Art Basel für Dummies

Einmal im Jahr wird Basel zur Kunst-Hochburg. Was soll dieses Gedöns ännet am Rhy?

The artwork Number 341 (2022) by American artist Leonardo Drew is on display at the show Art Unlimited in the context of the international art show Art Basel, in Basel, Switzerland, on Monday, June 13, 2022. Unlimited is Art Basel's exhibition platform for projects that transcend the limitations of a classical art-show stand, including out-sized sculpture and paintings, video projections, large-scale installations, and live performances. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Wuchtig wie die Messe selbst: Leonardo Drews «Number 341» an der Unlimited dieses Jahr. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Beginnen wir mit dem Wichtigsten. Es heisst zwar Art, aber um Kunst, wie sie gemeinhin verstanden wird, geht es an der Art Basel nicht. «Aber sicher doch!» widerspricht mir ein Kollege, Wirtschaftsjournalist, als ich versuche, es ihm zu erklären. «Es geht doch auch um die Werke selbst, um den Reiz der Kunst, das Schöne, Beeindruckende!»

Die Art Basel, antworte ich, ist eine Show. Das ist das Wichtigste, was du über sie wissen musst. Eine riesige Show, in der eine Gruppe sehr privilegierter Menschen Geld gegen Güter eintauscht, die schön und beeindruckend sind. Der Reiz daran ist der Cash, nicht die Kunst.

Du hörst einen Hauch antikapitalistisches Ressentiment aus meiner Stimme? Dann hab ich eine Frage an dich: Wozu besuchen Menschen die Art Basel? Um zu kaufen, um gesehen zu werden, um zu sehen. Was wollen sie sehen? Reiche Menschen und teure Kunstwerke. Das Top-Thema jeder Art Basel lautet: Welches Werk wurde für am meisten Geld verkauft? Money, money, money.

Zwischen Elefantenmist und Gammel-Coop

Für alle, denen das jetzt etwas zu schnell in den Abgrund raste, hier ein paar Eckdaten:

  • Die Art Basel ist die grösste und wichtigste Kunstmesse der Welt.
  • Sie findet einmal im Jahr statt, meistens im Juni, ausser es ist grad Pandemie.
  • Ort ist das Messegelände im Kleinbasel, zwischen Elefantenmist (der Zirkus Knie findet jedes Jahr verlässlich zeitgleich zur Art auf dem Gelände nebenan statt) und dem schäbigsten Coop der Stadt.
  • In der Messehalle drängen sich über 200 Galerien (dieses Jahr sind es 234) auf zwei Geschossen.
Ihr wollt nur noch raus aus dieser Wolke aus Luftküsschen, klimpernden Armreifen, grellweissen Zähnen.

Der Platz ist eng und wird voll ausgenutzt. Bedeutet: Werke, wohin das Auge reicht. Zwischen sieben und zwanzig pro Blick, je nachdem, wo man hinsieht. Zu sehen ist das Crème Double der jüngeren Kunstgeschichte: Picasso, Louise Bourgeois, Jeff Wall, Leiko Ikemura, aber auch up and coming Schweizer Newcomer*innen wie Andriu Deplazes oder Louisa Gagliardi.

Dir sagen diese Namen nichts?

Macht nix, nach 30 Minuten in dieser Halle ist dir ohnehin so schwindlig, dass die Kunst zu einem einzigen wabbligen Gallert wird, ohne Anfang und Ende, du willst nur noch raus aus dieser Wolke aus Luftküsschen, klimpernden Armreifen, grellweissen Zähnen.

Ein schöner Ausgleich bietet da die Art Unlimited. Die Art Basel besteht nämlich nicht nur aus dem Sektor mit den 234 Galerien, es braucht auch noch einen Sektor, wo jene Werke ausgestellt sind, die sich nichtmal Sammler leisten können. Wo sogenannte Art Guards die Pieces bewachen, unterbezahlte Student*innen, die dafür sorgen müssen, dass der champagnertrunkene Sprössling der Tiefkühlprodukte-Dynastie sich nicht accidentally an Urs Fischers Haus aus Brot (Wert 3 Millionen Franken) abstützt. Oder davon isst (ich sage jetzt nicht, dass das passiert ist, sage aber auch nicht, dass es nicht passiert ist).

Bread House, von Urs Fischer.
Knusper, knusper, knäuschen ... (Bild: Daniel Faulhaber)

Überdimensional gut

Hier sind die überdimensionalen Werke ausgestellt, einige von ihnen überdimensional überbewertet, viele aber auch richtig gut. Und angenehm anzuschauen, denn es gibt Platz, Luft, und, vorausgesetzt es ist nach Mittwoch, wenn all die VIPs abgereist sind, keine gelangweilt-gefrustet rumstehende Galerieassistenzen, denen die Überheblichkeit aus den Augen schiesst wie Dynamit.

