in eine eigene Gruppe einteilen zu seien.
Nach einer Aussprache zwischen dem italienischen Generalkonsul in Basel, der Verbandsspitze und dem Vorstand von Black Stars wurde der Antrag zwar noch vor der Versammlung zurückgezogen, denn dieser sei nur zwecks Wachrüttlung des Verbands getätigt worden und habe bereits «in der ganzen Angelegenheit, die für alle schweizerischen Clubs in der Region zu einem Problem geworden ist, etwas Erfolgsversprechendes unternommen».
Was genau das ‘Problem’ war, lässt sich mit den Akten nicht genau rekonstruieren – «südländische» Jubel und Temperamente werden aber wohl eine Rolle gespielt haben.
Die italienischen Vereine protestierten an besagter Delegiertenversammlung trotzdem scharf: Pietro Vignutelli, Sekretär der US Bottecchia Basel, sprach in Namen aller Italienerclubs und richtete abschliessend einen Appell für Verständnis, Zusammenarbeit und Integration an die anwesenden Delegierten:
Etwas im Hals stecken bleibt hingegen Vignutellis Aussage über das Temperament der «vielfach primitiven italienischen Spieler und Zuschauer». Dass er sich hier schweizerischer als die Schweizer gab, sollte wohl ausdrücken, dass es den Migrant*innen-Vereinen mit der Integration sehr ernst war.
Damals gegen Italiener, heute gegen Eritreer
Und zeigt schön auf, wie ruppig fordernd und latent fremdenfeindlich, aber auch pragmatisch die Integration von Ausländer*innen in der Schweiz gelebt wurde und immer noch wird: Wer sich willig zeigt und korrekt verhält, wird irgendeinmal akzeptiert. Integration braucht Zeit, sie ist ein Nehmen und Geben. Die Skepsis, welche den ersten Italienern entgegengebracht wurde, bekommen heute vielleicht die jungen Eritreer vom FC Eri Basel zu spüren.
Dem Schweizer Fussball ein Rassismusproblem zu diagnostizieren, wäre aber etwas vermessen. Wirkliche Probleme zwischen Schweizer*innen und Ausländer*innen gibt es zum Glück selten. Die Idee, dass ‘Ausländermannschaften’ in einer eigenen Liga spielen sollen, geistert trotzdem bis heute auf den Schweizer Fussballplätzen herum. Dumm nur, dass diese mittlerweile oft nicht mehr homogene Vertreter einer bestimmten Migranten*innengruppe sind. Gerade die älteren Italienervereine nehmen auch Schweizer und andere ausländische Nationalitäten auf. Heisst: Die Integration muss geglückt sein. Das Bedürfnis nur mit seinesgleichen zu verkehren, scheint nicht mehr da zu sein.
Und all dies (auch) dank dem Fussball – er ist also doch mehr als nur Elf gegen Elf, hurra!
P.S.: Temperament und Jubel auf dem Fussballplatz haben übrigens nichts mit der Herkunft zu tun, das belegen hochwissenschaftliche Studien der FIFA.