Liebe Eltern, so klärt ihr Eure Kinder richtig auf
Wie entwickeln Kinder ein gesundes Verhältnis zu Sexualität und körperlicher Nähe? Die Sozialpädagogin Stephanie Bolliger teilt handfeste Tipps.
Sex ist allgegenwärtig, Scham etwas aus der Vergangenheit, könnte man meinen. Doch wenn es um den Sexualunterricht an der Schule geht, hapert es offenbar. Viele Mädchen wissen nicht, wie eine Vulva aussieht und die lustvolle Seite der Sexualität ist selten Thema, zumindest in der Oberstufe, kritisiert eine Basler Sexualpädagogin (Bajour berichtete).
Doch nicht nur die Schule ist offenbar gefordert. Auch Eltern können dafür sorgen, dass ihre Kinder ein gesundes Verhältnis zu Körper und Sexualität entwickeln. Wie? Das weiss Stephanie Bolliger von der kantonalen Fachstelle für Sexuelle Gesundheit. Das sind ihre Tipps:
Stephanie Bolliger ist Sozialpädagogin bei der kantonalen Fachstelle für Sexuelle Gesundheit in Liestal. Im Rahmen früherer Tätigkeiten klärte sie Kinder verschiedener Altersstufen an Schulen auf, unter anderem mit dem Parcours «Mein Körper gehört mir» oder dem Herzsprung-Programm, das Beziehungskompetenz für Jugendliche vermittelt.
Schau, das ist dein Schnäggli.
«Es ist ganz wichtig, dass Kinder Wörter für alle ihre Körperteile haben», sagt Bolliger. «Aus meiner persönlichen Sicht spielt das nicht so eine Rolle, ob das Penis und Vulva oder Schnäbi und Schnäggli sind.» Begrifflichkeiten würden sich ja auch immer wieder ablösen oder mit dem Alter der Kinder verändern.
Mama und Papa haben grad Sex.
Bolliger wünscht sich auch in anderen Situationen klare Worte: Zum Beispiel wenn das Kind mitbekommt, dass die Eltern Sex haben. Es sei dabei nicht jedem Kind das gleiche zuzumuten, aber darüber sprechen sei sinnvoll. «Je nach Alter kann das sein: ‘Mami und Papi händ sich gärn gha’ oder man kann detaillierter erklären, was beim Sex passiert und dass auf diese Weise Kinder entstehen können», so Bolliger. «Das kann man einem Primarschulkind bereits sagen. Ich finde es sehr wichtig, dass man nicht Bienli oder Storchengeschichten erzählt, sondern sagt, wie es ist. Das gehört zur Aufklärung.»
Du bist okay, so wie du bist.
Zum positiven Körpergefühl und einem gesunden Selbstwert trägt auch das aktive Bestärken des Kindes bei: «Ein ganz wichtiger Satz ist: Du bist okay, so wie du bist. Wenn ein Bub im Kindsgi ein Röckli anhat, ist er okay. Und wenn das Kind nicht die Farbe oder Sportart wählt, die ich gerne hätte, ist es auch okay», zählt Boliger auf.
Vorleben, vorleben, vorleben.
«Es bringt nichts, wenn man es sagt, aber selber nicht vorlebt», sagt Bolliger. «Das beginnt dabei, wie die Eltern mit dem eigenen Körper aber auch zum Beispiel mit dem Thema Ernährung umgehen.» Wenn die Eltern also sagen, «du bist okay, so wie du bist», selber aber ständig Diät machen, weil sie «auf die Figur» achten müssen, ist das widersprüchlich. «Wenn Kinder früh in einem positiven Körpergefühl gestärkt werden, ist alles später viel leichter, auch die Pubertät oder Sexualität.»
Kind, das muss ich mir zuerst überlegen.
Bolliger sagt, Kinderfragen könnten manchmal ganz schön vor den Kopf stossen. «Das Kind hat vielleicht irgendwo ein Bild gesehen oder etwas aufgeschnappt, das es jetzt beschäftigt. Eltern müssen dann nicht immer eine Antwort haben und dürfen auch sagen: Ui, über diese Frage muss ich mir zuerst Gedanken machen.» Oft gehe es dabei dann auch darum, zuerst mit dem*der Partner*in in Ruhe darüber zu sprechen und gemeinsam eine Antwort zu finden.
Das ist mein Pfyffli, nicht deins.
Ich bin mit meinem Kind in der Badewanne oder im Badezimmer und es möchte meinen Penis oder meine Vulva anfassen. Was mache ich? Für Bolliger ein klassisches Beispiel, wie man Selbstbestimmung und sexuelle Rechte vermitteln kann: «Da kommt es darauf an, was die Eltern selber möchten. Wenn man damit selber kein Problem hat, finde ich das okay, aber wenn einem das unangenehm ist, muss man sich selber ernst nehmen. Man kann dann zum Beispiel sagen: ‘Nein, ich möchte das nicht, das ist mir unangenehm.’ So lernt das Kind auch, ein Gegenüber zu respektieren. Vielleicht ist’s für das Mami okay und für den Papi nicht – auch das kann man thematisieren.»
Nicht jedes Kind will geküsst werden.
«Es hat nicht jeder gern, überhaupt berührt zu werden», sagt Bolliger und macht ein Beispiel: Wenn die Kinder noch ganz klein sind, wird ihnen schnell einfach so der Mund abgeputzt oder sie werden geherzt und geküsst, obwohl sie das vielleicht nicht mögen.» So fühle sich das Kind nicht ernst genommen. Die Sozialpädagogin rät, Signale des Kindes – nicht nur verbale – ernst zu nehmen und nachzufragen: «Wenn sie etwas älter sind kann man sie auch ab und zu fragen: ‘Ist es in Ordnung, wenn ich dich drücke?»
Selbstbefriedigung – super. Aber nicht in der Badi
Manche kleinen Kinder spielen nicht nur Doktorspiele mit den Gspänli, sondern sie erkunden auch ihre eigenen Körper oder befriedigen sich selbst. Es kann auch vorkommen, dass sie das an Orten tun, die dafür nicht so geeignet sind – in der Öffentlichkeit oder bei Freund*innen zuhause. «Das kann man thematisieren und sagen: Ich weiss, das ist für dich ein schönes Gefühl und das darfst du auch haben, aber das ist etwas persönliches, wo andere nicht dabei sein müssen. Mach das doch zuhause in deinem Zimmer.»
Aufklärungsbücher holen
«Manchmal kann es einfacher sein, über etwas zu sprechen, ohne dass der eigene Körper im Fokus steht», so Bolliger. Aufklärungsbücher oder andere Medien können dabei helfen, sich gemeinsam anhand von einer fiktiven Figur über Themen auszutauschen.