Ausbeutung auf der IWB-Baustelle: Subunternehmer wusste von «Vorstrafe»

Das deutsche Unternehmen Steag wusste, dass die polnische Firma Naftomontaz bereits gebüsst war. Die aktuellen Verstösse werden mit Corona begründet.

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IWB-Kehrichtverbrennungsanlage by night. (Bild: Ina Bullwinkel)

Die Vorwürfe wiegen schwer: Auf einer Baustelle der öffentlich-rechtlichen Industriellen Werke Basel (IWB) sollen polnische Arbeiter ausgebeutet worden sein. In 10-Stunden-Schichten mit nur kurzen Pausen hätten sie in einem Zeitraum von fast drei Wochen ohne einen freien Tag durchgeschuftet – auch am Sonntag und in der Nacht. Die mutmasslichen drastischen Verstösse gegen das Schweizer Arbeitsgesetz flogen bei einer Standardkontrolle durchgeführt von der Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe (AMKB) auf.

Die bz Basel machte den Fall Anfang Oktober publik und berichtete ausserdem, dass dieselbe polnische Firma Naftomontaz Serwis, die jetzt eine Verfahren wegen der widerrechtlichen Ausbeutung  ihrer Mitarbeiter am Hals hat, bereits im Jahr 2019 wegen eines ähnlichen Delikts gebüsst wurde. Und bereits damals ging es um Revisionsarbeiten in der Kehrichtverbrennungsanlage und die gleiche Kette an Subunternehmen. 

Gegenüber den Medien wollte bisher niemand der Involvierten von der Strafe gegen die polnische Firma gewusst haben. Jetzt zeigen aber Recherchen von Bajour: Mindestens eine der Firmen in der Kette aus Subunternehmen hatte davon Kenntnis.

Aber dröseln wir die beiden Fälle von vorne auf. Die Kette der beauftragten Unternehmen sieht so aus:

  • Auftraggeberin ist die öffentlich-rechtliche Basler Auftraggeberin IWB. Diese beauftragte:
  • die Aargauer Generalunternehmerin Martin AG, die ihrerseits einen Teil der Aufträge weitergab an:
  • den deutschen Kraftwerkdienstleister Steag AG, welcher wiederum Aufträge weitergab an:
  • die Firma Naftomontaz Serwis und so Dutzende osteuropäische Arbeiter anheuerte, die ohne Pause schuften mussten.
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In dieser Unterkunft in Wehr (D) sollen die Arbeiter gewohnt haben. (Bild: Ina Bullwinkel)

Als Folge der ersten Zusammenarbeit zwischen IWB und ihren Auftragsnehmern verhängte die Zentrale Paritätische Kontrollstelle (ZPK) im Frühjahr 2019 eine Konventionalstrafe in Höhe von 48’070 Franken gegen Naftomontaz. Das Unternehmen habe gegen die geltenden Gesamtarbeitsverträge verstossen, sprich Schweizerisches Arbeitsrecht gebrochen, heisst es von der Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe.

Für den Kanton Basel-Stadt wäre es möglich gewesen, die polnische Firma für weitere Dienstleistungen schweizweit zu sperren. Doch das passierte nicht.

Zur Schlüsselfrage: Wieso bekamen die gleiche Firma und die gleiche Unternehmenskette den Folgeauftrag einer öffentlich-rechtlich geführten Kehrichtverbrennungsanlage?

Bevor jetzt alle beteiligten Auftragsgeber und -nehmer ihr Unwissen erklären und begründen, weshalb gebüsste Arbeiterausbeuter auch inskünftig mit Aufträgen durch die öffentliche Hand rechnen können, soll hier Manuel Käppeler von der Gewerkschaft Unia zum aktuellen Fall zu Wort kommen. Der glaubt kein Wort:  «Die IWB haben eine Zugangskontrolle und Videoüberwachung. Dass sie sagen, sie hätten davon nicht gewusst, ist unglaubwürdig.»

«Dass sie sagen, sie hätten davon nicht gewusst, ist unglaubwürdig.»
Manuel Käppler, Gewerkschaft Unia

Der aktuelle Fall wurde laut Kontrollbehörde an das Amt für Wirtschaft (AWA) gemeldet. Es ging dabei nicht um arbeitsrechtliche Bagatellen. Cosima Thurneysen von der Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe (AMKB) spricht von «massiven Verstössen». Zwischen dem 10. und 27. September 2020 seien die Arbeiter ohne freien Tag im Einsatz gewesen. 

Waren diese Missstände nicht offensichtlich?

IWB-Sprecher Erik Rummer sagt: «Wir hatten keinen Anhaltspunkt, dass irgendetwas nicht so ist, wie es sein sollte.» Das Unternehmen habe zwar gewusst, dass die Arbeitstage in zwei 10-Stunden-Schichten geteilt sind, aber sie hätten nicht erfahren, wie lange die einzelnen Arbeiter genau im Einsatz waren. Die Kehrichtverbrennungsanlage sei auch sonst Tag und Nacht mit Arbeitern besetzt. Zudem seien bei der Revision insgesamt 20 Unternehmen im Einsatz gewesen. Immerhin räumt der IWB-Sprecher gegenüber Bajour ein: «Die Industriellen Werke sind bereit, die betroffenen polnischen Arbeiter notfalls selbst finanziell zu unterstützen.»

