«Als Pensionskasse sind wir nicht auf Dividenden angewiesen»
In der Debatte um ein Dividendenverbot für Kurzarbeit führte Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Bürger*innen in die Irre. Pensionskassen sind keinesfalls von den aktuellen Dividenden von Schweizer Firmen abhängig. Das zeigt eine einfache Nachfrage bei jenen, die es wissen müssten: den Kassen.
Wenn es in der politischen Debatte um Renditen, den Aktienmarkt und Dividenden geht, argumentieren die konzernfreundlichen bürgerlichen Politiker*innen schnell einmal mit den Pensionskassen. Damit sprechen sie alle Versicherten an und spielen dabei oft mit deren Ängsten um schrumpfende Renten. So auch in der Debatte um ein Dividendenverbot bei Kurzarbeit. Der politische Streit letzte Woche war kurz, aber heftig.
Der Nationalrat sagte Ja, der Ständerat einen Tag darauf Nein. Damit ist es Unternehmen weiterhin erlaubt, Gewinne auszuschütten, auch wenn sie Kurzarbeitsgelder beziehen, die in diesem Krisenjahr mit mutmasslich rund 20 Milliarden Franken grossmehrheitlich aus der Bundeskasse finanziert werden wird.
Bürgerliche: Dividenden wichtig für Rentner*innen
Wie haben die konzernfreundlichen bürgerlichen Parteien diesen politischen Erfolg erreicht? Eines der wichtigsten Argumente der Gegner*innen waren die Pensionskassen. So sagte der liberale Basler Nationalrat Christoph Eymann schon vor der Ratsdebatte gegenüber Bajour: «Die Dividenden sind auch aus Sicht der Anleger*innen erwünscht, zum Beispiel von Kleinsparer*innen und Pensionskassen, um Einkommen zu generieren und Renten bezahlen zu können.»
«Dividendenverbot: schwere Folgen für die Einnahmen der Pensionskassen.»Bundesrat Guy Parmelin, Wirtschaftsminister
Im Nationalrat sagte FDP-Nationalrat Marcel Dobler aus St. Gallen, die Dividenden seien eine wichtige Einnahmequelle für Sozialvorsorge-Einrichtungen wie die Pensionskassen. Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser doppelte mit fast schon pathetischen Worten nach, Dividenden seien «notabene wichtig für jede Rentnerin und jeden Rentner, aber auch für jede Pensionskasse in diesem Land». Und sogar SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin brachte in beiden Räten das Pensionskassenargument. Ein Verbot der Dividenden hätte laut Parmelin «schwere Folgen für die Einnahmen der Pensionskassen».
Alles klar also? Ein Dividendenverbot bedroht die Renten der Arbeitnehmer*innen?
Dem ist nicht so. Wenn man bei den Pensionskassen selbst nachfragt, zeigt sich ein anderes Bild. So sagt etwa Patrick Uelfeti, der stellvertretende Leiter Asset Management der Publica, der grössten Kasse im Land: «Die Dividenden sind für die Publica nicht Nichts.» Sie würden in die ganze Rendite mit einfliessen. Die Kasse habe 2019 rund 260 Millionen Franken an Dividenden eingenommen, von Firmen aus rund 60 Ländern. «Doch die Dividenden machen 2019 weniger als zehn Prozent der Gesamtrendite aus», sagt Uelfeti auch. Und 2019 sei mit einer Rendite von neun Prozent ein sehr gutes Jahr gewesen.
Stellt man aufgrund der Publica-Zahlen eine kleine Rechnung auf, zeigt sich die Dimension eines Dividendenverbots für die Pensionskassen eindrücklich: Da gemäss Geschäftsbericht nur rund zehn Prozent der Aktien-Anlagen der Publica die Schweiz betreffen, machen die Dividenden aus Schweizer Firmen wohl nicht mehr als ein Prozent der letztjährigen Rendite aus. Da aber lange nicht alle Schweizer Firmen Kurzarbeit beziehen, würden die Einnahmen-Ausfälle aufgrund eines Dividendenverbots bei Kurzarbeit für Publica also im Promille-Bereich liegen. PK-Asset-Manager: Dividenden wichtig, aber Reduktion verkraftbar
Studien würden laut Uelfeti zwar zeigen, dass Dividenden ein stabilisierendes Element und über lange Sicht ein wichtiger Teil der Rendite seien. «Wenn aber kurzfristig die Dividende einer Firma kleiner ausfällt, ist dies verkraftbar, wie auch Schwankungen beim Aktienkurs», sagt der Asset-Manager. Zum Wert von Dividenden gebe es auseinander gehende Meinungen. «Für uns als Pensionskasse ist die Gesamtrendite, das heisst Dividenden- und Kapitalrendite, massgebend», so Uelfeti aus PK-Sicht.
