«Es wäre gut gewesen, gemeinsam ins Boot zu steigen»
Am Bajour-Podium zur Musikvielfaltinitiative wurde vor allem eines deutlich: Es geht ums Geld. Die Befürworter*innen wollen raus aus dem Prekariat, während die Gegner*innen Angst davor haben, Fördergelder zu verlieren. Für Musikvielfalt und eine gerechte Verteilung der Fördermittel sprachen sich beide Seiten aus.
Die Musikvielfaltinitiative bewegt Basel. Sie sorgt in der Musikszene wie auch in der Politik für Uneinigkeit und erhitzte Gemüter. Die Initiative fordert, dass mindestens ein Drittel des kantonalen Musikbudgets dem freien Musikschaffen zugutekommt und dass die Förderstrukturen vereinheitlicht werden. Die Gegner*innen empfinden die Initiative als spaltend und unausgegoren, die Initiant*innen wiederum bezeichnen die Gegner*innen zuweilen als «mutlos» und «unsolidarisch.» Beide Seiten waren am Bajour-Podium unter dem Titel «Fair oder spaltend?» vertreten, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum vom gut besuchten Saal im kHaus.
Unter der Moderation von Bajour-Redaktorin Helena Krauser brachten Jennifer Perez und Fran Lorkovic ihre Pro- und Kontra-Argumente auf den Tisch, während Lukas Nussbaumer die Debatte als freischaffender Musikjournalist einordnete. Perez ist Rapperin und in Basel unter dem Namen La Nefera bekannt. Sie engagiert sich im initiativkomitee der Musikvielfaltinitiative. Lorkovic ist klassischer Perkussionist, spielt in der Basler Sinfonietta und ist deren Vizepräsident. Da er viele Jahre als Rockmusiker in ganz Europa unterwegs war, weiss er, was es bedeutet, als freischaffende*r Musiker*in den Lebensunterhalt zu verdienen. Er engagiert sich im Nein-Komitee, nachdem er der Initiative anfangs etwas abgewinnen konnte.
«Gemeinsam hätte man mehr erreichen und eine Spaltung vermeiden können.»Fran Lorkovic, Vizepräsident Basler Sinfonietta
Wer aufgrund der hitzigen Debatte einen verbalen Schlagabtausch erwartet hat, wurde am Bajour-Podium eines Besseren belehrt. Das Gespräch verlief durchweg fair und konstruktiv und teilweise waren sich die beiden «Gegner*innen» so einig, dass Lorkovic am Ende des Abends fragte: «Was machen wir hier eigentlich?» Auch Perez gestand ein, dass sie ein offensiveres Gegenüber erwartet hatte: «Hatten wir nicht vorher ein völlig anderes Bild voneinander?», fragte sie.
Haben die beiden Seiten bisher einfach zu wenig miteinander geredet? «Es wäre gut gewesen, gemeinsam in ein Boot zu steigen», merkte Lorkovic an. Denn gemeinsam hätte man mehr erreichen und eine Spaltung vermeiden können. So spricht er sich grundsätzlich dafür aus, dass die freie Musikszene besser gefördert wird und pflichtet Perez bei, dass die Förderstrukturen optimiert werden könnten. Er sagte, er habe grosse Sympathien für die Initiative gehabt, kritisierte aber klar, dass sie unformuliert sei. Der Knackpunkt: Die Initiative gibt nicht vor, ob das Musikbudget im Falle einer Annahme aufgestockt oder umverteilt, also den Institutionen weggenommen werden soll.
«Wir möchten aufzeigen, dass wir uns für Vielfalt und für alle Genres einsetzen.»Jennifer Perez, Rapperin La Nefera
Und in diesem Punkt gibt es auf dem Podium keinen Konsens. Während Perez betont, dass die Befürworter*innen die Initiative extra so offen formuliert hätten, «damit grundlegend über die Förderstrukturen, die Verteilung der Gelder und die festgefahrenen Strukturen diskutiert werden soll», hielt Lorkovic ihr vor, die Initiant*innen hätten es sich leicht gemacht, in dem sie sich einen gemeinsamen Feind in den subventionierten klassischen Institutionen gesucht hätten.
Doch die beiden Fronten zwischen den freischaffenden Musiker*innen und den Institutionen könnten gar nicht so klar gezogen werden, merkte Journalist Nussbaumer an. Denn auch das Sinfonieorchester oder die Sinfonietta würden zahlreiche freie Musikschaffende beschäftigen und zu branchenüblichen Tarifen bezahlen. Auch sie wären betroffen, würden die Fördergelder der grossen Orchester im Falle einer Annahme stark gekürzt. Es ist klar: Wenn die Initiative angenommen wird und die Gelder nicht aufgestockt werden, wären zahlreiche Musiker*innen in ihrer Existenz bedroht, während die Initiant*innen auf neue Fördermöglichkeiten hoffen könnten. In diesem Sinne sagt Lorkovic: «Ich befürchte, dass die Schlacht im Falle einer Annahme erst richtig losgeht.»
Was bedeutet Vielfalt?