Das müsste die IWB nicht. Rein rechtlich liegt die Verantwortung bei der Firma, die den Auftrag über die Steag an die polnischen Naftomontaz erteilt hat, der Martin AG mit Sitz im Aargau.

Wir beuten nicht aus, wir bohren nach.
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Jetzt zu den Beteuerungen, weshalb man von dem früheren Verstoss «nichts gewusst» habe:

Laut IWB-Sprecher Rummer wusste das Unternehmen nichts von der Strafe gegen Naftomontaz im Jahr 2017. Man habe von der Strafe erst durch den aktuellen Fall aus den Medien erfahren und nicht von den Kontrollinstanzen. «Es heisst der Fall sei aktenkundig. Wir kennen keine Akte, aus der das hervorgeht, wir haben keine genauen Kenntnisse über das, was der Firma Naftomontaz konkret vorgeworfen wurde», sagt Rummer. 

Aber auch bei der Martin AG, dem ersten Glied in der Auftragskette, weiss man nichts. Weder zu den aktuellen Vorwürfen noch zu der Verurteilung ihres Geschäftspartners im früheren Fall: «Bis heute haben wir keine offizielle Information bekommen. Wir wissen nur das, was in den Medien steht», sagt Martin-AG-Geschäftsführer Patrick Mussak am Telefon. 

Wird die Martin AG erneut einen Auftrag an die deutsche Steag oder die polnische Firma Naftomontaz vergeben?

Geschäftsführer Mussak: «Die Arbeiten wurden qualitativ hervorragend ausgeführt. In dieser Hinsicht würden wir wieder mit den beiden Firmen arbeiten. Falls eine Verletzung des Arbeitsgesetzes stattgefunden hat, müssen wir eine wiederholte Zusammenarbeit prüfen.»

«Dass gegen Naftomontaz zu einem früheren Zeitpunkt eine Konventionalstrafe verhängt worden war, war STS bei der neuerlichen Beauftragung bekannt.»
Steag Technischer Service (STS)

Und was weiss die deutsche Steag? Das Unternehmen, ein wahrer Gigant, wenn es um Instandhaltung und Service von Energieanlagen geht, erklärt auf Nachfrage zunächst, erst im Nachhinein von der Konventionalstrafe im Jahr 2017 erfahren zu haben. Bei nochmaligem Nachhaken räumt die Firma allerdings ein: «Dass gegen Naftomontaz zu einem früheren Zeitpunkt eine Konventionalstrafe verhängt worden war, war Steag Technischer Service (STS) bei der neuerlichen Beauftragung bekannt.» 

Es wusste also doch jemand in der Subunternehmer-Kette Bescheid.

Die Verurteilung der Naftomontaz hatte aber keine Konsequenzen. Aufgrund der Strafe habe die Steag das polnische Unternehmen beim neuen Auftrag «auf die Einhaltung der Lohn - und Arbeitsbedingungen vor Ort verpflichtet» - eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Zu den aktuellen Vorwürfen hat die Deutsche Steag die Naftomontaz um eine Erklärung gebeten. Die polnische Firma nimmt gegenüber dem deutschen Riesen zu den Basler Vorfällen Stellung: «Naftomontaz hat die Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, dass es Corona-bedingt zu längeren Pausen, Wartezeiten und prozessbedingten Unterbrechungen auf der Baustelle kam.» 

Weshalb weiss eine deutsche Firma von amtlich gewordenen Verstössen auf einer Basler Baustelle, aber der Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt, weiss davon nichts? Das ihm unterstellte Amt für Wirtschaft und Arbeit ist für die Erteilung von Arbeitsbewilligungen zuständig, auch in den vorliegenden Fällen.

«Der Entscheid ging nicht an das Amt für Wirtschaft und Arbeit.»
Christoph Brutschin, Regierungsrat

Der Verantwortliche im Kanton ist Regierungsrat Christoph Brutschin. Wenn jemand den Fall kennen sollte, dann er. Sein Amt wurde laut Arbeitsmarktkontrolle sowohl 2019, als die Strafe gegen die Naftomontaz ausgesprochen wurde, als auch über die aktuellen die Verstösse der polnischen Firma informiert.

Das sieht Sozialdemokrat Brutschin allerdings anders: «Der Entscheid der für den konkreten KVA-Fall zuständigen Zentralen Kontrollstelle in Pratteln von Mitte März 2019 ging an die fragliche Firma, nicht aber an das Amt für Wirtschaft und Arbeit, welches dann in einem Rechtsverfahren über Sanktionen wie Busse und Dienstleistungssperre entschieden hätte.» Auch beim aktuellen Fall habe das AWA keine Information erhalten. 

Naftomontaz kann auf weitere Aufträge hoffen

Jetzt steht Aussage gegen Aussage: Das AMKB sagt, es habe informiert, das AWA und Vorsteher Brutschin sagen, sie hätten nichts bekommen.

Brutschin würde die Kontrollen und den «Vollzug des Entsendegesetzes» gern ganz in die Hände des Kantons legen. Er verweist auf systemische Mängel.

Davon profitierte die Firma Naftomontaz, die trotz ausgesprochener Strafe wegen Verstössen gegen das Arbeitsgesetz ein zweites Mal von öffentlich-rechtlicher Seite beauftragt wurde und die Arbeiter womöglich im illegalen Dauerbetrieb schuften liess. 

Und was hindert Naftomontaz daran, einen nächsten behördlichen Auftrag zu ergattern? Stand heute: nichts.

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