«Für uns ist es irrelevant, ob eine Dividende ausbezahlt wird, oder nicht.»Diego Liechti, Leiter Kapitalanlagen Pensionskasse Nest
Eine weitere grosse Kasse, die BVK, will sich zu dieser Frage nicht äussern. Man gebe keine detaillierten Informationen zu Erträgen aus Aktien bekannt, sagt ein Sprecher. Aktionär*innen sind Gewohnheitstiere
Offener und radikaler tönt es bei der Pensionskasse Nest, welche letztes Jahr ebenfalls neun Prozent Rendite auswies. «Für uns ist es irrelevant, ob eine Dividende ausbezahlt wird oder nicht», sagt der Leiter Kapitalanlagen Diego Liechti. «Wenn wir Liquidität bräuchten, könnten wir einfach einen Teil der Aktien verkaufen.»
Generell sei es ökonomisch irrelevant, ob die Dividende ausbezahlt werde, weil der Aktienkurs um diese Auszahlung einbreche. «Es ist, ob man sein Geld vom linken in den rechten Hosensack wechselt.» Es gebe laut Liechti vielleicht Situationen, in denen eine Muttergesellschaft auf die Dividenden der Tochtergesellschaften angewiesen sei.
Und wenn man gewohnt sei, eine Dividende zu erhalten, sende natürlich ein Dividendenverzicht ein negatives Signal über den Zustand der Firma aus. «Daher wollen auch aktuell viele Firmen weiterhin Dividenden ausschütten». Liechti resümiert: «Als Pensionskasse sind wir aber nicht auf Dividenden angewiesen.»
«Das ist eine schwere und inakzeptable Irreführung durch den Bundesrat.»Beat Jans, SP-Nationalrat BS
Der Basler SP-Nationalrat Beat Jans fühlt sich bestätigt und zeigt sich verärgert über die Äusserungen von Wirtschaftsminister Parmelin im Parlament: «Das ist eine schwere und inakzeptable Irreführung durch den Bundesrat.» Mit der Behauptung von schweren Folgen für Pensionskassen lasse Parmelin besorgte Bürger*innen glauben, sie seien von einem Dividendenverbot unmittelbar betroffen. Doch eine Anlagestrategie, die auf Dividenden beruht, sei für Pensionskassen nicht nachhaltig. «Leider vertritt der Wirtschaftsminister am Ende die Gesinnung seiner Partei, welche das Grosskapital stärken will», so Jans.
Bundesrat Parmelin weist Vorwurf zurück
Bundesrat Parmelin weist laut seinem Sprecher Urs Wiedmer den Vorwurf der Irreführung von sich. Das Pensionskassenargument sei eines unter vielen. Die Summe aller Argumente habe den Bundesrat veranlasst, sich gegen ein Dividendenverbot auszusprechen. Beim Pensionskassenargument gehe es um Folgendes: «Laut Bundesamt für Statistik haben 2018 die Pensionskassen rund 244 Milliarden (27,9% von total 876 Milliarden) in Aktien investiert.»
Wenn es keine Dividendenausschüttung gebe, würden die Erträge aus diesen Aktien auch für die Pensionskassen sinken, so Wiedmer. Was Publica und Nest sagen, beziehe sich nur auf diese beiden Pensionskassen. «Und trotz des Pensionskassen-Arguments hat der Nationalrat dem Dividendenverbot zugestimmt.» Von einer Irreführung durch den Bundesrat könne also keine Rede sein, «sonst wäre ein solches Ergebnis nicht möglich gewesen.»
Wie reagieren Basler Parlamentarier*innen?
Die grünliberale Basler Nationalrätin Katja Christ sagt: «Um die Wirkung auf Pensionskassen zu beurteilten, bräuchten wir mehr Zahlen und Fakten.» Sie bliebt bei ihrer Haltung zum Dividendenverbot: «Man kann nicht Hauruck ohne vertiefte Analyse ein solches Dividendenverbot erlassen.» Sie würde Firmen aber raten, kohärent zu bleiben.
Auch der liberal-demokratische Basler Nationalrat Christoph Eymann bleibt trotz der Aussagen der Pensionskassen-Asset-Manager bei seiner Haltung: «Ich wäre erstaunt, wenn Dividenden für Pensionskassen so unwichtig sind.» Sie bräuchten ja auch Liquidität, um monatlich die Renten bezahlen zu können. «Für mich bleiben Pensionskassen ein Argument gegen ein Dividendenverbot, wenn auch nicht das einzige.» Man dürfe Dividenden bei Kurzarbeit mühsam finden, die Firmen sollten ihre Eigenverantwortung wahrnehmen, «ein Verbot wäre aber ein unnötiger Eingriff.»
Die aktuell horrende Zahl von rund zwei Millionen Beschäftigten, für die Kurzarbeit angemeldet wurde und die oft trotzdem ausbezahlten Dividenden für das Geschäftsjahr 2019 lassen Zweifel an der Eigenverantwortung der Firmen aufkommen. Beruhigend für alle Arbeitnehmer*innen ist aber, dass die Asset-Manager*innen der Pensionskassen eine viel nachhaltigere und viel weniger von Dividenden abhängige Anlagestrategie haben, als dies der Wirtschaftsminister vermutet.