Kleinere Wohnung, weniger Ballast
Wegen des Klimas in eine kleinere Wohnung zu ziehen, ist vielen zu einschneidend. Einige Bajour-Leser*innen habens aber schon getan und sind zufrieden – von Verzicht sprechen sie nur bedingt.
Wie so oft, wenn über Klimamassnahmen diskutiert wird, hören viele vor allem: Verzicht. Jüngstes Beispiel: Unsere Diskussion zur Frage des Tages: «Bist du bereit, fürs Klima in eine kleinere Wohnung zu ziehen?»
Die Mehrheit der Abstimmenden ist nicht bereit für einen solchen Wohnungswechsel. «Ich lebe auf 100 qm (2 Schlafzimmer, 2 Badezimmer), eine Wohnung fürs Altwerden mit Lift, alles auf einer Etage, plus Balkon», schreibt Basel Briefing-Leserin Ursula Schmeling. Die Fläche brauche sie auch, wenn Kinder und Enkelkinder zu Besuch kommen. «Bis 70 habe ich in einem 160 qm Haus mit Garten gewohnt. Dafür hatte ich hart gearbeitet.» Ausserdem findet sie: «Je enger die Wohnung, je kleiner der Horizont, je beschränkter der Geist.»
«Es ist eine Einschränkung der persönlichen Freiheit», schreibt auch LDP-Parteipräsidentin Patricia von Falkenstein. «Man kann die Menschen nicht zwingen, umzuziehen. Das müsste auf freiwilliger Basis passieren.»
Der Wohnflächenverbrauch pro Kopf in der Schweiz ist in 40 Jahren von 34 auf 46 Quadratmeter gestiegen. Das kann so nicht weitergehen: Nicht nur ist der Platz für neue Wohnungen begrenzt, die Reduktion des Pro-Kopf-Flächenverbrauchs ist auch ein erklärtes Ziel der Klimaschutzstrategie. Also: Umziehen fürs Klima?
Die konstruktive Debatte fördert genau solche Beispiele zu Tage: Kommentare von Personen, die freiwillig in eine kleinere Wohnung gezogen und damit zufrieden sind.
Manche von ihnen haben explizit mit dem Klima-Gedanken im Kopf gehandelt: «Im Frühjahr sind wir zu zweit von unserer Familienwohnung (3 Zimmer plus Dachstock) in eine untere 3-Zimmerwohnung gezogen. Dabei konnten wir vieles, was sich 40 Jahren angesammelt hat, weitergeben oder entsorgen», schreibt zum Beispiel Stephan Luethi. Sein Fazit: «Ein befreiender Akt. Man braucht viel weniger, als man gemeinhin annimmt.» Auch Leserin Audrey fühlt sich «pudelwohl» als Single in der 1-Zimmerwohnung, in die sie vor Jahren gezogen ist. Und Audrey macht bei ihren Überlegungen auch den Link zum Klima: «Ich denke, ich leiste meinen Beitrag.»
«Ein befreiender Akt. Man braucht viel weniger, als man gemeinhin annimmt.»Bajour-Leser Stephan Luethi
Das Klima einberechnet hat auch Markus Keller: «Ich bin vor zweieinhalb Jahren nach dem Auszug meiner Partnerin von einer günstigen Vierzimmerwohnung in eine Zweieinhalbzimmer-Wohnung im 15 Kilometer entfernten Nachbardorf umgezogen», schreibt er. Zwar hätte er mit der kleineren Wohnfläche ein Fünftel der vorherigen Miete sparen können.
«Ein höherer Steuerfuss im Nachbardorf und höhere Auslagen für den öV liessen diesen Vorteil auf 8% schrumpfen», schreibt Keller. «Weil ich wusste, dass das Klima durch kleinere Wohnflächen profitiert, und weil günstige grössere Wohnungen für Familien sehr rar sind, habe ich den Schritt dennoch gemacht.»
Der Wohnflächenverbrauch in der Schweiz steigt seit 40 Jahren. Das braucht Platz und Energie. Die Politik scheut sich noch, in ihren Klimaplänen entsprechende Vorgaben zu weniger Flächenkonsum zu machen. Doch Ideen gibt es bereits.
Andere stellen in ihren Kommentaren statt Überlegungen zum Klima einen anderen Vorzug in den Vordergrund: Mitte-Grossrätin Andrea Strahm sagt es so: «Ballast abwerfen tut gut.» Es könne zudem nicht sein, «dass junge Familien in beengten Verhältnissen leben und wir Älteren an den grossen Wohnungen kleben.» Zwar sei ihre Miete höher als ihre vorherigen Hypothekarzinsen. Unter dem Strich lebe sie trotzdem günstiger. Auch Claudia Geiser findet, «Verkleinern tut gut» – aber der Preis sei vergleichsweise hoch.
«Ballast abwerfen tut gut.»Andrea Strahm, Grossrätin Die Mitte
Dass ein Umzug nicht für alle möglich ist, wird ebenfalls diskutiert. Stichwort: Privilegien. Der Tagesanzeiger berichtete kürzlich über eine Analyse der Zürcher Kantonalbank, die deutlich macht: Gerade für ältere Personen ist es wegen der hohen Neumieten teurer, in kleinere Wohnungen zu ziehen, als in ihren zu grossen zu bleiben.
SP-Präsidentin Lisa Mathys gibt ausserdem zu bedenken, dass Platz-Bedürfnisse je nach Lebenssituation individuell sind und auch Markus Schley kommentiert: «Es gibt schon viel zu wenige behindertengerechte Wohnungen und mit einem Rollstuhl braucht es nunmal genug Platz.» Die «Kleinen» können sich nicht mehr so einfach verkleinern, findet zudem Isa. «Grundsätzlich bin ich dafür, den Prokopfwohnraum zu verkleinern, doch sollte das bei denjenigen passieren die überdurchschnittlich viel Raum verbrauchen.»
Und einen augenzwinkernden Vorschlag hat David Brönnimann: «Ich bin dafür, dass Leute mit SUV in ebendiese umziehen müssen. Dann wäre gleich drei Problemen entgegengewirkt: 1) Wohnungsknappheit, 2) Zu hoher Wohnflächenbedarf, 3) Endlich kann die Grösse der SUV sinnvoll genutzt werden.» Vielleicht könne man dafür «bei der Parkplatzdiskussion den bürgerlichen Forderungen etwas entgegenkommen».
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