Austausch zwischen Ungleichen

Andersdenkende sollen miteinander in den Dialog treten. Sind diese Gespräche auch so fruchtbar wie beim Dialogtag Anfang Juni? Bajour hat die Zweierteams begleitet.

Übung Dialogtag
Einführung im kHaus Anfang Juni. (Bild: Simon Döbeli)

Nun gilt es ernst: Nachdem am Dialogtag im kHaus vor zwei Wochen (Bajour berichtete) die Projektteilnehmer*innen von «#Lasstunsreden», einem Projekt der Stiftung Pro Futuris, eine Einleitung bekommen haben, wie man Dialog führt, haben sich die Pärchen nun getroffen. Und sich im Zweiergespräch ausprobiert. 

Die Idee dahinter: Unterschiedliche Menschen sollen aufeinandertreffen. Andersdenkende miteinander ins Gespräch kommen (siehe Box).

Was ist «#Lasstunsreden»?

«#Lasstunsreden» ist ein Projekt von Pro Futuris, dem Think + Do Tank des Vereins Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG). Es soll Begegnungen und Austausch zwischen Andersdenkenden ermöglichen, damit sich die Projektteilnehmer*innen an einer Auseinandersetzung von unterschiedlichen Meinungen beteiligen können. Nachdem es im Jahr 2022 einen nationalen Probelauf gegeben hat, wird das Projekt nun im Rahmen der Dialogwoche in Basel durchgeführt. My Country Talks und Bajour sind Partner*innen. Im Vorfeld konnten die Teilnehmer*innen einen Ja/Nein-Fragenkatalog beantworten und wurden aufgrund gegensätzlicher Positionen zusammengeführt. In einem gemeinsamen Gespräch soll in einem Dialog ein Meinungsaustausch stattfinden. Die Veranstalter*innen geben den Teilnehmer*innen Tipps, wie ein konstruktives Gespräch durchgeführt werden kann. Am 3. Juni war der dazugehörige Dialogtag im kHaus, ein Workshop, bei dem die Teilnehmer*innen erste Diskussionen hatten und Inputs zur Dialogführung bekamen.

Pöppel_Hochuli
Funktioniert das Projekt auch bei politisch aktiven Menschen? Bei Helma Pöppel und Christoph Hochuli schon! (Bild: Jeanne Wenger)

Helma Pöppel und Christoph Hochuli

Nicht alle haben sich direkt über Pro Futuris angemeldet. Helma Pöppel und Christoph Hochuli beispielsweise sind unserem Aufruf im Bajour-Briefing gefolgt. Die 20-jährige Pöppel ist Mediensprecherin von Klimastreik Basel, zudem Mitarbeiterin im Sekretariat bei den Grünen Schweiz, Bereich Social Media. Hochuli, 44 Jahre alt, ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Ausserdem: EVP Grossrat und Polizist. 

Hochuli ist einwandfrei vorbereitet: Er hat den Leitfaden von Pro Futuris mitgebracht. Gemeinsam beginnen sie, den Fragebogen abzuarbeiten. Auch Pöppel ist vorbereitet: Sie googelte vor dem Gespräch, wer Hochuli ist, wie sie gesteht.

Das Gespräch ist schnell persönlich, obwohl die beiden (politischen Menschen) noch nie zuvor miteinander zu tun hatten. 

Sie sollen Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Gibt es die denn? Sie schweifen ab. Pöppel möge Hunde, Hochuli hingegen Katzen sehr, seine Familie hat zwei. Sie sprechen über Samenspende und Ehe für alle, bevor sie überhaupt zu den eigentlichen Diskussionsfragen kommen: Stimmrecht für Ausländer*innen. Pöppel ist dafür, Hochuli dagegen.

Er sagt: «Wenn man in der Schweiz ist, sollte man sich integrieren und wenn man möchte, kann man sich auch einbürgern lassen.»

Sie fragt: «Haben wir nicht eine Mitschuld daran, dass sich die Leute in der Schweiz nicht gut integrieren können?»

Er meint: «Integration braucht Eigenverantwortung. Politik und Gesellschaft können helfen, dass es einfacher wird.»

Sie findet: «Manche Schweizer*innen machen es den Leuten aber nicht einfach, sich dazugehörig zu fühlen. Man merkt das sogar, wenn man weiss, privilegiert, aber doch kein Schweizerdeutsch spricht.»

Sie erzählt von eigenen Erlebnissen, wie sie behandelt wird, wenn sie kein Schweizerdeutsch redet (Pöppel spricht in ihrem familiären Umfeld Hochdeutsch).

Hochuli wirkt überzeugt: «Ich finde es ziemlich krass und traurig, dass nicht einmal Deutsche integriert werden. In Basel gibt es ja viele.» 

Pöppel: «Jetzt hast du auch eine andere Perspektive auf das Ganze bekommen.»

Eine positive Erfahrung für beide.

Peter_Wendy
Wendy und Peter treffen sich beim Restaurant «Zum Kuss». (Bild: Jeanne Wenger)

Peter und Wendy

Auch Peter und Wendy haben Bajour einen Einblick in ihr Gespräch gegeben. Sie fanden über Pro Futuris zusammen, genauer: über einen Newsletter. 

Peter ist 57 Jahre alt und mittlerweile in der Rückversicherung tätig. Er ist ausserdem in einem Debattierclub aktiv. Debatten seien für ihn besonders spannend, da man dort nicht nur eine passive, sondern auch eine aktive Rolle einnehmen müsse, damit sich der Austausch weiterentwickeln könne: «Bei Debatten wird am meisten Wissen transferiert.»

