«Am schlimmsten sind die Zigistummel»
Abfall liegen zu lassen, ist einfach. Ihn wegzuwischen, braucht eine lockere Hand und den richtigen Dreh. Stadtreiniger Patrick hat uns gezeigt, wie es geht.
So peinlich! Diese Reportage beginnt wie eine schlechte amerikanische Serie: Akademisiertes Stadtgirl will sich endlich mal die Hände schmutzig machen und was Richtiges schaffen, nämlich die Strassen putzen. Und dann: Verschlafen!
Es ist Sonntagmorgen, 9 Uhr: Ich wache panisch auf. Shit. Um 6:45 Uhr hätte meine Tour mit der Stadtreinigung begonnen. Am Sonntag hat die Putzequipe immer besonders viel zu tun – die Basler*innen haben frei und verbringen ihn mit Bier und Take-Away am Rhein und in den Pärken.
Die Stadtreiniger*innen haben nachher das Geschenk: Abfall überall, überfüllte Solarkübel – und obendrauf noch Politiker*innen und Journis, die Abfallbilder posten und sich enervieren.
Wir wollen wissen: Wer sind die Leute, die unsere Stadt immer wieder aufräumen? Und haben uns zum Dienst gemeldet. Der Teamleiter nimmt mein Verschlafen unbeeindruckt zur Kenntnis. Ich bekomme am Montagmorgen eine zweite Chance.
Viertel vor sieben, Wettsteinbrücke. Mein Job für diesen Morgen: Die Strasse wischen. Zusammen mit Patrick.
Patrick Esen ist gross, muskulös, braungebrannt (sorry, das tönt wie ein Klischee, ist aber so). Er arbeitet seit zwölf Jahren bei der Stadtreinigung, seit zehn Jahren ist er fest angestellt.
Er erklärt mir, wie ich den Abfall auf die Strasse wischen muss. Die kleinen strombetriebenen Wägelchen der Stadtreinigung können nicht überall putzen. Wir müssen ihnen helfen. Zwischen den Autos hindurch. Bierdosen von Fensterbänken nehmen. Alles muss auf die Strasse gewischt werden, wo das Abfallwägelchen durchkann.
Am Schlimmsten sind die Zigarettenstummel. Sie sind überall. Sie stecken in den Ritzen der Kopfsteinpflaster. Kleben an nassen Stellen am Boden. Keine einzige Strasse ohne Zigistummel.
Mein Besen-Game ist nicht besonders gut. Patricks Besen-Game ist on point, er macht Drehbewegungen, die Sinn ergeben. Ich bin verschwitzt, meine Hände tun mir weh. Ich halte den Besen zu stark. «Du musst ihn ganz locker in deiner Hand liegen haben.» Doch mein Wischwerkzeug macht, was es will.
Patrick würde gerne mal eine Strasse entlanggehen und Zigarettenstummel zählen. Und das dann gross veröffentlichen. Die Abfallsensibilisierungs-Kampagnen, welche die Behörden durchführen, findet er zwar schon auch gut, doch das genüge nicht. Es müsse mehr gebüsst werden, «von Polizei in Zivil.» Tatsächlich ist die Busse für einen weggeworfenen Zigistummel 80 Franken hoch. Und auch Polizist*innen sowie vier Abfallkontrolleur*innen sind unterwegs.
Allerdings gibt es wenig Bussen: Im Jahr 2020 sprachen die Behörden insgesamt 230 Bussen wegen Litterings aus.
Doch sie werden dem Abfall nicht Herr genug, findet die SVP. Grossrat Joël Thüring hat im Frühling eine Motion für ein «Massnahmenpaket Sauberkeit» eingereicht, denn: «die Stadtreinigung stösst an ihre Grenzen», argumentierte Thüring. Doch die knappe Mehrheit des Grossen Rats lehnte den Vorstoss ab. Sie fürchtete mehr Repression und fand, ein paar blaue Container mehr aufzustellen, sei genug des Guten.
