Die Rente reicht nicht für Steuergeschenke
Im Baselbiet müssen Vermögende bald weniger Steuern zahlen. Bei Altersarmut sieht der Kanton hingegen keinen Handlungsbedarf. Rentnerin Ida B. macht sich Sorgen, wie sie bald ihre Miete zahlen soll.
Wenn mal ein bisschen Geld übrig ist, dann leistet sich Ida B. eine schöne Orchidee. Doch im Moment muss die Rentnerin im Supermarkt weniger auf die schönsten Blumen, sondern eher auf den Fleischpreis achten. «Eigentlich esse ich gerne Fleisch, aber im Moment ist es so teuer, dass ich immer öfter verzichten muss.»
Der 75-Jährigen aus dem Baselbiet bleiben nach Abzug von Steuern, Miet-, Neben- und Krankenkassenkosten 400 Franken pro Monat zum Leben. Geld genug für das Nötigste. Aber an Restaurantbesuche oder Ferien ist nicht zu denken. «Unter dem Strich geht es. Aber es ist mühsam, wenn man immer jeden Franken kehren muss.»
Im November beschloss das Baselbieter Stimmvolk, dass es den Vermögenden im Kanton zum Jahreswechsel ein Steuergeschenk macht (Bajour berichtete). Man könne sich das leisten, hiess es im Wahlkampf seitens der bürgerlichen Befürworter*innen. Dass die Einkommenssteuern im Gegenzug steigen sollen, gilt als nächster Schritt.
Selbst die Bürgerlichen sind über das Abstimmungsresultat im Baselbiet überrascht: Der Kanton nimmt die Vermögenssteuerreform an. Doch das ist erst der Anfang des finanzpolitischen Umbaus.
Derweil wurde Ende Oktober das erste Armutsmonitoring des Kantons veröffentlicht: Sechs Prozent der Baselbieter*innen sind arm. Am stärksten betroffen sind die Über-65-Jährigen: 7,9 Prozent leben unter der absoluten Armutsgrenze von 2279 Franken pro Monat. Zudem sind 10 Prozent der Über-65-Jährigen auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Auch in Basel-Stadt steigt laut dem aktuellen Sozialbericht der Bezug von Ergänzungsleistungen zur AHV konsequent seit zehn Jahren auf derzeit 19 Prozent der AHV-Beziehenden.
Auch Ida B. bezieht Ergänzungsleistungen. Sie hat zwar keine Schulden – aber eben auch kein Vermögen, das von einem Steuergeschenk profitieren könnte. Sie arbeitete als Verkäuferin und in Bürojobs. Während 16 Jahren konnte sie allerdings nicht in die Pensionskasse einzahlen: «Ich habe meine zwei Söhne grossgezogen und mein Ex-Mann verbot mir, nebenbei zu arbeiten. Wir liessen uns scheiden, aber Unterhalt hat er keinen gezahlt. Da er selbständig war und nicht in die Pensionskasse einzahlte, fehlt mir auch dieses Geld.» Sie hatte eine dritte Säule, musste das Geld aber frühzeitig in Anspruch nehmen, um ihren Sohn in einer finanziellen Notlage zu unterstützen.
Mit ihren Sorgen ist Ida B. nicht allein, sagt Annette Stöcker von Pro Senectute beider Basel. «Energiekosten, die Erhöhung der Krankenkassenprämien und die Teuerung machen momentan vielen zu schaffen.» Die Sozialorganisation bietet der älteren Bevölkerung Hilfe – im Moment auch mit Energiespartipps und Informationen zu den Heizkosten, aber hauptsächlich durch finanzielle Unterstützung.
Neben dem offiziellen Armutsmonitoring des Kantons veröffentlicht auch Pro Senectute eines. In der Studie zur Altersarmut von Pro Senectute werden allerdings andere, fast doppelt so hohe Zahlen angezeigt wie im offiziellen Armutsmonitoring des Kantons: Gemäss der Pro-Senectute-Studie liegt die Altersarmutsquote im Baselbiet bei 14,5 Prozent.
Der Kanton geht von einer niedrigen Altersarmut aus
Woher kommt diese Differenz? Die Daten, die der kantonalen Studie zugrundeliegen, sind bereits drei Jahre alt und damit nicht mehr aktuell, gerade im Hinblick auf die Pandemie. Aber es sind Steuerdaten, diese sind für jede Person im Kanton genau erfasst. Der Pro-Senectute-Armutsbericht stützt sich im Gegensatz dazu auf aktuellere Daten aus einer repräsentativen Umfrage zwischen Mai und August 2022.