Auch die 27-jährige Wendy hat ein grosses Interesse an Kommunikation und Dialog. Sie ist beruflich in der Kommunikation beschäftigt.

Das Thema Brot und Bäckereien hat es den beiden besonders angetan, wie sich rasch zeigt. Ein Generationenaustausch par excellance, auch über Social Media wird gesprochen. Und über KI, genauer ChatGPT. Peter sieht das eher kritisch, man würde «das eigene Denken auf Maschinen auslagern», vor allem in der Schule und der Uni fände er den Umgang damit schwierig. Wendy nutzt es «recht viel», wie sie erzählt und sähe grosses Potenzial darin. 

Der Gesprächsstoff geht den beiden nicht aus: Gendergerechte Sprache, Militär für Frauen oder Reisen in der Schweiz und im Ausland werden besprochen.

«Durch den Perspektivenwechsel kann man in den Schuhen von anderen laufen.»
Peter

Auch hier ziehen beide ein positives Fazit: Peter fand «den Perspektivenwechsel gut», man könne so «in den Schuhen von anderen laufen».

Melanie und Harald

Von einem Generationenaustausch kann man auch bei Harald und Melanie sprechen. Die beiden trennen über 30 Jahre. Melanie ist 40 Jahre alt. Sie kommt ursprünglich aus Hamburg, ist mittlerweile aber schon seit 18 Jahren in der Schweiz. Sie ist alleinerziehende Mutter und arbeitet im Detailhandel. Harald, 72-jährig, ist pensionierter Informatiker und politisch aktiv.

Harald und Melanie sprechen über gratis Kitas: Der gleichen Meinung sind sie nicht. Dennoch konnten sie «eine angeregte Debatte darüber führen», wie Melanie sagt. Für Harald seien solche Gespräche «gute Lernplätze», bei denen man üben könne, gemeinsame Nenner zu finden.

Elena_Christian
Christians und Elenas Gespräch findet spät abends statt. (Bild: Jeanne Wenger)

Elena und Christian

Wir kommen zu Christian und Elena. Der 55-jährige Christian ist Berater im Sozialbereich und Kaufmann. Er stellt schon zu Beginn klar, dass es für dieses Projekt seiner Meinung nach «ein Grundinteresse an Kommunikation» braucht. Das findet auch Elena. Sie ist 27 Jahre alt und Studentin. Über berufliche Hintergründe sprechen sie indes nicht. Für Christian spiele dieser keine Rolle, denn «Schubladen wolle er nicht öffnen» Auch Elena möchte das Experiment ohne bestimmte Anhaltspunkte wagen. 

Lieber tauschen sie Geheimtipps zur Basler Fasnacht aus, sprechen über Filme und Musik, auch ein Interesse an Kulinarik ist vorhanden. Viele Fragen beantworten sie schlussendlich ähnlich. 

«Nur wenn man miteinander redet, bekommt man einen Zugang zueinander.»
Christian

Lediglich beim kantonalen Grundeinkommen haben sie unterschiedliche Meinungen. Elena sei «klar dafür», Christian dagegen, aber auch nur, weil er am liebsten gleich ein nationales oder sogar europaweites Grundeinkommen hätte. Erstaunt ist Elena, dass das Gespräch wenig «konträr» verlief. Sein Fazit ist: «Nur wenn man miteinander redet, bekommt man einen Zugang zueinander.» 

Tamara_Mira
Auch Mira und Tamara ziehen positive Bilanz. (Bild: zVg)

Mira und Tamara

Beim Gespräch von Tamara und Mira war Bajour zwar nicht dabei, aber sie haben uns eine Rückmeldung gegeben: positiv verlaufen soll es sein.

Tamara ist 36 Jahre und Vizepräsidentin der FDP Basel-Stadt. Sie ist zudem Leiterin Politik beim Gewerbeverband. Und sagt: «Das Gespräch mit Mira war sehr bereichernd». Obwohl sie unterschiedliche Ansichten gehabt hätten, schuf der Dialog «ein Verständnis für die Betrachtungsweise» von Mira. «Aus den Gegenfragen entstand wie in einem Ping-Pong-Spiel ein Austausch, der wiederum neue Ansätze zur Fragestellung eröffnete.» 

«Es ist sehr schön zu sehen, wie Gespräche verlaufen können, wenn beide Parteien mit Respekt und Offenheit da sind.»
Mira

Auch für die 27-jährige Mira, Musikerin und Selbst-Organisations-Beraterin, war das Gespräch eine positive Erfahrung. Sie «fand es sehr schön zu sehen, wie Gespräche verlaufen können, wenn beide Parteien mit Respekt und Offenheit da sind». Mira konnte beobachten, «dass es eine Haltungsfrage ist, ob ein Gespräch wirklich konstruktiv verläuft». Mit Tamara hätte sie eine Gesprächspartnerin gehabt, die sie «in der eigenen Bubble vielleicht nicht kennengelernt hätte». 

Genau das ist das Ziel des Projekts: Menschen zusammenbringen, die sonst wahrscheinlich nie ein Gespräch geführt hätten. Die Zweiergespräche haben gezeigt, dass ein Dialog zwischen Andersdenkenden möglich ist, auch wenn sie teilweise gar nicht so unterschiedlich denken, wie im Vorfeld angenommen wurde. 

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