«Die Leute unterschätzen, was die Stadtreinigung für eine Arbeit leistet.»Patrick arbeitet seit 12 Jahren für die Basler Stadtreinigung
Zigistummel-Bussen, Abfallpolizei: Patrick überlegt sich lauter Strategien, um die Bevölkerung zu Sauberkeit zu erziehen. Auch für diesen Artikel hier hat er Ideen und sagt zu mir: «Weisst du, du musst ganz viele Bilder zeigen, die wirklich schlimm sind.» Er lacht. «Schade, dass du gestern nicht dabei warst! Gestern war es schrecklich. Der Sonntagmorgen nach einem warmen Samstagabend, das ist unvorstellbar.» Er zeigt mir Bilder von Abfallbergen in der Steinenvorstadt.
Patrick ist stolz auf seinen Beruf. Für ihn ist aber auch klar: Die Bewohner*innen müssen mithelfen, damit die Stadt sauberer wird. Sonst klappt es nicht. Viele würden sich das Recht rausnehmen, Dreck zu machen: «Diese Leute denken: Ach ja, unsere Stadt, die wird ja sowieso geputzt.» Von Seite der Stadtreinigung könne man nicht mehr machen, als schon getan wird. «Es sind Abfalleimer überall!»
Patrick unterbricht sich, um jemandem zuzuwinken. «Salut.» Er scheint die halbe Stadt zu kennen.
Ich wische gerade um ein Auto herum und linse mal wieder auf die Uhr. Es ist halb zwölf, die Sonne brennt. Patrick hat mich durchschaut: «Um zwölf ist Mittag». Wir laufen langsam zum Magazin unter der Wettsteinbrücke zurück. Einige Stadtgärtner laufen uns entgegen. Patrick nervt sich: «Die dürfen jetzt bei der Hitze wieder kurze Hosen anziehen.» Die Stadtreinigung darf das nicht. Hygienevorschriften und so.
Im Magazin unter der Wettsteinbrücke kommen zum Essen wieder alle Teams zusammen. Es ist eine grosse Männergruppe, jeder isst viel. Grosse Znüniboxen mit Bergen von Essen, in der Mikrowelle aufgewärmt. Sie reden über den Fussballmatch am Abend, tippen auf Frankreich. «Aber man weiss nie.» Nein, man weiss noch nicht, dass die Schweiz Fussballgeschichte schreiben wird.
Neben mir sitzt ein Mann, der schon lange bei der Stadtreinigung ist, wie Patrick. Er erzählt von seinem vierzehnjährigen Sohn: «Er ist im P-Zug [für hohe Anforderungen] und hat gute Noten. Vielleicht geht er aufs Gymnasium». Sein Vater hofft darauf: «Mein Sohn könnte mal einen guten Job haben.»
Ist der Job bei der Stadreinigung nicht so gut? «Doch, schon. Und ich mag ihn auch gerne, das Team ist gut. Aber es ist dreckig. Du musst jeden Tag den Abfall anderer Leute einsammeln. Ich hoffe einfach für ihn, dass er mal das machen kann, was er will.»
Dann fragt er mich: «Kannst du töggelen? Egal, ich kanns auch nicht gut, wir machen zusammen ein Team.» Wir gehen zum Töggelikasten in einer Ecke des Magazins. Natürlich spielt er extrem gut. Wir verlieren knapp, meine Schuld.
Bevor wir uns verabschieden, gibt mir Patrick noch einen letzten Gedanken mit auf den Weg: «Die Leute unterschätzen, was die Stadtreinigung für eine Arbeit leistet.» In Neapel habe die Stadtreinigung einmal gestreikt. Der Müll stapelte sich, Ratten suchten die Stadt heim. Patrick würde nie streiken. Er mag seine Arbeit. Und er weiss: Die Stadt braucht ihn.