Im Altersmonitoring des Kantons gibt es jedoch eine Erkenntnis mit Sprengkraft: Die Altersarmutsquote wird drastisch reduziert, wenn finanzielle Rücklagen hinzugerechnet werden. Die Annahme ist: Ein Vermögen von 30’000 Franken reicht für einen Ein-Personen-Haushalt rechnerisch, um ein Jahr knapp über der Armutsgrenze zu leben. Wird das also hinzugerechnet, sinkt die Altersarmutsquote in Baselland auf 1,1 Prozent – niedriger als bei anderen Altersgruppen. «Die Altersarmut ist somit unter Berücksichtigung des Vermögens gering», resümiert der Bericht des Kantons.
Annette Stöcker von Pro Senectute mahnt aber: «Diese Zahlen dürfen nicht fehlinterpretiert werden. Schon 30’000 Franken bieten lediglich ein Leben mit wenig Spielraum», ausserdem seien Reserven unter Umständen schnell aufgebraucht. «Kommt es im Alter zu körperlichen Einschränkungen, benötigt man Unterstützung in der Lebensführung.» Das wird im Gegensatz zu Pflegeleistungen nicht von den Krankenkassen bezahlt und könne entsprechend teuer werden.
Zudem reiche es im Alter nicht aus, ein finanzielles Polster für ein Jahr aufgebaut zu haben: Neben der Rente hat man keine weiteren Einkünfte – nicht die Möglichkeit, in einen besser bezahlten Job zu wechseln, zum Beispiel. Dazu kommt, dass mit der steigenden Lebenserwartung das Vermögen weit über ein Jahr hinaus reichen und eingeteilt werden muss.
Ein enormer Kostentreiber ist laut Stöcker der Eintritt in Alters- und Pflegeheime: «Die Kosten übersteigen schnell die eigenen Mittel und das Vermögen nimmt schnell ab.» Deshalb seien laut Stöcker schweizweit rund die Hälfte der Heimbewohnenden auf Ergänzungsleistungen angewiesen, wie der Bundesstatistik von 2020 zu entnehmen ist. Aus der aktuellen Bundesstatistik geht zudem hervor, dass der Beitrag für Heimbewohnende dreimal höher ausfällt als bei zuhause lebenden Personen.
Vereinsamung und körperliche Beschwerden
Doch taugen Steuerdaten und absolute Armutsquoten überhaupt, um die Altersarmut adäquat aufzuzeigen? Denn Armut ist nicht nur eine Frage des Geldes. Für soziale und kulturelle Teilhabe müssen Ergänzungsleistungen nicht aufkommen. Hinzu kommt, dass Armut auch Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Wer wenig Geld hat, scheut den Besuch bei der Zahnärztin genauso wie den Kinobesuch mit dem befreundeten Pärchen.
Ältere Personen sind davon stärker betroffen als die Durchschnittsbevölkerung – körperliche Beschwerden und Vereinsamung infolge knappen Budgets stehen aber in keinen Armutskennziffern, auch wenn es «stille» Armutsindikatoren sind. Ida B. zum Beispiel kann von einem Knie-Unfall im Juni erzählen, wegen dem sie den ganzen Sommer nicht mit den Enkel*innen in die Badi gehen konnte. «Ohne meine Katze wäre ich ganz allein gewesen», sagt sie. «Ich merke, dass es mir gut tut, für sie verantwortlich zu sein – auch wenn ein Haustier natürlich auch Geld kostet.»
Dass die Pro Senectute beispielsweise die ärztlichen Kosten für die kranke Katze bezahlt, macht Ida B. dankbar. Deshalb möchte sie der Gesellschaft etwas zurückgeben: Sie näht Baby- und Puppenkleider und verkauft sie auf Weihnachtsmärkten – mit den Einnahmen finanziert sie dann die nächsten Nähsachen. Mit den Enkelkindern bastelt sie Windlichter aus leeren Konfitürengläsern. Und sie hofft, dass jemand beim Spazieren einen der von ihr bemalten und versteckten Steine findet und Freude daran hat.
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