Er kritisiert, dass die Initiant*innen ihre Interessen auf Kosten der etablierten Musikszene durchsetzen und diese in ihrer Pro-Kampagne auf Social Media als grau in grau und somit eintönig hinstelle. «Wir möchten doch nur aufzeigen, dass wir uns für Vielfalt und für alle Genres einsetzen», verteidigte Perez die Kampagne. Nussbauer brachte die Frage ins Spiel, was eigentlich genau mit Vielfalt gemeint sei – aus der Initiative gehe das nicht hervor: «Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Vielfalt zu definieren». Er schätzt es zudem als herausfordernd ein, definieren zu wollen, was überhaupt förderungsfähig ist. Denn im Pop gebe es zum Beispiel keine objektive Möglichkeit, Qualität zu überprüfen.
Klar wurde an dem Abend, dass die Fördergefässe, die Basel zur Verfügung stehen, zur Diskussion stehen. Perez zeigte eindrücklich auf, wie viel Zeit und Energie es sie aufgrund der vielen verschiedenen Gefässe für unterschiedliche Projekte koste, Gelder einzutreiben. Genauso betonte sie mehrmals, dass es für manche Genres kein Fördergefäss gebe. Immer wieder wurde Zürich als Beispiel genannt, wo es offenbar für freie Musikschaffende leichter ist, (grosszügige) finanzielle Unterstützung zu erhalten.
Grögel macht Hoffnung
An diesem Punkt ging Moderatorin Helena Krauser auf die bereits umgesetzte Trinkgeldinitiative über. Hat sich mit ihr nicht schon einiges verbessert für die freischaffenden Künstler*innen? Spontan wurde der Basler Kulturchefin Katrin Grögel das Wort übergeben: Grögel hielt zum einen fest, dass der Kanton nicht nur die grossen klassischen Institutionen, sondern auch die Kaserne oder einen Jazz-Club unterstütze. Und sie betonte, dass dem Kanton gerade im Zuge der Trinkgeldinitiative Vielfalt ein grosses Anliegen sei – allerdings innerhalb der gesamten Kulturszene und nicht ausschliesslich in der Musik.
War das ein Widerspruch zu Perez’ Aussage, dass nicht alle Genres eine Fördermöglichkeit haben? Grögel ging jedoch auch auf die Kritik ein und zeigte sich offen, über eine Anpassung der Förderstrukturen zu sprechen und sagte: «Die Frage nach einem pauschalen Werkbeitrag ist sehr berechtigt.» Diese gebe es beispielsweise bereits in der Literatur.
«Ich kann mir kaum vorstellen, dass Basel bei den Orchestern, die wichtig für das Prestige des Kantons sind, stark kürzen und deren Existenz gefährden würde.»Lukas Nussbaumer, freier Musikjournalist
Wie aber geht es weiter? Wird die Initiative angenommen, muss seitens der Politik ein Vorschlag für die Umsetzung erarbeitet werden. Während Perez sich einen «partizipativen Prozess» wünscht, im Zuge dessen diskutiert werden soll, was Vielfalt für Basel wirklich bedeutet und was gefördert werden soll, sieht Lorkovic klassische Institutionen wie die Sinfonietta ernsthaft gefährdet. «Die Qualität würde leiden», sagt er, und es würde erst recht zu einem Verteilkampf innerhalb der Freischaffenden kommen. Denn er geht nicht davon aus, dass es eine Aufstockung der Gelder geben wird – die Rede ist von sechs bis acht Millionen Franken, die benötigt würden. Das hätten ihm verschiedene Politiker*innen – auch aus dem Grossen Rat – signalisiert.
Nussbaumer zeigte sich hier optimistischer. Er kann sich kaum vorstellen, dass Basel bei den Orchestern, die einen sehr guten Stand hätten und wichtig für das Prestige des Kantons seien, stark kürzen und deren Existenz gefährden würde. Und wenn die Initiative am 24. November vom Basler Stimmvolk abgelehnt wird? «Dann bleiben wir dran», kündigte Perez an. «Denn die Politiker*innen haben das Kulturfördergesetz bisher noch nicht ausreichend umgesetzt, das eine breite Unterstützung der Musik vorschreibt.»
Es geht ums Geld
Nachdem die Gäst*innen auf dem Podium ihre Argumente vorbringen durften, war das Publikum dran. Während Befürworter*innen der Initiative von einer «historischen Chance, um grundlegenden Debatten zu führen» sprachen, bedauerten die Gegner*innen die «unsägliche Konkurrenzsituation» innerhalb der Basler Musikszene, die sich nun durch die Initiative aufgetan habe.
Die Frage «Fair oder spaltend?» konnte an dem Abend nicht beantwortet werden. Doch die Voten aus dem Publikum zeigten: Wenn es ums Geld geht, verhärten sich die Fronten. Die Institutionen möchten ihre Förderung nicht opfern müssen und die Initiant*innen fühlen sich ihnen gegenüber vernachlässigt. Woher die Millionen kommen sollen, wenn am Ende eine Aufstockung die verworrene Förderdebatte lösen soll, ist noch völlig unklar.