Neben der Unlimited gibt es noch sechs weitere Sektoren. Darunter die Statements (junge Künstler*innen), Edition (Editionen), Film (Film) oder Parcours (ortsspezifische Kunstwerke im öffentlichen Raum, dieses Jahr in der Innenstadt). Und dann gibt es noch die Trittbrettfahrer*innen, um die Dutzend weitere Messen, einige gross und wichtig, andere weniger gross und weniger wichtig. Dort wird es aber meistens erst richtig interessant.

Wer seinen Blick vom Glanz der Hauptmesse abwenden kann, der wird zu dieser Zeit eine durchaus aufregende Stadt vorfinden.

Damit wären wir beim optimistischen Teil dieser Schmähschrift: Den Rändern. Die Art Basel ist ein grosses Geldmonster, das kann auch der schöngeistigste Aficionado nicht leugnen. Aber: Wer seinen Blick vom Glanz der Hauptmesse abwenden kann, der wird zu dieser Zeit eine durchaus aufregende Stadt vorfinden.

Das ganze romantisierte Gelaber darum, dass Basel während der Art «transformiert» wird, ist natürlich Humbug. 20 Meter neben der Messe spielen die Kids der Erlenmatt-Siedlung Versteckis zwischen parkierten Autos und der indische Ecklädeli-Betreiber amüsiert sich über die Balenciaga Shades der Frau, die gerade nach dem Vitamin Water gefragt hat. Gar nichts ist transformiert, das Leben im Kleinbasel geht weiter wie zuvor.

Es sei denn, man richtet seine Augen auf die lokale Kunstszene. Die ist sonst schon grösser und engagierter als in anderen Schweizer Städten, während der Art aber läuft sie zur Hochform auf. Zu keiner anderen Zeit im Jahr verdient Basel das (selbstverliehene) Prädikat der Kulturstadt mehr als in diesen paar Tagen im Juni. Es gibt unzählige Initiativen, Häuser, Bars und Brachen werden zwischengenutzt, um Kunst zu zeigen, die zwar auch zum Verkauf steht, deren Verkauf aber nicht die Hauptsache ist.

Das hier ist ein Spiel, let's ride the rollercoaster.

«Let the games begin» schrieb die Basler Künstlerin Sophie Jung am Sonntag vor der Art auf Instagram, und man legt es aus wie man will, wahrscheinlich meinte sie damit mehr die Games à la Hunger Games, aber man kann es auch als Hauptverve der Basler Kunstszene verstehen: Das hier ist ein Spiel, let's ride the rollercoaster. Auf jeden Fall macht es total Sinn, sich während der Art Basel in die weniger glanzvollen Ecken des Jahrmarkts treiben zu lassen, statt auf dem prunkvollen Karussell zu bleiben.

Das Gully-Debakel

That said, hier noch eine Anekdote, die den ganzen Kawumms während dieser Woche gut auf den Punkt bringt: Vor ein paar Jahren gab es am Art Parcours einen Gully-Deckel, aus dem sonderbare Geräusche drangen. Es war eine Soundinstallation der Basler Künstlerin Hannah Weinberger, in der unter Anderem ein Geräusch vorkam, das wie ein weinendes Kind klang.

Kaum war sie aufgebaut, scharten sich auch schon die ersten aufgebrachten Passant*innen um den Deckel. «Da drin steckt ein Kind fest!» rief eine Frau panisch und wies ihre Freundin an, die Polizei zu rufen. Es kamen immer mehr besorgte Menschen dazu, eine versuchte, mit dem Kind Kontakt aufzunehmen, merkte aber schnell, dass da auch noch andere Geräusche waren. «Das ist ja richtig gschpässig», rief sie verdutzt, «das klingt, als würde es da unten Musik hören.»

Etwas weiter weg stand ein Paar in Kaftan und Plateauschuhen, eindeutig Art Basel-Klientel, Parcours-Prospekt in der Hand, und schaute aufmerksam zu. Nach 10 Minuten kam die Feuerwehr und hob den Deckel. Zeitgleich eilte ein Art Guard herbei und erklärte den Feuerwehrmännern das Werk.

Die Frau, deren Freundin angerufen hatte, wurde wütend. «Was soll das? Mit sowas ist doch nicht zu spassen, welcher Verrückte macht denn solche Kunst!?» Der Guard versuchte, sie zu beschwichtigen, sie aber zog zeternd davon. Die Anderen folgten ihr kopfschüttelnd.

Das Paar in den Plateauschuhen nickte anerkennend. «Excellent piece», sagte der eine.

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